Standort Deutschland:Integration von Amts wegen gescheitert

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Fachkräfte werden in der Wirtschaft gesucht, und Manager klagen ständig über einen Mangel an Arbeitern. Doch an den Gewinnen werden diese selten beteiligt. (Foto: Jakob Studnar/IMAGO)

Um offene Stellen zu besetzen, müssten eigentlich jedes Jahr Hunderttausende Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland ziehen. Private Vermittler versuchen, ihnen zu helfen - und scheitern oft selbst an der Bürokratie.

Von Felicitas Wilke

Im Arbeitsalltag von Csilla Rostas gibt es einen Joker, er heißt: beschleunigtes Fachkräfteverfahren, Paragraf 81a im Aufenthaltsgesetz. Wenn die Mühlen der deutschen Behörden mal wieder langsam mahlen, versucht die Juristin, auf diesem Weg ausländische Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Bürokratie im Schnelldurchlauf sozusagen - viele dringend nach Mitarbeitern suchende Arbeitgeber zahlen dafür gerne 411 Euro extra an Verwaltungsgebühren. Doch in diesem Jahr musste Rostas lernen, dass nicht immer beschleunigt wird, wo der Staat es verspricht.

Im Februar habe sie einen Antrag für zwei indische Ingenieure gestellt, deren Expertise für ein Projekt in einem Unternehmen im Westen der Republik gebraucht wurde. Es wurde März, sie fragte nach, es wurde April, sie hörte nichts, es wurde irgendwann August, eine Kollegin beschwerte sich. Kurz darauf erhielt der eine Interessent doch noch sein Visum und konnte anfangen. Dem anderen dauerte es zu lange, er hatte in der Zwischenzeit das Interesse verloren und sagte ab. Rostas kommentiert unerschütterlich: "Ich habe daraus gelernt, dass es nicht in jeder Kommune sinnvoll ist, das beschleunigte Verfahren zu nutzen." Mancherorts sei der konventionelle Weg schneller. Oder weniger langsam, besser gesagt.

Und damit willkommen im Einwanderungsland Deutschland.

Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer rechnete im Sommer in der SZ vor: Es brauche hierzulande jedes Jahr eine Nettozuwanderung von 400 000 Menschen, damit die anfallende Arbeit in Kliniken, an Maschinen und vor Computern erledigt werden kann. Im ersten Halbjahr 2022 konnten die Betriebe bereits rund 45 Prozent der offenen Stellen für Fachkräfte nicht besetzen. Das zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem November.

Deutschland als "dysfunktionale Bürokratie"

Csilla Rostas hat es sich zur Aufgabe gemacht, das zu ändern. Sie arbeitet seit anderthalb Jahren für IRC, eine Relocation-Agentur aus Berlin. Diese Dienstleister unterstützen Unternehmen dabei, auf bestimmte Stellen passende Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Sie arbeiten aber auch direkt für Menschen, die hier leben und arbeiten möchten. Rostas kommt ursprünglich aus Ungarn und lebt selbst erst seit drei Jahren in Deutschland. Vorher arbeitete sie lange in Brüssel im EU-Umfeld. Man könnte sagen, mit Bürokratien kennt sie sich aus. Wenn sie über Deutschland spricht, stellt sie noch ein Adjektiv davor: Eine "dysfunktionale Bürokratie" sei dieses Land im Umgang mit Zuwanderern mitunter, sagt sie. Und klingt dabei eher erstaunt als erzürnt.

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Es gehe meist schon in den Heimatländern der potenziellen Neuankömmlinge los. Wer aus einem Drittstaat kommt, also nicht wie Rostas aus einem EU-Land, braucht ein Visum, um einzureisen und zu arbeiten. "Doch in den deutschen Konsulaten in vielen Ländern müssen die Menschen teilweise monatelang auf einen Termin warten", stellt die Juristin immer wieder fest. Etwa in der Türkei sei das so, in Tunesien auch. Es sind Monate, in denen Stellen hierzulande unbesetzt bleiben und sich Arbeit türmt - und Monate, in denen der Software-Ingenieur aus Izmir früher oder später womöglich "Work in Canada" googelt. Soll ja auch schön sein dort.

Nicht nur in den Konsulaten im Ausland, sondern auch in Deutschland ziehen sich die Prozesse oft lange hin. Mit den Ausländerbehörden dort steht Rostas vorwiegend zu einem späteren Zeitpunkt in Kontakt, etwa um einen Aufenthaltstitel zu beantragen oder Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen. Auch hier erlebt sie lange Wartezeiten - so wie im Fall der beiden Inder, wo sich das beschleunigte Verfahren als reichlich stotternd entpuppte. "Es gehört zu meinem Job dazu, wochenlang auf Antworten aus den Behörden zu warten, nachzufragen, keine Antwort zu erhalten und wieder nachzufragen", sagt Rostas.

Die Ausländerbehörden sind überfordert

Im Herbst dokumentierte eine Befragung von Forschenden der Universitäten aus Hildesheim und Duisburg-Essen die Überforderung in deutschen Ausländerbehörden: So erklärten 92 Prozent der 90 befragten Vertreter von Ämtern, ihre Arbeitsbelastung habe in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Viel zu wenig qualifiziertes Personal für viel zu viel Arbeit, unbeantwortete E-Mails, so viele Anrufe, dass es unmöglich ist, auf jeden zu reagieren: Der Frust ist auch bei den Menschen in den Ämtern groß, das legt die Studie nahe. Wo der Fachkräftemangel gelöst werden soll, fehlt es ebenso an ausreichend Personal.

Doch die Wissenschaftler bemängeln noch ein weiteres, ein grundsätzliches Problem: Sie beschreiben die Einwanderungspolitik hierzulande als "janusköpfig", irgendwo "zwischen Fachkräftemangel und Einwanderungskontrolle". Mit dem Slogan "Make it in Germany" wirbt das Land einerseits um Arbeitskräfte aus dem Ausland, gleichzeitig brüten Politikerinnen und Politiker über der Frage, wie sich das Leben für Geflüchtete etwas weniger komfortabel gestalten lässt, als dies bislang angeblich der Fall ist. Die Menschen in den Ausländerbehörden kümmern sich in der Regel gleichzeitig um die Anliegen beider Gruppen. "Die Behörden in Deutschland sind vor allem darauf ausgelegt, Anträge zu prüfen, und nicht darauf zu beraten", sagt Axel Plünnecke, der am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln zur Migration von Fachkräften forscht. Er findet: "Etwas mehr Serviceorientierung wäre hilfreich."

Das denkt sich auch Csilla Rostas, wenn sie nach Wochen einen Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung abgelehnt zurückgeschickt bekommt, weil die Graustufen in der Kopie der mitgelieferten Arbeitsnachweise nicht den Vorstellungen der Behörde entsprachen. Oder das Amt anders als in der Nachbarkommune auf eine beglaubigte Übersetzung des Uni-Diploms Wert legt. Sei alles schon vorgekommen, sagt sie, nicht nur einmal. "Ich muss für jede Kommune einzeln recherchieren, welche Dokumente dort benötigt werden", sagt sie. Spricht man mit Vertreterinnen und Vertreter anderer Relocation-Firmen, klingt das ähnlich: Auch sie wünschen sich über Kommunen und Länder hinweg einheitlichere Anforderungen und Checklisten, welche Dokumente sie einreichen müssen. "Mehr Konsistenz statt Chaos", sagt einer, und: mehr Personal. Gerade bekämen sie den Frust von allen Seiten ab - von ungeduldigen Unternehmen und ausländischen Fachkräften, aber auch von den Menschen in den überlasteten Behörden, bei denen sie ein ums andere Mal nachhaken müssen.

Ein neues Gesetz soll es Fachkräften erleichtern, nach Deutschland zu kommen

Gute Ansätze gebe es durchaus, sagt Csilla Rostas. In Berlin kann sie, wenn sie eine Fachkraft direkt für ein bestimmtes Unternehmen ins Land holen will, den sogenannten Business Immigration Service nutzen. Diese Stelle trage das Wort "Service" nicht umsonst im Namen, lobt Rostas, die Menschen dort reagierten in der Regel schnell auf Anträge, achteten auf einheitliche Prozesse und beantworteten Fragen. "Mehr solcher Einrichtungen wären eine große Hilfe", sagt sie.

Eine einfachere Integration von qualifizierten Menschen aus Drittstaaten verspricht auch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im November schrittweise in Kraft getreten ist. Damit dürfen beispielsweise auch erfahrene IT-Fachkräfte aus dem Ausland ohne spezifischen Abschluss in diesem Bereich hierzulande arbeiten. Auch wird es Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland erleichtert, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen, sofern sie für deren Lebensunterhalt sorgen können. Die sogenannte Chancenkarte, die auf einem Punktesystem basiert, soll es Menschen aus Drittstaaten im Laufe des kommenden Jahres erstmals ermöglichen, in Deutschland auf Jobsuche zu gehen. Wer sie erfolgreich beantragt hat, bekommt eine Aufenthaltserlaubnis für maximal ein Jahr. Eine Idee, die Axel Plünnecke vom IW Köln für sinnvoll hält. Schon heute arbeiteten 120 000 Menschen aus Drittstaaten hierzulande in akademischen MINT-Berufen - viermal so viele wie vor zehn Jahren. "Sie alle haben Kontakte in ihre Heimatländer, wo Freunde, Bekannte und ehemalige Kollegen künftig von der Chancenkarte profitieren könnten", sagt Plünnecke.

Doch Anträge müssen auch sie ausfüllen, auf einen Termin in Behörden werden auch sie warten müssen. "Das beste Gesetz hilft nicht viel, wenn die Probleme in den Prozessen nicht gelöst werden", sagt Csilla Rostas. Die Arbeit dürfte ihr nicht so schnell ausgehen.

Die nächste Folge der SZ-Serie "Deutschland, was geht?" erscheint am Mittwoch, 27.12.2023. Alle Folgen unter: sz.de/standort .

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