Pestizide:Der Glyphosat-Streit geht jetzt richtig los

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Pflanzenschutzmittel werden auf einem Feld verteilt. (Foto: Florian Gaertner/photothek.net/imago/photothek)

Die Zulassung des Pestizides soll um zehn Jahre verlängert werden. Das schlägt die EU-Kommission vor. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist nicht begeistert.

Von Elisabeth Dostert und Josef Kelnberger, München/Brüssel

Für den Chemiekonzern Bayer war dies wohl ein guter Tag. Der Wirkstoff Glyphosat soll in der EU für weitere zehn Jahre zugelassen werden. So sieht es der am Mittwoch veröffentlichte Verordnungsentwurf der EU-Kommission vor. Ob das auch für Menschen, Tiere und Umwelt ein guter Tag ist, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen.

Über kein anderes Pflanzenschutzmittel wurde und wird so heftig debattiert. Glyphosat ist ein sogenanntes Breitbandherbizid. Es vernichtet alle grünen Pflanzen - es sei denn, sie sind genetisch so verändert, dass ihnen das Gift nichts anhaben kann. Kein anderes Pestizid werde weltweit so häufig eingesetzt, schreibt das Umweltinstitut München auf seiner Internetseite. Seit der Einführung 1974 habe sich die weltweite jährliche Einsatzmenge etwa um den Faktor 265 auf mehr als 800 000 Tonnen erhöht, heißt es mit Verweis auf US-Daten bei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Rund 90 Prozent würden in der Landwirtschaft eingesetzt. 2021 wurden in Deutschland laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit knapp 4100 Tonnen Glyphosat abgesetzt.

Die Studienlage ist, was die Gefahren von Glyphosat betrifft, widersprüchlich. Die Krebsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte 2015 Glyphosat als "wahrscheinlich krebserzeugend" eingestuft, andere WHO-Einrichtungen und Forschungsverbünde kamen jedoch zu einem gegenteiligen Schluss. Ende Juli hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine Untersuchung veröffentlicht, in der sie keine inakzeptablen Gefahren gesehen hatte, lediglich Datenlücken. Für die Untersuchung hatte die Efsa eigenen Angaben zufolge in einem dreijährigen Verfahren Tausende Studien und wissenschaftliche Artikel betrachtet.

Ob die Mitgliedstaaten dem Vorschlag der Kommission folgen werden, ist offen. Der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel, im EU-Jargon SCoPAFF, wird an diesem Freitag darüber beraten. Am 13. Oktober wird das Gremium über den Verordnungsentwurf abstimmen. Es braucht eine qualifizierte Mehrheit, was bedeutet: Es müssen 55 Prozent der Mitgliedstaaten zustimmen, diese müssen wiederum 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Sollte es keine qualifizierte Mehrheit dafür oder dagegen geben, kann die Kommission eine Berufungsinstanz anrufen. Falls auch diese kein Ergebnis bringt, darf die EU-Kommission allein entscheiden. Bis zum 15. Dezember soll das Verfahren abgeschlossen sein, denn dann läuft die Zulassung von Glyphosat aus.

Wegen der unklaren Mehrheitsverhältnisse im Rat der Mitgliedsländer hatte die Kommission schon im Herbst vergangenen Jahres die Zulassung von Glyphosat aus eigener Kraft um ein Jahr verlängert. Die damalige Begründung: Wegen der umfangreichen Studienlage brauche man zusätzliche Zeit, um eine Entscheidung über eine Verlängerung zu treffen. Mit dem riesigen Aufwand begründet die EU-Kommission nun auch, dass die Zulassung diesmal um zehn statt, wie 2017, um fünf Jahre verlängert werden soll. Damals hatte der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) entgegen der ursprünglichen Absprache das deutsche Plazet gegeben, obwohl das SPD-geführte Umweltministerium sich der Stimme enthielt.

Im Koalitionsvertrag der Ampel steht, man wolle Glyphosat Ende 2023 auf jeden Fall vom deutschen Markt nehmen. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ließ am Mittwoch wissen: Solange nicht ausgeschlossen werden könne, dass Glyphosat der Biodiversität schade, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen. "Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt ist die Voraussetzung für sichere Ernten heute und in zehn, 20 oder 50 Jahren", so Özdemir. Ob Glyphosat vom Markt genommen werde, würden sie aber nicht allein entscheiden. "Deshalb sind wir mit unseren Partnern in der EU dazu in intensiven Gesprächen."

Während die EU-Kommission über die Zulassung des Wirkstoffes entscheidet, sind die einzelnen Mitgliedsländer für die Zulassung der jeweiligen Produkte zuständig. Der Entwurf der Kommission gibt den Mitgliedsländern sehr viele Möglichkeiten, den Einsatz von Glyphosat zu begrenzen. Es werden etwa der Schutz des Grundwassers und Gefahren für die Biodiversität genannt. Ob das reicht, um Produkte generell zu verbieten, ist unklar. In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für die Zulassung von Pestiziden zuständig. Seiner Datenbank zufolge sind in Deutschland derzeit knapp 60 Mittel mit dem Wirkstoff Glyphosat zugelassen.

Kein anderer Konzern stand so in der Kritik wie Bayer

Es gibt viele Anbieter von glyphosathaltigen Produkten. Doch kein anderer Konzern stand so in der Kritik wie Bayer, der sich mit der Übernahme von Monsanto im Sommer 2018 für 63 Milliarden Dollar Glyphosat und viel Ärger einhandelte. In den USA schrieben Zehntausende Glyphosat ihre Krebserkrankung zu und klagten. Vergleiche kosteten Bayer Milliarden. Und noch sind die Rechtsstreitigkeiten in den USA nicht ganz ausgestanden.

Im Europaparlament wird der Vorschlag der Kommission widersprüchlich bewertet. "Dies ist ein wichtiger Schritt für die Landwirtschaft, denn die europäischen Landwirte brauchen Planungssicherheit", sagte Norbert Lins (CDU), der Vorsitzende des Agrarausschusses. Die Entscheidung der Kommission stehe auf wissenschaftlich eindeutiger Basis. Die Grüne Jutta Paulus, Expertin für die Chemikalienpolitik der EU, kritisierte, die EU-Kommission setze die Gesundheit von Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürgern aufs Spiel: "Während Opfer des Giftstoffs in den USA erfolgreich gegen Bayer Monsanto klagen, droht Europa Konzerninteressen über die Gesundheit von Mensch und Natur zu stellen."

Am Mittwoch befürwortete der Konzern den Verordnungsentwurf der EU-Kommission, der, so sieht es Bayer, "auf den überzeugenden wissenschaftlich fundierten Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) beruht". Im Portfolio von Bayer spielen Glyphosat-Produkte wie Round-up eine wichtige Rolle, auch wenn die Erlöse in den vergangenen Monaten fielen. Denn bei den Händlern wurden Lagerbestände abgebaut, manche Regionen waren außerdem so trocken, dass weniger Pestizid eingesetzt wurde. Der Umsatzrückgang mit Glyphosat-Produkten belastet auch das Gesamtjahr, und zwar so stark, dass Bayer seine Prognose nach unten korrigierte. Für 2023 rechnet der Konzern bei Glyphosat-Produkten grob mit einem Rückgang um mehr als 2,3 Milliarden Euro, das wäre dann ein Einbruch um grob die Hälfte.

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