Expertenkommission:Weniger Staat, bessere Kontrolle

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AI - die Buchstaben stehen für "Artificial Intelligence", künstliche Intelligenz. Bisher dominieren dabei amerikanische und chinesische Firmen den Markt. (Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Wie soll Deutschland inmitten all der Krisen den Umbau des Landes schaffen? Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat da ein paar Ideen.

Von Helmut Martin-Jung und Finn Walter

Der Dramaturg einer TV-Serie über eine frisch gewählte Regierung hätte sich das vermutlich nicht getraut: Den Hauptpersonen eine derartige Menge an Knüppeln zwischen die Beine zu werfen, wie die, mit denen die Bundesregierung quasi seit Amtsantritt fertig werden muss. Die Ampelkoalition hatte sich eigentlich der Transformation des Landes verschrieben. Moderner, digitaler, klimafreundlicher sollte das Land werden. Doch die neue Regierung wurde hineingeworfen in eine Pandemie, in einen Krieg mitten in Europa, der eine Energiekrise auslöste, zudem Inflation und Wirtschaftsflaute. Da ist guter Rat erwünscht. Zuständig dafür ist auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). An diesem Mittwoch hat sie ihr jüngstes Jahresgutachten an den Bundeskanzler übergeben. Und was ist ihr Rat?

Das Gremium unter Leitung des Jenaer Wirtschaftsprofessors Uwe Cantner, sorgt sich vor allem darum, dass der notwendige Transformationsprozess vernachlässigt wird, wenn kurzfristig Löcher gestopft werden müssten. Aber nicht bloß durch diese Budgetkonkurrenz gerät der Umbau des Landes in Gefahr. "Wenn man Konjunktur anschieben möchte, muss diese Richtungsänderung auch mitgedacht werden", sagt Cantner zur Süddeutschen Zeitung. "Die Menschen kommen mit der Transformationspolitik nicht zurecht." Das liegt seiner Meinung nach daran, dass die soziale Komponente nicht in ausreichendem Maß berücksichtigt werde. "Wer kann sich denn eine Heizung für 30 000 Euro leisten?"

"Klug gesetzte Anreize"

Nach Meinung der Kommission sei die Transformation auch keine Aufgabe, die vor allem der Staat zu bewältigen habe. "Transformationspolitik bedeutet nicht Subventionspolitik", bringt es Kommissionsleiter Cantner auf den Punkt. Der Staat müsse sich eher darauf beschränken, Rahmenbedingungen zu setzen, "damit lässt sich viel erreichen", ist sich der Ökonom sicher. Es gehe zwar nicht völlig ohne Subventionen, aber eigentlich müsse die Wirtschaft die Lösung finden. Anschubfinanzierungen und "klug gesetzte Anreize" könnten Entwicklungen anstoßen. Die Lösungen sollten aber dem Markt überlassen werden, fordert die Kommission und stellt sich damit gegen eine "Ge- und Verbotspolitik, bei der politisch vorgeschriebene Lösungen umgesetzt werden müssen".

Kritik äußern die Experten auch daran, dass die Transformationspolitik "bislang wenig konsistent" sei. "Viele Maßnahmen sind weder zeitlich noch inhaltlich gut aufeinander abgestimmt", sagt Cantner. Dazu kommen die zahlreichen Krisen. Das lasse das Vorhaben eines tiefgreifenden Wandels etwa bei der Energieversorgung womöglich in weite Ferne rücken. "Jetzt müssen wir die Transformation aus einer konjunkturellen Stagnation heraus und im Kontext außenpolitischer Bedrohungen bewältigen."

"Großen Reformbedarf" sieht die Kommission auch bei der Bildung. "Wir fallen zurück bei Pisa", sagt Cantner, zum Teil sei man einfach "zu antiquiert aufgestellt". Auch in der Forschung seien die Bedingungen, unter denen sie stattfinden kann, oft zu kompliziert. Cantner nennt als Beispiel die Datennutzungsgesetze. Vieles sei dabei zu genau geregelt und behindere damit die Forschung. Ein weiteres Problem, das Deutschland nach wie vor mit sich herumschleppe, sei der Transfer von Ergebnissen aus der Forschung in funktionierende Geschäftsmodelle.

"Zug noch nicht abgefahren."

Beim großen Hype-Thema künstliche Intelligenz (KI) sieht die Kommission den Zug für Deutschland noch nicht abgefahren. Zwar sei man "bei generativer KI hinten dran". Aber derartige Technologie "entwickelt sich in Generationen. Bei der nächsten Welle sollten wir dabei sein", sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Leiter der Kommission. Er empfiehlt, nicht überzuregulieren, sondern agil zu handeln und nachzusteuern, wenn es zu Problemen kommt. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, es gehe jetzt "darum, dass wir uns nicht zu sehr fürchten. Wir haben im Pharmabereich auch Unternehmen, die mit dieser Technologie wissen, was sie tun können."

Der Staat, ob er nun als Unternehmer handelt oder aber nur Rahmenbedingungen setzt und Anschubfinanzierung leistet, sollte zumindest wissen, ob denn die getroffenen Maßnahmen auch die erwünschte Wirkung gebracht haben. Aber das klappt nur selten, stellt das Kommissionsmitglied Guido Bünstorf von der Universität Kassel fest. Die Kommission habe 81 sogenannte Evaluationsstudien aus den Jahren 2019 bis 2023 untersucht. Studien also, die bewerten sollten, wie sich bestimmte Maßnahmen der Regierung ausgewirkt haben.

Bei 59 davon seien beobachtbare Entwicklungen einfach kausal als Effekte der Maßnahmen eingestuft worden. "Doch nur in sieben Fällen ließen die verwendeten Methoden derartige Aussagen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen überhaupt zu", schreibt die Kommission. Ihr Chef Uwe Canter ordnet das so ein: "Auf einer besseren Wissensbasis könnten Politikmaßnahmen gezielt angepasst und ihre Wirksamkeit verbessert werden. Fehlendes Wissen verhindert Politiklernen."

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