Die Daten wirken ernüchternd. Um die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann ist es weltweit trist bestellt. Erstmals seit dem Jahr 2006 ist die Ungerechtigkeit größer geworden. So schreibt es das Weltwirtschaftsforum (WEF) in einer neuen Studie zur "Gender Gap", der Geschlechterlücke. Wenn sich aktuelle Trends fortsetzen, dauert es global noch 100 Jahre bis zur Gleichberechtigung. Vor zwölf Monaten gingen die Forscher des WEF noch von 83 Jahren aus.
Diese Erkenntnisse leiten die Analysten aus einem Index ab. Diesen haben sie anhand der Kriterien Gesundheit, Bildung, ökonomische Teilhabe und politische Mitwirkung für 144 Länder entwickelt. Die Daten basieren unter anderem auf Statistiken der Weltgesundheitsorganisation und der Vereinten Nationen. Im Jahr 2017 habe es in allen vier Bereichen Rückschritte gegeben, heißt es. Gerade jene in Wirtschaft und Politik seien aber besorgniserregend, da sie am stärksten zur Geschlechterlücke beitragen würden. "Ein Jahrzehnt des langsamen, aber stetigen Fortschritts beim Verbessern der Gleichheit zwischen den Geschlechtern kam 2017 zum Erliegen", lautet das Fazit des WEF.
Insbesondere die durchschnittlichen Bruttolöhne zeigen die Trendwende, beim Versuch die Geschlechterlücke zu schließen. Vor einem Jahr verdienten Männer im weltweiten Durchschnitt noch etwa 9400 Dollar mehr als Frauen. Mittlerweile sind es knapp 10200 Dollar. So groß war der Abstand seit der ersten WEF-Erhebung im Jahr 2006 nie. Ohnehin konnte noch kein Land die wirtschaftliche Lücke zwischen den Geschlechtern schließen.
Tatsächlich gibt es auch Entwicklungen, die Hoffnung auf Gerechtigkeit machen. In gut der Hälfte der untersuchten Staaten hat sich die Gender Gap zuletzt verkleinert. Klaus Schwab, Gründer und Präsident des WEF, wagt daher einen optimistischen Ausblick: "Die Unternehmen und Staaten, die Frauen als wichtige Kraft integrieren, werden erfolgreich sein."
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Regional entwickelt sich die Geschlechtergerechtigkeit unterschiedlich. In Westeuropa ist die Lücke zwischen Frau und Mann am kleinsten. Das liegt vor allem an Island, Norwegen und Finnland. Die drei nordischen Staaten haben laut Studie die kleinste Geschlechterkluft. Im Nahen Osten und in den Ländern Nordafrikas ist die Situation für Frauen am schwierigsten.
Deutschland bescheinigt das WEF eine positive Entwicklung in den vergangenen zwölf Monaten. Die Bundesrepublik verbesserte sich um einen Platz und steht nun auf Rang zwölf der Tabelle der gerechtesten Staaten zwischen Frankreich und Namibia. Gemessen am ersten Ranking 2006 ging es aber deutlich nach unten, damals stand die Bundesrepublik noch auf Platz fünf. Nachholbedarf gibt es vor allem in zwei Punkten. In Wirtschaft und Politik ist die Geschlechterlücke laut WEF längst nicht geschlossen. Mängel gibt es etwa bei Lohnunterschieden zwischen Mann und Frau bei ähnlicher Arbeit. Ebenso fehlt es an Frauen in Führungspositionen in Politik und Wirtschaft, auch wenn Konzerne zunehmend Frauen in Aufsichtsräte berufen. Bezüglich der wirtschaftlichen Gleichheit liegt Deutschland auf Platz 43 knapp hinter Kamerun und Jamaika. In den Bereichen Bildung und Gesundheit gibt es hingegen fast Bestwerte.
Kanada und Frankreich entwickeln sich positiv
Die WEF-Expertin Saadia Zahidi betont: "Gleichberechtigung ist eine moralische und ökonomische Notwendigkeit." Die Autoren der Studie verweisen auf Modelle und empirische Erhebungen, die ökonomische Vorteile der Parität aufzeigen. Bei vollständiger Gerechtigkeit könne das Bruttoinlandsprodukt der USA um 1750 Milliarden Dollar gesteigert werden. Für Deutschland sei eine Erhöhung um 310 Milliarden Dollar, also 267 Milliarden Euro, möglich. Das wäre eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um etwa zehn Prozent.
Viele Staaten der G20 scheinen diese Perspektive verstanden zu haben. Sie bemühen sich laut WEF, die Lücke zu schließen. Besonders rasch gelingt das momentan Kanada und Frankreich.
Die USA hingegen setzen den Trend der vergangenen Jahre fort und rutschen im internationalen Vergleich immer weiter ab. Mittlerweile liegen sie nur noch auf Platz 49 der Gerechtigkeitstabelle. Dafür sorgt insbesondere die schwache Stellung der Frauen in der amerikanischen Politik. Nur 20 Prozent der Kongressabgeordneten sind Frauen. In Donald Trumps Kabinett sind es 17 Prozent.