Die künstliche Intelligenz "erkennt alle unangemessenen Inhalte", wirbt Amazon. Sie identifiziert "Objekte, Personen, Texte, Szenen und Aktivitäten", besonders gut kann sie Gesichter von Menschen finden. Aus der Aufnahme einer Menschenmasse kann sie bis zu 100 Gesichter herausfiltern, die sie kennt. Und all das sei wahnsinnig leicht zu bedienen, man müsse gar keine Ahnung von künstlicher Intelligenz (KI) haben. Der Internethändler aus Seattle hat sich ein neues Betätigungsfeld gesucht: Überwachung.
Amazon verkauft seit gut zwei Jahren KI-Software zur Gesichtserkennung an die Polizei. Das Programm namens Rekognition hat Zugriff auf die Datenbanken, die die Polizisten für sie auswählen - und zwar nicht nur auf die Register von Straftätern in den USA. Viele lokale Polizeiverwaltungen und auch das FBI haben Führerschein- und Ausweisfotos unbescholtener Bürger in Gesichtserkennungs-Systeme eingepflegt.
Gesetze zum Schutz der Porträtfotos fehlen weitgehend
Einer Schätzung des Zentrums für Privatsphäre und Technologie der Universität Georgetown zufolge hatte Gesichtserkennungs-Software schon 2016 Zugang zu Bildern von 117 Millionen Menschen - also von jedem zweiten amerikanischen Erwachsenen. Das Heimatschutzministerium nutzt solche Programme zum Beispiel, um Menschen aufzuspüren, die nach Ablauf ihrer Visa das Land nicht verlassen. Gesetze zum Schutz der Bilddaten fehlen weitgehend.
Rekognition ist ein Angebot von Amazons Tochterfirma Web Services, die mit Abstand Marktführer für sogenannte Cloud-Speicherlösungen ist. Sie speichert auch Daten von Unternehmen wie Netflix oder Siemens und von der Nasa und des CIA auf ihren riesigen Servern.
Kostet den Sheriff nur sechs Dollar im Monat
Der Sheriff des Bezirks Washington County im Bundesstaat Oregon benutzt Rekognition, um Verdächtige auf Überwachungsbildern etwa nach einem Überfall in einem Laden schnell mit einer Datenbank von mehr als 300 000 Fotos von Verhafteten aus dem Bezirksgefängnis zu vergleichen. Die US-Bürgerrechtsgruppe ACLU hat über eine öffentliche Anfrage Zugang zu E-Mails und Verträgen zwischen Amazon und den Polizeirevieren bekommen. Daraus geht unter anderem hervor, dass der Sheriff im Monat nur sechs Dollar für den Dienst zahlt. Der Download der Datenbank der 300 000 Bilder kostete einmalig 400 Dollar.
Die Polizei in Orlando in Florida dagegen will die Technik breiter einsetzen. Sie prüft, ob Rekognition verwendet werden kann, um "interessante Personen" auf öffentlichen Plätzen zu erkennen und die Polizei auf deren Anwesenheit hinzuweisen. Orlando hat bereits an vielen Orten Überwachungskameras aufgehängt, Rekognition könnte außerdem Zugang zu den Kameras an den Uniformen der Polizisten und zu Drohnenbildern bekommen. Wie viele weitere Polizeistationen in den USA Rekognition verwenden, ist nicht bekannt.
Aufschrei der Bürgerrechtler
Für einige Menschen - und vor allem für die Polizei - ist Rekognition ein ebenso mächtiges wie hilfreiches Instrument, um Straftaten aufzuklären und zu verhindern. Bürgerrechtsgruppen dagegen protestieren und haben einen offenen Brief an Amazon-Chef Jeff Bezos geschrieben. Sie sehen in dem Geschäft nicht nur einen Angriff auf die Privatsphäre, sondern auf die Demokratie als Ganzes. Denn das Programm könne Menschen zum Beispiel vom Demonstrieren abhalten, weil sie nicht auf den Body-Cam-Aufnahmen der Polizisten landen wollen. Besonders gefährdet seien unter anderem schwarze Aktivisten. Amazons Software sei ein weiterer Schritt zum Überwachungsstaat.
"Die Leute sollten die Freiheit haben, die Straße entlangzugehen, ohne von der Regierung beobachtet zu werden", schreiben die Bürgerrechtler. "Gesichtserkennung bedroht diese Freiheit." Zwar ist Amazon längst nicht die einzige Firma, die solche Software an die Polizei verkauft. Der Konzern sei aber besonders gefährlich, weil er wegen seiner Größe und Macht die Technik billiger anbieten und so schnell zum Standard machen könne.
Auf die Kritik der Bürgerrechtler angesprochen, bestätigte die Pressestelle von Amazon Web Services lediglich, dass das Unternehmen ein Programm anbiete, dass dabei hilft, Gesichter und Dinge in Menschenmassen zu identifizieren. Man fordere Kunden immer auf, sich an das Gesetz zu halten.
Rekognition hat Amazon zufolge viele weitere positive Anwendungsmöglichkeiten: Freizeitparks nutzten es, um Kinder aufzuspüren, die ihre Eltern verloren haben. Auch diverse Medienhäuser, darunter die New York Times, setzen Rekognition ein, zum Beispiel um bei Großveranstaltungen wie der britischen Adelshochzeit vom Wochenende die Prominenten in den Zuschauerrängen schneller zu identifizieren. Zur Rolle der künstlichen Intelligenz als Hilfsmittel für die Polizei hat sich Amazon dagegen noch nicht geäußert.