Leben in Griechenland:Mit Trotz und verblüffender Leichtigkeit

Leben in Griechenland: der Syntagma-Platz in Athen

Der Syntagma-Platz in Athen: Es sind schicksalhafte Tage für die Griechen, doch das Leben geht weiter.

(Foto: dpa)

Das Leben geht weiter - auch vor dem Sondergipfel am Montag wirkt Athen nicht wie eine gelähmte Stadt. Wie geht es den Griechen an diesen schicksalhaften Tagen? Begegnungen zwischen stetem Frust, wachsender Nervosität und unerschütterlichem Optimismus.

Reportage von Mike Szymanski, Athen

Das Acropolis House liegt ziemlich zentral. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, wenn man so will. Zu Fuß in die eine Richtung, und man steht auf der Akropolis. Zu Fuß in die andere Richtung, und man steht auf dem Syntagma-Platz und blickt aufs Parlamentsgebäude, wo die Politik gerade heftig um dieses Land ringt. Dazwischen dieses Haus, leuchtend gelb gestrichen. 150 Jahre alt, mit Stuck an der Decke und Kronleuchtern. Keine Edel-Herberge. Es gibt noch Zimmer mit Klo auf dem Gang und die alten Sicherungen zum Schrauben.

An der Rezeption sitzt Jasmine Labrou, Groß, schlank, perfekt gemalter roter Lippenstift. Zu schön für das Wort adrett. Wer verstehen möchte, wie es dem Land geht in diesen Tagen, die keine normalen mehr sind, sondern schicksalhafte, sollte ihr ein bisschen zuhören. "Rettet Griechenland", titelt die Athener Sonntagszeitung To Vima, im Hintergrund die Landesfahne. Von Todeskampf ist auch schon die Rede in den Zeitungen. Jasmine Labrou hat viel zu sagen. Zu allererst dies: Sie hat keine Angst. Vor dem Grexit erst recht nicht.

Leben in Griechenland: Jasmine Labrou, Rezeptionistin des Hotels Acropolis House in Athen

An ihr kommt im Acropolis House niemand vorbei: Jasmine Labrou wacht über die Schlüssel - und eine interessierte Gesprächspartnerin.

(Foto: Mike Szymanski)

"Was soll denn auch noch schlechter werden in diesem Land?"

Manchmal übernachten Professoren im Acropolis House, die an der Uni zu Gast sind. Wenn es sich ergibt - und an dieser Frau kommt eigentlich niemand vorbei, weil sie ja die Schlüsselgewalt hat und ein sehr interessierter Mensch ist - dann fragt sie die Wissenschaftler, was die so denken. Raus aus dem Euro oder nicht?

"Die meisten sagen: raus." Ihr leuchte das ein: "Was soll denn auch noch schlechter werden in diesem Land?" Man muss gar nicht in die armen Viertel von Athen fahren, um das Elend zu sehen. Das gibt es auch schon hier in Plaka, im Zentrum der Stadt: Zur Tür raus, hundert Meter weiter die Straße Voulis entlang liegt ein Obdachloser im Schatten und schläft. So tief muss man aber gar nicht fallen, um unglücklich zu sein.

Sparen, noch mehr sparen und immer noch mehr sparen

"Jeder kennt ein, zwei, drei, vier oder fünf Arbeitslose", sagt Jasmine Labrou. Eine ganze Generation wächst ohne Perspektive heran. Junge Menschen, die nicht zu Hause ausziehen können, weil sie keine Arbeit finden und kein Geld verdienen.

Sparen, noch mehr sparen und immer noch mehr sparen. Eine solche Politik halte auf Dauer doch keine Gesellschaft aus, sagt Jasmine Labrou. Waren die letzten Jahre nicht Stress pur für alle? "Den Leuten steht es bis hier." Sie fährt mit der Hand hoch zum Kopf. Sie stört auch, ständig für die Misere in Haftung genommen zu werden. Und dann ist man auch schon schnell bei der Schuldfrage. Da lasse sie sich von niemanden einreden, die Griechen seien selbst schuld. Im Übrigen, was solle das überhaupt heißen, die Griechen. "Ich habe nie über meine Verhältnisse gelebt", sagt sie. Und sie habe auch immer ihre Steuern bezahlt. "Ich fühle mich nicht schlecht."

Klar habe das Land Fehler gemacht, die Politiker. Viele Fehler sogar: die Reichen geschont. Die Korruption blühen lassen. Die Trickserei, um überhaupt den Euro zu bekommen. Aber haben die Griechen nicht mittlerweile auch schon genug für diese Fehler bezahlt? Die Frau am Empfang fragt sich: Wie hoch soll der Preis denn noch sein?

Limo-Verkäufer, Geschäftsmann, Optimist

Man kann nicht sagen, dass Athen in diesen Tagen, in denen es um alles geht, wie gelähmt ist. Im Gegenteil. Das Leben geht weiter, teils trotzig, teils mit einer verblüffenden Leichtigkeit. Auf dem Monastiraki-Platz posiert ein Hochzeitspaar für den Fotografen und - als hätten es das gleich mitbestellt - zwei Opernsänger geben von einem der umliegenden Balkone aus eine Kostprobe aus Carmen. Man käme in diesem Augenblick wirklich nicht auf die Idee, dass dieses Land gerettet werden muss.

Oben auf der Akropolis ist der Limo-Verkäufer nicht nur ein erfolgreicher Geschäftsmann, weil er den Erschöpften 4,50 Euro für den Becher abnimmt, sondern auch ein unerschütterlicher Optimist. "Wir werden die beste Lösung für Griechenland finden." Wie die aussieht? "Komm Montag wieder vorbei, dann sage ich dir das!"

Montag. Was passiert an diesem Tag? Werden die Griechen Schlange stehen am Geldautomaten? Werden sie dann überhaupt Geld bekommen? Was heißt Grexit überhaupt in der Praxis?

"Kann uns hier etwas passieren?", fragt das Paar aus Deutschland an der Rezeption

Jasmine Labrou sagt, sie geht kommende Woche nicht als erstes zur Bank, sondern in die Arbeit. Kein Grund zur Panik. Die noch junge Regierung von Alexis Tsipras und seiner Syriza, die bei den Geldgebern aber schon wieder unten durch ist, nimmt sie in Schutz. Die wüsste schon, was zu tun sei. "Das erste Mal seit Jahren geht es in eine andere Richtung. Endlich wird richtig verhandelt. Mit Sparen allein kommen wir ja nicht aus der Krise " Das wüssten doch auch die Geldgeberländer, das müsste doch auch Deutschland mittlerweile verstanden haben. So wie bisher könne es ja nun wirklich nicht weitergehen.

Neulich stand ein Paar aus Deutschland vor Labrou an der Rezeption. Sie erkannte das am Reiseführer in der Hand. Als sie die beiden fragte, wo genau sie herkämen, antworteten sie auf Englisch und sagten: Schweden. Schweden? Jasmine Labrou wunderte sich und deutete auf den Reiseführer. Dann rückten die beiden mit der Sprache raus. Sie hatten Sorge, der Zorn der Griechen über die harte Haltung der Deutschen bei den Verhandlungen könnte sich über sie entladen, wenn sie sich als Deutsche zu erkennen geben. "Kann uns hier etwas passieren?", fragten sie. Eher nicht, sagte die Frau am Empfang.

Soweit sei es schon gekommen. Und das in ihrem Land, das auf jeden Touristen angewiesen ist.

Das Geld für die Übernachtungen wollen sie in bar

Sie hat es ja noch gut. Sie hat einen Job, einen guten, fügt sie hinzu. Zu Anfang des Jahres ist sie in der Lobby gestürzt. Eine dumme Geschichte, einfach mit dem Fuß hängengeblieben. Danach war da unten alles gerissen und gebrochen was so reißen und brechen kann. Fast ein halbes Jahr konnte sie nicht arbeiten. Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr Chef auf sie wartete.

"Ich bin jetzt 52", sagt sie. Da findet man so schnell nichts. "Das Schlimmste für Griechen ist, wenn man ihnen das Dach überm Kopf nimmt und die Zukunft der Kinder." Sie besitzt eine Eigentumswohnung und hat keine Kinder. Deshalb stresst die Krise sie ein bisschen weniger.

Völlig cool sind sie im Acropolis House aber auch nicht. Das Geld für die Übernachtungen wollen sie in bar. Das ist jetzt Hauspolitik.

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