Deutschland profitiert von den großen Industriestaaten neben Japan am meisten von der Globalisierung. Jeder Deutsche erzielte dadurch seit 1990 jedes Jahr im Schnitt 1100 Euro mehr Einkommen, geht aus einem Report der Bertelsmann-Stiftung hervor. Als Top-Gewinner sind die Deutschen besonders davon bedroht, falls - auch durch Corona - der Protektionismus zunimmt und der Handel schrumpft. Dann könnten sie bis zur Hälfte dieses Einkommenszuwachses verlieren.
Bemerkenswert: Die Globalisierung steigerte laut der Studie in den vergangenen 30 Jahren das Bruttoinlandsprodukt in allen 45 untersuchten Industrie- und Schwellenländern. Wer auf Export setzte und seine Unternehmen international vernetzte, profitierte demnach in jedem Fall.
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Wem die Globalisierung besonders stark half, hängt von der Perspektive ab. Prozentual nahm die Wirtschaftsleistung pro Kopf in China am meisten zu, wo sie um das Sechsfache stieg, gefolgt von Südkorea und osteuropäischen Staaten wie Polen und Ungarn. In absoluten Euro-Zahlen sind Industriestaaten die größten Gewinner, weil sie auf höherem Niveau starteten. Darunter sind vor allem kleinere Volkswirtschaften wie Irland, die Schweiz, Finnland oder Israel, in denen das Ausland im Vergleich zum Inlandsgeschäft naturgemäß eine wichtigere Rolle spielt.
An Nummer eins steht allerdings Japan mit einem durchschnittlichen Einkommensgewinn von 1800 Euro pro Jahr und Bürger im Vergleich zu einem Szenario, in dem die Globalisierung stagniert hätte. Unter den zehn größten Globalisierungsgewinnern findet sich mit Deutschland auf Platz sieben nur ein weiterer großer Industriestaat. Amerikaner hatten im Schnitt 450 Euro pro Jahr mehr.
Die Einkommensgewinne nehmen im Zeitablauf zu, in Deutschland bis 2018 auf 1400 Euro. Zu beachten ist, dass diese vom Prognos-Institut berechneten Summen nur direkte Gewinne zeigen, die Vorteile der Globalisierung also tendenziell unterschätzen. Ein Autokonzern wie Daimler erwirtschaftet heute ein Drittel seines Umsatzes in China. Wenn Daimler mehr ins Ausland verkauft und dadurch deutsche Zulieferer mehr Aufträge bekommen, fließt das nicht in diese Rechnung ein. Ebenso wenig, wenn Daimler in China Autos für den dortigen Markt herstellt und dadurch Arbeitsplätze in Entwicklung, Marketing oder Verwaltung in Deutschland sichert.
Die Frage ist, ob die Wohlstandsgewinne erhalten bleiben. Die Pandemie unterbricht die Lieferketten und stoppt den Tourismus. Die Welthandelsorganisation WTO schätzte im April, dass Corona den globalen Export 2020 um 13 bis 32 Prozent einbrechen lassen könnte, wobei sie inzwischen der kleineren Zahl zuneigt.
Während die deutsche Wirtschaft wieder relativ schnell wächst, sieht es bei wichtigen Handelspartnern schlechter aus. "Die Anstrengungen der Bundesregierung zahlen sich aus", sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. "Andere Länder, die weniger gemacht haben oder machen konnten, erholen sich langsamer." So sieht es auch Jens Südekum von der Universität Düsseldorf: "In den USA gibt es anders als in Deutschland nicht die berechtigte Hoffnung, dass es zügig nach oben geht."
Dazu kommt, dass die Globalisierung schon vor Corona ins Stocken geriet. "Vor allem durch zunehmenden Nationalismus und die chinesisch-amerikanische Rivalität", sagt Thomas Rausch von der Bertelsmann-Stiftung. Zu befürchten sind weitere Handelshemmnisse, der Abbau von Umweltstandards und weniger Hilfen für Schwellen- und Entwicklungsländer, weil in Industriestaaten das Geld knapp wird.
Wie viel verloren geht, indem die Globalisierung noch stärker stoppt, ist schwer zu schätzen, aber die Stiftung wagt eine Prognose: "Die Einkommensverluste durch die Pandemie könnten sich auf 100 bis 500 Euro je Bundesbürger in diesem Jahr belaufen", so Thieß Petersen, Ökonom bei der Bertelsmann-Stiftung. Gegenmittel wären etwa eine Stärkung des EU-Binnenmarkts, nachhaltige neue Handelsabkommen und eine Reform der WTO.