Karl Lauterbach betritt die Bühne im Gesundheitsministerium mit einer halben Stunde Verspätung. Mit einer solchen Verzögerung könnten die meisten Eltern wohl leben, wenn es im Winter um Medikamente für ihre Kinder geht. Der Gesundheitsminister hat auf einem Krisengipfel mit Vertretern von Pharmaindustrie, Apothekern und Ärzten darüber diskutiert, wie größere Engpässe vermieden werden können. Er sagt, das Land sei besser auf den Winter vorbereitet als noch 2022. Doch Lauterbach schiebt eine Warnung hinterher: "Wenn es eine starke Grippewelle geben sollte, können wir Engpässe nicht ausschließen."
Dann folgt ein Appell an die Eltern. "Bitte keine Hamsterkäufe." Ein kleiner Vorrat sei kein Problem, eine kleine Flasche Fiebersaft mit 100 Millilitern zum Beispiel. Doch mehr müsse es nicht sein: "Man braucht nicht zwei bis drei Wochen Vorrat."
Bis zu doppelt so viel Produktion wie im Vorjahr
Ein bisschen mehr als Appelle hat der Minister schon vorbereitet. Man habe gesetzliche Hürden gesenkt, die es für Pharmaunternehmen unattraktiv machten, Medikamente zu produzieren. Im deutschen Gesundheitssystem wird über Festpreise bestimmt, wie viel die Krankenkassen maximal für Generika bezahlen dürfen. Damit sollen hohe Kosten für die Kassen und die Patienten verhindert werden. Doch mittlerweile hat die Vorgabe dazu geführt, dass sich viele Unternehmen aus der Produktion zurückgezogen haben. "Wir haben die Preisschraube bei den Generika überdreht", sagt Lauterbach.
Im Juli trat ein neues Gesetz in Kraft, dass es den Kassen erlaubt, 50 Prozent mehr als bisher für Generika zu zahlen. Damit will die Bundesregierung die Produktion wieder attraktiver machen. Andreas Burkhardt, Deutschlandchef des weltweit führenden Generika-Herstellers Teva, sagt, die Anpassung der Festpreise sei überfällig. "Wir können so gerade die Preissteigerungen aus der Inflation ausgleichen. Sonst wären wir mit der Produktion in die roten Zahlen gerutscht", erklärt Burkhardt. Zu Teva gehört in Deutschland das Tochterunternehmen Ratiopharm.
Mittelfristig will Lauterbach erreichen, dass sich wieder mehr Hersteller in Deutschland ansiedeln, um die Versorgungssicherheit und den Wettbewerb zu verbessern. Doch das wird frühestens im kommenden Jahr ein Faktor sein, da die Produktion erst aufgebaut werden muss. Unternehmen, die bereits Arzneimittel für den deutschen Markt produzieren, hätten ihre Produktion hochgefahren, sagt Lauterbach. Teva-Deutschlandchef Burkhardt berichtete, sein Unternehmen produziere doppelt so viel Paracetamol-Fiebersaft wie im Vorjahr.
Mehr Entscheidungsgewalt für Apotheker geplant
Ein weiteres Vorhaben des Gesundheitsministers muss noch von Kabinett und Bundestag verabschiedet werden, hätte aber direkte Auswirkungen. Apotheker sollen künftig mehr Freiheit dabei haben, Kunden auch Alternativen anzubieten. Wenn die verschriebene Packungsgröße eines Medikaments nicht vorrätig sei, sollen Apotheker auch ohne Rücksprache mit dem Arzt eine andere herausgeben dürfen. Ebenso eine andere Form anzubieten, etwa Tabletten statt Tropfen, oder ein Medikament vor Ort herzustellen, soll erlaubt sein. Das entsprechende Gesetz soll dem Bundestag bald vorgelegt und von diesem verabschiedet werden, sagte Lauterbach. Gabriele Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) begrüßte den Schritt. Apotheker bräuchten den größtmöglichen Spielraum, um die Versorgung jederzeit sicherzustellen.
Sollten im kommenden Winter doch Versorgungsengpässe aufkommen, will das Ministerium Medikamente aus anderen Ländern ankaufen. Im vergangenen Jahr hatten neben fiebersenkenden Mitteln und Schmerzmedikamenten für Kinder auch Antibiotika gefehlt - ein besonders riskanter Mangel. Um dem vorzubeugen, richtet das Ministerium noch eine Monitoring-Gruppe ein, die Lauterbach täglich berichten soll.