Auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen kommen im nächsten Jahr höhere Beiträge zu. Der durchschnittliche Zusatzbeitrag solle um 0,3 Prozentpunkte steigen, kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) an. Dies bringe voraussichtlich zwischen 4,8 und 5 Milliarden Euro ein. Die Beitragserhöhung soll Teil eines Maßnahmenpakets zur Deckung eines Defizits von 17 Milliarden Euro sein. Leistungskürzungen werde es nicht geben. Zur Deckung des Defizits solle zudem ein erhöhter Steuerzuschuss von zwei Milliarden Euro und ein Darlehen des Bundes von einer Milliarde Euro beitragen. Sowohl beim Gesundheitsfonds als auch bei den Einzelkassen gebe es noch Reserven.
Man sei in einer "wirklich schwierigen Situation", so Lauterbach. "Bei den Kassen sind noch etwa vier Milliarden Reserven, die wir heranziehen können und werden." Im Fonds seien es 2,4 Milliarden Euro. Die Pharmaindustrie soll eine Milliarde beisteuern "Wenn man diese Reserven heranzieht und die Verbreiterung der Einnahmenbasis (...) sind von den 17 Milliarden etwas mehr als 14 Milliarden bereits gedeckt", sagte Lauterbach. Rund drei Milliarden Euro würden aus Effizienzverbesserungen gehoben. Hierbei sei eine Solidarabgabe für die Pharmaindustrie hervorzuheben, die zuletzt erhebliche Umsatzsteigerungen habe verzeichnen können, so Lauterbach. Angepeilt werde eine einmalige Abgabe von einer Milliarde Euro. Endgültig festgelegt wird der durchschnittliche Zusatzbeitrag durch einen offiziellen Schätzerkreis im Herbst.
In diesem Jahr bekommen die Kassen schon einen aufgestockten Bundeszuschuss von 28,5 Milliarden Euro. Damit sollte der durchschnittliche Zusatzbeitrag vorerst bei 1,3 Prozent gehalten werden. Die konkrete Höhe ihres jeweiligen Zusatzbeitrags legen die Kassen selbst fest. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.
Lauterbach übte Kritik an seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU). "Die Bundesregierung hat die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen in einem sehr schwierigen Zustand vorgefunden", sagte der SPD-Politiker und sprach von einem historischen Defizit. "Ich habe dieses Defizit im Wesentlichen von meinem Vorgänger geerbt." Lauterbach sagte, Spahn habe "teure Leistungsreformen" gemacht und von Strukturreformen Abstand genommen. So sei das Defizit in der Pandemiezeit entstanden. Inzwischen seien Strukturreformen angelaufen - etwa im Klinikbereich.
Anfang des Monats hatte bereits der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) das erwartete Milliardendefizit für 2023 unter anderem auf politische Entscheidungen zurückgeführt. So führten Gesetze für mehr Pflegepersonal oder kürzere Wartezeiten beim Arzt allein zu dauerhaften Mehrkosten von fünf Milliarden Euro pro Jahr. Nun sagte Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbandes: "Die heute vorgelegten Eckpunkte verschaffen der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt allenfalls eine finanzielle Atempause." Das Aufbrauchen von Rücklagen sei "keine solide und nachhaltige Finanzierung".
Heftige Kritik kam auch von den Arbeitgebern. Die Eckpunkte seien enttäuschend und kämen einem Taschenspielertrick gleich, sagte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter. Ein Grund für die prekäre Finanzlage der Krankenversicherung sei, dass ein 14-Milliarden-Euro-Steuerzuschuss wie geplant wegfalle, sagt Lauterbach. Dennoch und trotz konjunktureller Unsicherheiten werde das Defizit wohl nicht noch größer werden als bisher angenommen. "Ich erwarte keine weiteren 'bad news' ", sagte Lauterbach.
Die FDP im Bundestag kündigte eine gründliche Prüfung der Pläne an. "Für die anstehende Diskussion über die GKV-Finanzierung ist es hilfreich, dass der Gesundheitsminister seine Ideen auf den Tisch gelegt hat", sagte Fraktionsvize Lukas Köhler. Nun werde beraten, "was davon umgesetzt werden kann und wo es noch nachzubessern gilt". Die Grünen bestehen auf Strukturreformen. Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta sagte: "Nachdem wir in der Pandemie viel Geld ausgegeben haben für Gesundheit und viele damit gutes Geld verdient haben - Geld, das nicht immer gut angelegt war - müssen wir jetzt unser Gesundheitswesen besser und effizienter machen, um das Defizit die nächsten Jahre wieder runterzufahren." In der Krise müssten starke Schultern zudem mehr tragen.