Europäische Zentralbank:Draghi könnte auch anders

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Noch scheut EZB-Präsident Mario Draghi den extremsten Schritt im Schuldenstreit mit Griechenland. Er will später nicht als Sündenbock dastehen. (Foto: AFP)
  • Derzeit hält die Europäische Zentralbank die griechischen Banken nur mit Notkrediten von inzwischen fast 87 Milliarden Euro am Leben.
  • Kommt es in Griechenland zur Staatspleite, würde aber auch der Finanzsektor gleich mit kippen.
  • Insgesamt könnten der EZB so Verluste von an die 100 Milliarden Euro entstehen.

Von Markus Zydra, Frankfurt

In den letzten Wochen musste sich Mario Draghi immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, die Europäische Zentralbank (EZB) gewähre dem griechischen Finanzsystem nur deshalb Notkredite, damit Athen und die Geldgeber mehr Zeit für Verhandlungen haben. Der EZB-Präsident hat das stets zurückgewiesen. Die Zentralbank lasse sich bei ihren Entscheidungen für Nothilfen von "Regeln" und nicht von politischen Erwägungen leiten. "Griechenlands Zukunft ist eine politische Entscheidung, die von gewählten Politikern und nicht von Zentralbankern getroffen wird", resümierte Draghi jüngst in Brüssel.

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Banken-Notkredite über fast 87 Milliarden Euro

Doch so eindeutig ist die Situation dann doch nicht. Schließlich hat die EZB der griechischen Zentralbank erlaubt, Notkredite an griechische Banken in Höhe von fast 87 Milliarden Euro zu vergeben. Ohne das wöchentliche Placet des EZB-Rats für diese Hilfen wäre Griechenland längst pleite. Das Geld der Notenbank entfaltet also sehr wohl politische Wirkungen. Erst am Montag billigte der EZB-Rat zum dritten Mal innerhalb weniger Tage eine weitere Milliardenspritze. Am Dienstag konferiert das oberste Gremium der Notenbank erneut. Ob die Nothilfen verlängert werden, hänge vom "Ergebnis des Gipfels" ab, sagte EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny.

Die Börsen rechneten am Montag mit einer grundsätzlichen Einigung. Der Aktienindex Dax legte 3,2 Prozent zu, in Athen stiegen die Kurse um neun Prozent. Auch für Draghi wäre eine Lösung wichtig, denn die Kritik an den Nothilfen wächst, auch in den Reihen des EZB-Rats. Das Geld, das seitens der EZB seit vier Monaten jede Woche aufs Neue gebilligt wird, ist nicht als Dauerfinanzierung gedacht. Einige EZB-Notenbanker, darunter Bundesbankchef Jens Weidmann, hätten die Kredite gerne schon längst gekappt. Doch für einen solchen Beschluss braucht es eine Zweidrittelmehrheit unter den 25 Mitgliedern.

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Die Nothilfen - man spricht von Emergency Liquidity Assistance (ELA) - dürfen laut Statuten nur genehmigt werden, wenn die griechischen Banken solvent sind. Außerdem brauchen die Institute ordentliche Sicherheiten, die sie als Pfand für den Kredit bei der griechischen Notenbank einreichen. Nun besteht dieser stetig schrumpfende Sicherheitenpool hauptsächlich aus griechischen Staatsanleihen und staatlich garantierten Bankanleihen. Staats- und Bankensektor sind eng verzahnt: Rutscht der griechische Staat in die Pleite, folgt das Bankensystem sofort.

Draghi drohen Verluste von knapp 100 Milliarden Euro

Die EZB überwacht als Aufseherin die Finanzlage der griechischen Institute. Solange es berechtigte Aussicht auf eine politische Einigung zwischen Athen und den Geldgebern gibt, so die EZB, dürfe man von der Solvenz ausgehen. Schließlich würden dann bald zig Milliarden Euro fließen, und die Staatspleite wäre vorerst vom Tisch. Andere halten den griechischen Bankensektor für insolvent. Die Sparer ziehen seit Monaten Geld ab, um es zu bunkern. Allein in der vergangenen Woche wurden etwa sechs Milliarden Euro abgehoben.

Für die Notkredite, die vor allem Abhebungen der Sparer finanzieren, muss grundsätzlich die griechische Zentralbank haften. Die Griechen haben jedoch viel von dem Geld ins Ausland überwiesen. Das erzeugt eine Unwucht im Euro-Zahlungssystem Target. Die EZB sitzt dadurch gegenüber der griechischen Notenbank auf Forderungen in Höhe von 100 Milliarden Euro. Scheidet Griechenland aus dem Euro aus, wäre der Großteil des Geldes wohl verloren. Das Minus müssten die nationalen Notenbanken des Eurosystems auffangen. Die Bundesbank könnte dann auf Jahre hinaus keinen Überschuss mehr an das Finanzministerium überweisen - zum Schaden der Steuerzahler.

Gibt es keine Einigung, muss die EZB reagieren

Die griechischen Banken besitzen Schätzungen zufolge für die Notkredite noch Sicherheiten im Wert von 30 Milliarden Euro. Dieser Betrag wäre - bei einem Scheitern der Verhandlungen - ohne Kapitalverkehrskontrollen schnell aufgebraucht. Wenn nach Montagnacht keine Einigung absehbar ist, wird die EZB reagieren müssen, schon allein, weil sie ansonsten neue Rechtsstreitigkeiten fürchten muss.

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Die EZB könnte beispielsweise den Verlustpuffer für die Notkredite erhöhen. Dadurch würde der Beleihungswert der Sicherheiten sinken, die griechische Institute bei der Notenbank einreichen. Die EZB könnte auch den Nothilferahmen bei den aktuell 87 Milliarden Euro einfrieren. Damit würde Draghi die griechische Regierung praktisch zwingen, sofort Kapitalverkehrskontrollen einzuführen, um Abhebungen am Automaten zu beschränken. Die radikalste Entscheidung wäre es, wenn der EZB-Rat die Vergabe von Nothilfen ganz untersagen würde. Dann müsste die griechische Zentralbank die 87 Milliarden Euro fällig stellen. Da kein griechisches Institut über diese Mittel verfügt, käme es zur Pleite des Bankensektors.

Gut möglich, dass eine glaubhafte Drohung der EZB, genau dies zu tun, den Verhandlungserfolg erzwingen könnte. Im Fall Zypern hat die EZB 2013 im Grunde genau so agiert. Doch Draghi möchte kein Risiko mehr eingehen, später als Sündenbock dazustehen.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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