Studie:"EZB subventioniert die Banken"

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Bankenviertel in Frankfurt/Main. Immer mehr Kritiker beklagen, dass mit der EZB-Politik Milliarden in die Türme der Geldhäuser gepumpt werden. (Foto: Arnulf Hettrich /imago images)

Ob hohe Leitzinsen wie derzeit oder Nullzins: Die Geldpolitik der Notenbank hat Europas Kreditinstituten leicht verdiente Milliarden beschert, kritisiert die Initiative Finanzwende.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Am Donnerstag wird die Europäische Zentralbank die Leitzinsen wohl zum achten Mal hintereinander erhöhen. Danach könnte bald Schluss sein, denn Experten erwarten, dass der Gipfel im Sommer erreicht ist. Der Leitzins liegt derzeit bei 3,75 Prozent, ein weiterer Aufschlag von 0,25 Prozentpunkten gilt als wahrscheinlich. Die Notenbank hat die schnellste Zinswende ihrer Geschichte hingelegt - noch im Juli 2022 lag der Leitzins bei null Prozent.

Ein großer Profiteur der straffen Geldpolitik sind Europas Banken. Die Kreditinstitute erhalten auf ihre Einlagen bei der Notenbank inzwischen einen Zins von 3,25 Prozent - das ist mehr als deutsche Staatsanleihen abwerfen. Gleichzeitig geben die Banken nur Spurenelemente des Zinsvorteils an ihre Kunden weiter - und der Finanzsektor konnte auch schon zu Nullzinszeiten aus der Geldpolitik Profit schlagen. Die Debatte, ob die Notenbank den Bankensektor auf Kosten des Steuerzahlers subventioniert, nimmt daher Fahrt auf. Die Bürgerbewegung Finanzwende schätzt den Vorteil für den Bankensektor in einer aktuellen Berechnung auf 36,6 Milliarden Euro.

"Die EZB hat die Banken bereits in der Niedrigzinsphase subventioniert, jetzt, in der Hochzinsphase, wäre es an der Zeit, diese Gelder wieder abzuschöpfen. Doch das Gegenteil geschieht. Die Banken profitieren auch jetzt", sagt Michael Peters, Experte bei Finanzwende. Eine Subvention liege vor, wenn die Zentralbank Geld unterhalb der Marktzinsen verleiht oder oberhalb des Referenzzinssatzes verzinst. So könnten Banken ohne Risiken Erträge einfahren. Peters hat drei solcher Ertragsmöglichkeiten identifiziert:

Erstens durch das Billionen Euro teure Kreditprogramm TLTRO ( targeted longer-term refinancing operations, gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte): Banken konnten sich zwischen Juni 2020 und Juni 2022 bei der EZB günstig Geld leihen und diesen Betrag dann gewinnbringend wieder bei der Notenbank parken. Eigentlich wollte die EZB die Wirtschaft ankurbeln, denn Banken kamen erst in den Genuss der günstigen Zinsen, wenn sie ausreichend Kredite an die Wirtschaft vergaben. Aber war das nötig? Unter dem Strich dürften vor allem große Kreditnehmer profitiert haben und weniger die kleinen und mittelgroßen Firmen. Die Zinsdifferenz brachte den Banken laut Finanzwende ein Plus von rund 20,5 Milliarden Euro.

Zweitens durch Freibeträge: Zwischen Dezember 2019 und Juli 2022 lag der Zins für Bankeinlagen bei der EZB bei minus 0,5 Prozent. Nach starkem Wehklagen aus der Branche hat die EZB einen Freibetrag eingeführt, auf den dieser Negativzins nicht bezahlt werden musste. "Da die Kreditinstitute am Markt zu negativen Zinsen Geld erhalten konnten, haben sie sich dort extra zusätzliches Geld besorgt und dies bei der Notenbank angelegt, um den Freibetrag voll auszunutzen", so Peters. Die Zinsdifferenz auf Kosten der Notenbank brachte ein Plus von rund 11,6 Milliarden Euro.

Drittens über die hohe Verzinsung der Mindestreserve: Die Banken müssen bei der EZB Geld als sogenannte Mindestreserve hinterlegen. Diese Reserve wurde viele Jahre lang höher verzinst als die Finanzmärkte angeboten haben. "Auch diese Zinsdifferenz war eine Subvention", sagt Peters, der den Betrag in den Jahren 2014 bis 2022 auf rund 4,5 Milliarden Euro taxiert. Die Zahlen, die die EZB nicht kommentieren wollte, sind eine Schätzung, weil die Geschäfte im Detail sehr kompliziert nachzuzeichnen sind.

"Die Banken haben die Negativzinsen stärker an ihre Kunden weitergereicht, als sie das jetzt mit den positiven Zinsen tun"

Das Thema beschäftigt inzwischen auch das Europäische Parlament. Ein Abgeordneter konfrontierte EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der jüngsten Anhörung mit der Frage, ob die Notenbank gegenüber den Banken zu großzügig sei. Die Französin entgegnete, die EZB sei für die Preisstabilität zuständig, hohe Zinsen seien "ein Nebenprodukt der geldpolitischen Maßnahmen, die wir ergreifen müssen". Die Inflation in der Währungsunion betrug im Mai 6,1 Prozent. Das ist weniger als in den Vormonaten, liegt aber immer noch deutlich über der Zielmarke der Währungshüter in Höhe von zwei Prozent.

Bereits im Januar kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Paul De Grauwe die Bevorzugung des Bankensektors. "Die EZB wird in diesem Jahr 92 Milliarden Euro an die Kreditinstitute auszahlen", so De Grauwe in einem Artikel für das Centre for Economic Policy Research. Dieses Geld, das aus den hohen Einlagenzinsen herrühre, entgehe den Staatshaushalten, an die die EZB jedes Jahr ihre Gewinne ausschüttet.

Europas Banken sehen das naturgemäß anders. Jahrelang kritisierten sie die EZB für die Null- und Negativzinspolitik. Die Kreditinstitute mussten auf ihre Einlagen bei der Notenbank einen Negativzins bezahlen. Einen Teil dieser Kosten haben die Institute auf die Kunden umgewälzt, später gewährte die EZB besagte Freibeträge. "Die Banken haben die Negativzinsen stärker an ihre Kunden weitergereicht, als sie das jetzt mit den positiven Zinsen tun", sagt Finanzwende-Experte Peters. Darüber hinaus würden deutsche Banken in diesem Jahr rund 27 Milliarden Euro durch die hohen Einlagenzinsen einnehmen.

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