Facebook:Zielgruppe "Judenhasser"

Lesezeit: 3 Min.

Facebook will ein "sicherer Ort" sein, an dem sich Nutzer wohl fühlen können - dieser Verantwortung wird das Netzwerk nicht immer gerecht. (Foto: dpa)
  • Facebook hat es Seitenbetreibern ermöglicht, gezielt antisemitische oder rassistische Nutzer anzusprechen oder Werbung für diese Zielgruppen zu schalten.
  • Im Anzeigenmanager ließen sich Interessen wie "Wie verbrennt man Juden" oder "Ku-Klux-Klan" auswählen.
  • Facebook hat die genannten Begriffe entfernt. In einem Test von SZ.de tauchten aber immer noch zahlreiche weitere fragwürdigen Kategorien auf.
  • Das Unternehmen ist bereits mehrfach mit umstrittenen Werbemöglichkeiten in die Kritik geraten.

Von Simon Hurtz

Eine Werbeanzeige zielgenau an Menschen ausspielen, die sich für Himmler, Göring und Goebbels interessieren und die "Hitler-Partei" als ihren Arbeitgeber nennen? Oder Geld bezahlen, damit ein Beitrag Nutzern angezeigt wird, die sich selbst als antisemitisch einstufen und ein Like für "Juden raus!" vergeben? Facebook macht es möglich.

Unternehmen, Politiker, Medien oder Privatpersonen, die eine Facebook-Seite betreiben, konnten bis zum gestrigen Donnerstag aus etlichen fragwürdigen Zielgruppen auswählen, um personalisierte Werbung zu schalten oder die Reichweite von Beiträgen bei genau diesen Nutzern zu erhöhen. Wer unter den zwei Milliarden Mitgliedern des Netzwerks gezielt Antisemiten (Interesse: "Wie verbrennt man Juden"), Islamhasser ("Muslime töten"), Frauenfeinde ("Bitches umbringen") oder Rassisten ("Ku-Klux-Klan") ansprechen möchte, benötigt dafür nur wenige Klicks und ein paar Euro.

Facebook
:Sieben Dinge, die ich in der rechten Facebook-Echokammer gelernt habe

Ende 2015 erstellte unser Autor ein zweites Facebook-Profil. "Tim" öffnete ihm die Tür zu einer Parallelwelt, die ihn zwischenzeitlich an seinen Überzeugungen zweifeln lässt.

Von Simon Hurtz

Drei Journalistinnen des Recherche-Kollektivs ProPublica hatten herausgefunden, dass Werbetreibende ihre Anzeigen unter anderem an "Jew Haters" ausspielen können. Sie zahlten 30 Dollar, um drei Beiträge ihrer eigenen Seite für entsprechende Zielgruppen sichtbar zu machen. Facebook habe alle drei derart beworbenen Beiträge binnen einer Viertelstunde akzeptiert. Nachdem ProPublica Facebook damit konfrontierte, deaktivierte das Unternehmen diese Möglichkeit.

In einem Test von SZ.de war es am Freitagmittag aber nach wie vor möglich, in Facebooks Anzeigenmanager Interessen wie "Heil Hitler!", "Juden raus!" oder "German Schutzstaffel" auszuwählen. Auch das US-Magazin Slate fand zahlreiche weitere fragwürdige Kategorien. Eine Sprecherin sagte, dass es einige Zeit dauern könne, bis sämtliche Einträge überprüft worden seien.

Algorithmen erkennen Schnittmengen zwischen Neonazis und AfD-Fans

Die potenzielle Zielgruppe für Werbung oder gesponserte Beiträge muss bei Facebook eine gewisse Größe erreichen, damit die Kampagne gestartet werden kann. So hätte SZ.de etwa keine Anzeige für Nutzer schalten können, die ein Like für Heinrich Himmler, Hermann Göring und Joseph Goebbels vergeben haben und ihrem Profil zufolge für die "Hitler-Partei" arbeiten.

Facebooks Algorithmen schlagen selbstständig Kategorien vor, mit denen sich die Zielgruppe passend erweitern lässt. Anscheinend gibt es unter Facebooks Mitgliedern eine überraschende Korrelation zwischen einem ausgeprägten Interesse für dubiose historische Persönlichkeiten und der Affinität für eine Partei, die bisweilen Mühe hat, sich von diesem Kapitel der deutschen Geschichte zu distanzieren: Folgt man Facebooks Anregung und fügt seiner Zielgruppe Fans der AfD zu, steigt die potenzielle Reichweite von 18 000 auf 437 000 Nutzer, und die Anzeige kann geschaltet werden.

Himmler, Göring, Goebbels und die "Hitler-Partei" ergeben eine zu kleine Zielgruppe. Also schlägt Facebooks Anzeigenmanager die AfD vor, damit die Werbung geschaltet werden kann. (Foto: SZ.de / Screenshot)

Selbst wenn es stimmt, was Facebook beteuert, und es nur um eine "unglaublich kleine Zahl von Menschen" geht, die mit den Anzeigen erreicht werden, zeigt der Fall erneut, dass der Konzern bisweilen nicht mehr Herr seiner eigenen Algorithmen ist. Offenbar wurden die Kategorien automatisch aus Einträgen erstellt, die Nutzer selbst eingetragen hatten. Bislang hatte es Facebook anscheinend vergessen oder nicht für nötig gehalten, diese Angaben zu überprüfen, um zu verhindern, dass rassistische und antisemitische Nutzer-Cluster gebildet werden.

Facebook hatte mehrfach Probleme mit fragwürdigen Werbemöglichkeiten

Algorithmen und Werbung sind für Facebook die Grundlage seines finanziellen Erfolgs. Komplexe Berechnungen auf Grundlage tausender unterschiedlicher Faktoren sollen sicherstellen, dass Nutzer in ihren Timelines Beiträge sehen, die sie interessieren. Nur dann verbringen immer mehr Menschen immer mehr Zeit auf Facebook und werden dabei Anzeigen mit Anzeigen konfrontiert - mit denen Facebook alleine im ersten Halbjahr 2017 knapp sieben Milliarden Dollar verdient hat.

In Kombination mit einer gewissen Arglosigkeit (manche nennen es auch Verantwortungslosigkeit) haben sich Facebooks Erfolgsfaktoren aber schon öfter zu einem Bumerang entwickelt. Im vergangenen Jahr enthüllte ebenfalls ProPublica, dass es möglich war, Werbung so zu schalten, dass sie bestimmte ethnische Gruppen nicht zu Gesicht bekommen. So konnte etwa ein Immobilienmakler eine Wohnung bewerben, aber ausschließen, dass die Anzeige an schwarze Facebook-Nutzer ausgespielt wird - was nicht nur moralisch fragwürdig war, sondern auch gegen US-Recht verstieß.

Vor einigen Monaten geriet das Netzwerk in die Kritik, weil es Werbetreibenden angeblich ermöglichte, gezielt Jugendliche mit geringem Selbstwertgefühl anzusprechen. Zuerst entschuldigte sich Facebook, überlegte es sich später aber anders und dementierte die Vorwürfe. Und erst vor wenigen Tagen musste das Unternehmen eingestehen, dass russische Auftraggeber während des US-Wahlkampfs Propaganda-Anzeigen im Wert von 100 000 Dollar gekauft hatten, vermutlich, um die amerikanische Innenpolitik zu beeinflussen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Bundestagswahl
:Bringen Sie Licht in den dunklen Facebook-Wahlkampf

Auf Facebook können Kandidaten ihre Wahlwerbung für bestimmte Menschen maßschneidern - und keiner weiß, wer welche politischen Botschaften sieht. Mit diesem Tool können Nutzer mithelfen, Tricks der Parteien aufzudecken.

Von Jannis Brühl und Vanessa Wormer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: