USA:Heikle Entscheidung

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Ein Arbeiter der Josh Steel Company in Pennsylvania beim Zerlegen von Stahlbauteilen: Geht der Plan der US-Notenbank nicht auf, könnte das Arbeitsplätze gefährden. (Foto: Brendan Smialowski/AFP)

Die US-Notenbank beschließt nach langem Zögern, ihren Kurs der ultralockeren Geldpolitik schrittweise zu beenden. Ob ihr der Spagat gelingt, die Inflation einzudämmen und zugleich das Wachstum weiter zu befördern, ist aber völlig ungewiss.

Von Claus Hulverscheidt

Explodierende Preise, steigende Löhne, sinkende Arbeitslosigkeit: Die US-Notenbank Fed hat am Mittwoch die Konsequenzen aus den jüngsten Konjunkturdaten gezogen und eine grundlegende geldpolitische Wende eingeleitet. Die Währungshüter kündigten in Washington an, man werde noch im November damit beginnen, die massiven Käufe von US-Staatsanleihen und hypothekenbesicherten Wertpapieren schrittweise zu reduzieren. Mit dem Programm pumpt die Fed seit Ausbruch der Corona-Krise bisher Monat für Monat 120 Milliarden Dollar in die Wirtschaft, um die langfristigen Kreditzinsen niedrig zu halten und die Konjunktur zu stabilisieren. Künftig soll die Summe um 15 Milliarden Dollar pro Monat sinken.

Für die US-Bürger dürfte der Ausstiegsbeschluss vorerst folgenlos bleiben, auch wenn mittelfristig die Kreditkosten für Autokäufer oder Bauherren steigen könnten. Dennoch lässt sich die Tragweite der Entscheidung kaum überschätzen, denn dahinter steckt nicht weniger als der Versuch, die Inflation einzudämmen, die Null-Zins-Politik perspektivisch zu beenden und zu normaleren Leitsätzen zurückzukehren. Ob das gelingt, ist völlig offen.

Die Fed hatte zu Beginn der Corona-Pandemie mit ihren entschlossen Zinssenkungsmaßnahmen maßgeblich dazu beigetragen, einen noch dramatischeren Absturz der US-Wirtschaft zu verhindern. Mittlerweile allerdings zeigen sich auch die Schattenseiten der ultra-lockeren Geldpolitik: Zwar ist sie nicht die Ursache der jüngsten Preisschübe bei Benzin, Gas und vielen Alltagsgütern, die die US-Inflationsrate auf zuletzt 5,4 Prozent getrieben haben. Sie begünstigt die Entwicklung aber.

Umso deutlicher ist nun das Signal, das die Fed mit ihrem Beschluss sendet. Er bedeutet nicht nur, dass sie die Inflationsentwicklung mittlerweile durchaus besorgt. Vielmehr steigt auch der Druck auf die anderen großen Notenbanken der Welt, sich ihrerseits noch kritischer mit den Preissteigerungen auseinanderzusetzen - etwa die Europäische Zentralbank (EZB): Sie zögert bisher mit einer Entscheidung, da die Inflationsraten in den 19 Ländern der Euro-Zone weiterhin sehr unterschiedlich sind. Fakt ist aber auch, dass sich der Durchschnittswert binnen Monaten auf 4,1 Prozent verdoppelt hat. Deutschland liegt mit 4,5 Prozent sogar noch darüber.

Die Fed hat lange versucht, langfristige Kreditzinsen niedrig zu halten

Mit dem Einstieg in den Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik bereitet die Fed zugleich das Feld dafür, neben den lang- auch die kurzfristigen Kreditzinsen wieder ins Visier zu nehmen. Viele Experten erwarten, dass die Notenbank nach dem mutmaßlichen Ende aller Wertpapierkäufe Mitte 2022 beginnen wird, ihren wichtigsten Leitzins, die sogenannte Tagesgeldzielspanne, von derzeit faktisch null Prozent etappenweise anzuheben. Es wäre der erste Zinsschritt seit März 2020 und die erste Erhöhung seit Dezember 2018. Am Mittwoch sah der geldpolitische Ausschuss von einem solchen Schritt noch ab. Fed-Chef Jerome Powell sagte, es sei "noch nicht an der Zeit, die Leitzinsen zu erhöhen".

Powell hatte lange darauf gehofft, dass der Preisdruck bald schon von alleine wieder verschwinden wird, da er vor allem auf vorübergehende Produktions- und Lieferengpässe infolge der Pandemie zurückzuführen ist. Der Notenbankpräsident räumte nun ein, dass das Problem größer sei als zunächst angenommen. "Das Maß an Inflation, das wir im Moment haben, ist nicht das, was wir unter Preisstabilität verstehen", sagte er. Dabei wisse er, das die hohen Kosten etwa für Benzin und Lebensmittel vor allem Menschen mit geringen Einkommen zu schaffen machten. Die Fed gehe aber weiter davon aus, dass der Inflationsdruck vom nächsten Sommer an wieder nachlassen werde - erheblich später als gedacht. Sollte sich selbst diese Prognose als zu optimistisch erweisen, werde die Notenbank "nicht zögern und handeln".

Die Entscheidung könnte die Teuerung weiter befeuern

Der Fed-Chef verwies zugleich darauf, dass die hohe Inflationsrate nicht die einzige Herausforderung für seine Institution sei. Vielmehr seien auch die pandemiebedingten Probleme auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt noch lange nicht überwunden. Tatsächlich liegt die Zahl der Beschäftigten immer noch um mehrere Millionen unter dem Ausgangswert vom Februar 2020, wobei angesichts der Rekordzahl an offenen Stellen nicht ganz klar ist, ob die betroffenen Bürger keine Arbeit finden oder derzeit gar nicht danach suchen. Powell sagte, er gehe davon aus, dass viele Menschen derzeit nicht arbeiten könnten oder wollten, weil sie etwa Kinder betreuen müssten oder weiter Angst vor einer Infektion am Arbeitsplatz hätten.

Die Fed steht damit vor dem Dilemma, dass ihre beiden gesetzlichen Ziele - Vollbeschäftigung und Preisstabilität - derzeit eigentlich unterschiedliche Antworten erfordern. Entsprechend riskant ist jedwede Entscheidung: Strafft die Notenbank die Geldpolitik zu früh, könnte sie die wirtschaftliche Erholung damit abwürgen. Das wäre nicht nur für viele Arbeitnehmer, die erneut den Job verlören, eine Katastrophe, sondern auch für die Regierung von Präsident Joe Biden, die nach mehreren billionenschweren Paketen zur Bewältigung der Pandemie kaum noch finanziellen Spielraum hat. Umgekehrt könnte ein zu langes Zögern der Notenbank noch gravierendere Konsequenzen haben: Ließen die Währungshüter es zu, dass sich die Inflationserwartungen verfestigten und in eine Lohn-Preis-Spirale mündeten, müssten sie die Leitzinsen im Anschluss nur umso kräftiger anheben. Die mutmaßlichen Folgen wären eine Rezession und ein Börsen-Crash.

Die Finanzmärkte reagierten zunächst verunsichert auf die Fed-Entscheidung. Einerseits war der Ausstiegsbeschluss exakt so erwartet worden, andererseits ist vielen Händlern offenbar nach wie vor unklar, wie ernst die Notenbank die jüngsten Inflationszahlen nun nimmt. Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung bezeichnete die US-Entscheidung hingegen als Beleg dafür, dass "die Fed handlungsfähiger als die EZB" sei. In Europa sei unklar, ob die Finanzierung hoch verschuldeter Staaten noch funktionieren würde, wenn auch die EZB ihre Anleihekäufe einstellte, so Heinemann.

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