EZB:Die Notenbank muss jetzt Prügel einstecken

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Die Zentrale der Europäischen Zentralbank in Frankfurt: Die EZB will den Leitzins anheben. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Die Inflation bekämpfen und zugleich die Euro-Zone stabilisieren: Die EZB ist in einem schwierigen Zielkonflikt. Da muss sie durch.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die meisten Menschen interessieren sich wahrscheinlich nur wenig für die Preisentwicklung italienischer Staatsanleihen. Sie haben andere Sorgen, die hohe Inflation beispielsweise. Um die steigenden Preise zu bekämpfen, hat die Europäische Zentralbank vergangene Woche einen neuen Kurs eingeschlagen. Der Leitzins wird steigen, die weiteren Anleihekäufe sind beendet. Endlich, muss man sagen, denn die Notenbank hat viel zu lange gezögert, ihrer Kernaufgabe gerecht zu werden: für stabile Preise zu sorgen.

An den Börsen hat diese überfällige Zinswende die Lust an der Spekulation gestärkt. Deren Stoßrichtung lässt sich mit folgender Frage beschreiben: Wenn die Zinsen steigen, können Italien und andere finanzschwache Euro-Staaten dann überhaupt noch ihre Schulden bezahlen? Eher nicht, meinten viele, und so kam es in den Tagen nach der historischen Entscheidung der EZB zu Attacken auf italienische Staatsanleihen. Die Schuldzinsen stiegen aufgrund der Verkäufe auf über vier Prozent, so hoch wie seit 2014 nicht mehr.

Böse Erinnerungen an die Jahre 2011/2012 kommen jetzt auf. Damals bewahrte Mario Draghis "Whatever it takes"-Versprechen die Währungsunion vor dem Zusammenbruch. Doch dieses Versprechen ist in den Augen der Finanzmärkte brüchig geworden. Deshalb haben Investoren bereits wenige Stunden nach der EZB-Entscheidung zur Zinswende begonnen, die Notenbank erneut herauszufordern: Wer ist stärker?

Normalerweise ist die Antwort klar. Gegen die unbegrenzten Geldreserven einer Notenbank kann kein Spekulant gewinnen. Doch wie weit wird die EZB mit ihren Stützungskäufen gehen? Draghis vorhandenes Rettungsprogramm mit dem Kürzel OMT ist an Bedingungen geknüpft. Die hilfsbedürftigen Länder müssen zunächst wirtschaftspolitische Reformen des EU-Rettungsschirms ESM durchführen, um in den Genuss der Notenbankhilfen zu kommen. Das will sich kein Euro-Staat mehr antun , zumal die EU-Regeln zur Haushaltsdisziplin sowieso weitgehend ausgesetzt sind.

Die Euro-Staaten sind auch künftig auf billige Kredite und damit niedrige Zinsen angewiesen. Die Notenbank hingegen muss den Zins erhöhen, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Dieser Zielkonflikt ist nur schwer zu lösen - und mit der überraschenden Einberufung ihrer Notfall-Sitzung am Mittwoch zeigte die Notenbank aller Welt, wie sehr sie mit der Situation hadert: Die Bekämpfung der Inflation ist schon schwer genug. Darüber hinaus muss die EZB jetzt wieder den Schutzengel geben. Die Notenbanker haben deshalb nach ihrem Treffen versprochen, sie würden aus den vorhandenen Reserven in Höhe von 1,7 Billionen Euro im Notfall italienische Staatsanleihen kaufen, um so die Kreditzinsen zu senken.

Die Finanzmärkte treiben die Notenbank vor sich her

Wie das konkret ablaufen soll? Die EZB greift in den Markt ein, wenn die Kreditzinsen einzelner Euro-Staaten höher liegen, als es auf Basis volkswirtschaftlicher Daten eigentlich gerechtfertigt wäre. Es ist allerdings schwer, eine klare Grenze zu ziehen: Ab wann sind Kreditzinsen "zu hoch", weil Spekulanten die Preise treiben? Und wann sind hohe Zinsen wirtschaftlich gerechtfertigt? Niemand wird bestreiten können, dass die Lage der Staatsfinanzen in Italien prekärer ist als die in Deutschland. Folglich muss Italien höhere Zinsen bezahlen, um die Geldgeber für das höhere Ausfallrisiko zu entschädigen. Es wird daher viel Streit darüber geben, ab welcher Differenz zwischen italienischen und deutschen Staatsanleiherenditen die Notenbank aktiv werden oder dem Markt das Preisurteil überlassen soll.

Die Finanzmärkte treiben die Notenbank indes vor sich her. Sie bezweifeln, dass der vorhandene Billionen-Fundus im Ernstfall ausreicht - und verkaufen italienische Staatsanleihen. Deshalb hat die EZB nun versprochen, ein Draghi-Nachfolgeprogramm auszuarbeiten. An dieses Rettungspaket dürften weniger strenge wirtschaftspolitische Bedingungen geknüpft sein. Die alte Frage, ob die Notenbank mit dieser Maßnahme potenziell unerlaubte Staatsfinanzierung betreibt, dürfte eine Renaissance erleben. Erneute Klagen vor den obersten Gerichten wären dann die wahrscheinliche Konsequenz.

Die Europäische Zentralbank wird mit dieser Kritik leben müssen. Sie darf ihre gewachsene Rolle als Retterin in der Not vernünftigerweise nicht mehr abgeben. Es gibt in der EU niemanden, der einspringen könnte.

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