Fast Fashion:Zara hat die Wegwerfmode perfektioniert

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"Schnell waren sie schon immer": Zara expandiert in aller Welt. (Foto: dpa)

Keine andere Firma steht so für "Fast Fashion" wie Zara. Während bei H&M die Gewinne einbrechen, wächst der Konzern sogar noch. Wie macht er das? Ein Besuch.

Von Silke Wichert, Arteixo

Irgendwo zwischen dem Gang durch die dritte hockeyplatzgroße Designabteilung, dem Besuch der hauseigenen Fotostudios und dem unterirdischen Logistikzentrum, wo die Arbeiter mit Fahrrädern durch die riesige Halle fahren, setzt die Erkenntnis ein: Das mit dem bequemen Schuhwerk, das war ein wirklich sinnvoller Hinweis. Ungefähr fünf Kilometer Wegstrecke würde man beim Besuch der Zentrale des Zara-Mutterkonzerns Inditex zurücklegen, hatte der spanische Mitarbeiter gesagt. Man dürfe sich alles angucken, alles schreiben - nur bitte niemanden direkt zitieren.

Über sich selbst redet man hier nicht so gern, bis heute hat Zara noch keine Seite Werbung geschaltet. Lieber sollen die Leute über dich reden, so die Devise des Firmengründers Amancio Ortega, mit der er bis jetzt gut gefahren ist: Inditex ist das größte Textilunternehmen der Welt. Während bei H&M, der Nummer zwei, die Gewinne zuletzt um fast die Hälfte einbrachen, wuchsen sie bei Inditex überraschend auch im ersten Quartal 2018 leicht weiter. 2017 lagen die Umsätze bei 25,3 Milliarden Euro. Längst ist Ortega einer der reichsten Männer der Welt.

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Dior oder Zara, Givenchy oder H&M: Kurz nachdem die Designer ihre neue Mode auf den Schauen gezeigt haben, ziert sie auch schon die Schaufenster der Billigketten. Davon profitieren aber längst nicht nur die Kopisten.

Von Silke Wichert

Arteixo, ein schmuckloser Ort südwestlich der galicischen Hafenstadt La Coruña, wird deshalb unter Spaniern gern scherzhaft "Amanciotown" genannt. Das eingezäunte Firmengelände mit verglasten Büroblöcken wirkt wie ein Forschungscampus. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen riesige Fertigungs- und Lagerhallen mit angedockten Lkw davor und eigenem Windrad daneben. Ein Großteil der circa 30 000 Einwohner arbeitet direkt oder indirekt für den Inditex-Konzern, zu dem auch Marken wie Massimo Dutti und Bershka gehören. Die Buchhandlung am Flughafen ist entsprechend sortiert: In der Auslage liegen Biografien des Firmengründers, daneben die seiner verstorbenen Ex-Frau und das Buch des aktuellen CEOs Pablo Isla.

Ortega ist hier allgegenwärtig, obwohl es von ihm kaum Fotos und erst recht keine Interviews gibt. Angeblich soll der 82-Jährige immer noch fast täglich in einem der Großraumbüros sitzen oder drüben im neuen Flachbau in die Kantine gehen. Aber auf dem Weg dorthin sieht man nur die Rasenmäherroboter, die auf den Grünflächen ihre Kreise ziehen. Wahrscheinlich das einzige Produktdesign, das hier nicht ständig wechselt.

Zara steht für schnelles Abkupfern von Laufstegtrends zum Mitnahmepreis

Denn Inditex und allen voran Zara stehen ja wie kein anderes Unternehmen für "Fast Fashion". Das schnelle Abkupfern von Laufstegtrends zum Mitnahmepreis. Anfangs war dieses Kopieren noch unerhört, mittlerweile ist längst eine eigene Disziplin daraus geworden, die niemand so gut beherrscht wie die Spanier. Weil Inditex ein extrem "logistikgetriebenes Unternehmen" sei, wie es im Marketingsprech heißt. Übersetzt: Die Ware gelangt schnell von A nach B. Alle Prozesse greifen ineinander, vieles ist automatisch gesteuert. Zwei Stunden nach Bestellung macht sich heute ein Paket auf den Weg zum Empfänger. Und weil im Gegensatz zur Konkurrenz fast sechzig Produzent in Ländern wie Spanien, Portugal oder der Türkei produziert werden - so jedenfalls steht es im Geschäftsbericht - können die Spanier schneller reagieren. Zwar sind die Kosten dadurch höher, aber vom neuen Entwurf bis an die Ladenstange dauert es so manchmal nur zehn bis 14 Tage.

"Schnell waren sie schon immer", sagt Lluis Martinez Ribes, Dozent für Marketing an der Universität Esade in Barcelona. "Schnell sind andere mittlerweile auch." Aber der Takt mache nicht den Unterschied, meint er, sondern wie konsequent Inditex sein Modell durchhämmert, wie "ganzheitlich" sie dort denken.

Die schiere Größe des Areals in Arteixo veranschaulicht zumindest: Von Outsorcing hält dieser Konzern nicht viel. Eigene Fertigung, eigene Fotostudios, eigene Architekten, sogar eine Schreinerei, die Teile des Mobiliars der weltweiten Shops baut. Amanciotown ist in jeder Hinsicht die Schaltzentrale: Wenn im Store in Tokio die Klimaanlage ausfällt, wird sie vom Technikraum im Hauptgebäude aus neu gestartet. "Bevor Inditex ständig Leuten erklären muss, wie sie es gerne hätten, machen sie es lieber selbst", sagt Martinez Ribes.

Ortega wurde als Sohn eines Eisenbahners geboren. Mit 14 musste er die Schule abbrechen und jobbte als Laufbursche für einen Hemdenverkäufer. Mit Mitte 20 machte er mit seiner damaligen Frau im Wohnzimmer die erste eigene Kollektion: wattierte Morgenmäntel in schrillen Farben, die in den Sechzigerjahren im rauen Klima Nordspaniens so schick wie praktisch erschienen. Ortega bot sie für die Hälfte des Preises der Konkurrenz an. Außerdem, so erzählt man sich, habe der junge Mann seine Kunden immer ausgefragt: Was hättet ihr sonst noch gern? Was können wir bei einem Teil verbessern? Die Kunden nannten ihm ihre Wünsche, Ortega reagierte, und vergrößerte sich stetig. 1975 eröffnete der erste eigene Laden in La Coruña. "Zorba" sollte er heißen. Dummerweise hieß eine Bar in der Nähe genauso, die Letter für die Ladenzeile waren aber schon beim Setzer. Also wurde es "Zara".

Das bringe die Unternehmenskultur bis heute ganz gut auf den Punkt, sagt eine Storemanagerin, die seit 30 Jahren für Inditex arbeitet: "Lösungen suchen." Wer mitdenkt, könne bei Zara schnell aufsteigen, von der Verkäuferin zur Managerin. Gezahlt wurde früher vorzüglich, heute vergleichsweise immer noch gut. "Die Konzernleitung weiß, dass das eigentliche Schlachtfeld immer noch die Verkaufsflächen sind", erzählt sie. "Also geben sie uns das Gefühl, das sei ein Stück weit 'unser' Laden, den wir führen." Fast sektenhaft sei der Zusammenhalt. Jeden Morgen, bevor aufgesperrt wird, gibt es in jeder Filiale das "Buenos dias"-Meeting: Was steht heute an, wonach suchen die Kunden gerade? Was nachordern oder erst mal nach hinten räumen? Ständig würden sie nach ihrer Meinung gefragt. In Arteixo gibt es eine Ladenstraße mit echten Boutiquen - nur zu Simulationszwecken. Hier werden die Schaufenster und Regale vordekoriert, aber die Storeleiter können Auslage und Ordermengen anpassen, wenn sie glauben, ihre Kundschaft ticke anders.

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Den Kunden die Wünsche nicht von den Augen ablesen, sondern abfragen - das ist bis heute das Erfolgsrezept von Inditex. Überspitzt gesagt, machen sie keine Designerkollektionen, sondern Datenkollektionen. Die dann aber mit Know-how: Allein 700 Designer sind im Unternehmen angestellt, 350 von ihnen bei Zara. In der Kinderabteilung wird gerade zu viert die Fellkapuze eines Anoraks diskutiert. Daneben passt eine junge Frau einer Babypuppe eine Cordhose an. Vorher hat sie ihr eine Windel übergezogen. Auch für 9,99 Euro soll das Ding sitzen.

Jedes Designzentrum ist gleich aufgebaut: In der Mitte der offenen Büroetage steht ein langer Tisch mit den Produktmanagern, links von ihnen sitzen hinter Stellwänden die Designer, Schnittmacher und Näherinnen für die Prototypen, rechts davon die internen Einkäufer. Bei den Produktmanagern sieht es ein bisschen aus wie bei den UN: Aus beinahe jedem der 96 Länder, in denen Zara Shops betreibt, sitzt ein Vertreter am Tisch. Bei ihnen läuft alles zusammen. Laufend telefonieren sie ihre Märkte ab: Was zeigen die Daten, was sagen die Kunden? Warum nehmen sie ein Teil am Ende doch nicht? Falsche Farbe, störende Gesäßtaschen? Danach wird geprüft, was neben der Basiskollektion noch aktuell entworfen wird.

Während andere Marken häufig in möglichst großen Stückzahlen fertigen, um die Kosten zu drücken, sind es hier vergleichsweise kleine Mengen eines Entwurfs. Alle sollen Zara tragen, aber nicht alle dasselbe. Bei H&M war zuletzt von tonnenweise nicht verkaufter Kleidung die Rede, die verbrannt wurde. Ladenhüter? Hätten sie nicht, heißt es in Spanien. Was an einem Ort hängen bleibt, wird dahin verschoben, wo es läuft. Nie wird ein Artikel exakt gleich nachproduziert. Selbst dann nicht, wenn auf Social Media plötzlich alle das ausverkaufte weiße Fransenkleid für 15,99 Euro wollen, das Ortega-Tochter Marta im Juli bei der Haute-Couture-Woche trug. Wenig später hing es in Petrolgrün in den Läden.

Fast Fashion und Nachhaltigkeit, das schließt sich weitgehend aus

In der Online-Abteilung von Zara steht man vor einer großen Anzeigetafel mit dynamischen, farbigen Kreisen. 42013 User surfen gerade auf zara.com, die meisten sitzen in England und Spanien. Die orangen Kreise zeigen an, was weltweit gesucht wird. "Kaftan", "Sale", "Bodybag". Die grünen Kreise, was gesucht und auf der Seite auch gefunden wird. Aber die wirklich wichtigen Kreise sind die lilafarbenen: Begriffe, die die Kunden eingeben, ohne Treffer zu erzielen. Heute etwa "Leo Cowboyboots", Zara hat nur welche in Schlangenoptik. Noch. Das Internet ist ein Abfrageparadies, von dem der junge Ortega nur träumen konnte.

Trotzdem werden laut Geschäftsbericht bisher lediglich zehn Prozent des Umsatzes online gemacht. Im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg von 42 Prozent, aber insgesamt kaum mehr als bei H&M. Nach deren katastrophalen Ergebnissen hieß es: "H&M kann kein Online." Kann Zara es womöglich auch nicht? Der Mitarbeiter, dessen Namen man nicht nennen darf, lächelt genüsslich. Online, offline, diese Trennung interessiere sie im Grunde nicht. Wenn jetzt jemand im Laden ein Produkt mit der App scannt und es dann mit einem Klick zu sich nach Hause schicken lässt - sei das noch online oder offline? Und im Internet bestellen, die Box aber im Laden abholen? In einigen Zara-Filialen gibt es seit Kurzem eine automatisierte Abholstation für Pakete. Das werde die Branche revolutionieren, glaubt Marketingexperte Martinez Ribes.

Für die Klimabilanz ist dieses ganze Rumgeschicke natürlich fatal. Auch sonst hört man beim Thema Ökologie im Vergleich zu Schweden hier eher wenig. Fast Fashion und Nachhaltigkeit, das schließt sich weitgehend aus. Aber ein bisschen was gibt es doch: Mit dem MIT in Massachusetts wird über die Verarbeitung recycelter Materialien geforscht, knapp achtzig Prozent der Läden wurden in den letzten fünf Jahren renoviert und arbeiten ökoeffizient. Laut Greenpeace ist Zara bei der Vermeidung von Giftstoffen in der Herstellung weiter und transparenter als die meisten Luxusmarken.

Aber wie lange kann dieses Geschäftsmodell noch gut gehen? Immer mehr Wegwerfmode mit immer kürzerem Haltbarkeitsdatum - hat der Kunde nicht irgendwann genug davon? Der Mitarbeiter zuckt mit den Schultern. Sie reagieren hier nur.

© SZ vom 01.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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