Industriepolitik:Vestager warnt vor Protektionismus

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Margrethe Vestager mahnt, die EU dürfe nicht vor allem auf Subventionen und Protektionismus setzen. (Foto: Thomas Trutschel/imago images/photothek)

Die Kommissions-Vizepräsidentin hält nichts davon, europäische Konzerne bei Staatsaufträgen zu bevorzugen. Dafür haben sich Berlin und Paris ausgesprochen - als Reaktion auf das umstrittene Subventionspaket der USA.

Von Björn Finke, Brüssel

Zwei mahnende Reden an einem Tag: Margrethe Vestager, die Vizepräsidentin der EU-Kommission, hat am Mittwoch vor Protektionismus und allzu üppigen Subventionen für Europas Konzerne gewarnt. Die EU-Regierungen und die Brüsseler Behörde diskutieren gerade darüber, wie Europa auf das massive Subventionspaket der US-Regierung für grüne Technologien reagieren soll. Die Hilfen, die dieser sogenannte Inflation Reduction Act (IRA) vorsieht, sind teilweise daran gekoppelt, dass die Produkte in den USA gefertigt worden sind. Buy American, kaufe amerikanische Produkte, gibt die Regierung von Präsident Joe Biden als Motto aus. Das benachteiligt EU-Konzerne und könnte dazu führen, dass diese Werke in die Vereinigten Staaten verlagern.

Frankreichs Regierung schlägt als Antwort vor, "Buy European"-Regeln einzuführen. Im Dezember präsentierten Wirtschaftsminister Bruno Le Maire und sein deutscher Amtskollege Robert Habeck ein gemeinsames Konzept mit Details dazu. So könnten EU-Regierungen die Kriterien für die Vergabe von Staatsaufträgen so formulieren, dass de facto nur europäische Firmen sie erfüllen können. Die für Wettbewerb zuständige Kommissions-Vizepräsidentin Vestager sagte aber bei einer Rede auf einer Konferenz für grüne Technologien in Brüssel, Europa solle nicht "den gefährlichen Weg einschlagen, öffentliche Auftragsvergabe als Wettbewerbsvorteil zu nutzen".

Die Brüsseler Behörde wird kommende Woche Vorschläge präsentieren, wie die EU auf das amerikanische IRA-Paket antworten soll. Eine Woche später werden die 27 Staats- und Regierungschefs darüber bei einem Gipfeltreffen diskutieren. Das grobe Konzept ist bereits klar: Zum einen sollen die strengen Subventionsregeln in Europa gelockert werden, damit Regierungen besser mit den US-Beihilfen mithalten können, wenn es darum geht, grüne Technologien zu fördern, zum Beispiel eine Fabrik für Batterien oder Windräder. Zum anderen will die Kommission mehr Brüsseler Fördergeld zur Verfügung stellen, weil sich nicht alle Regierungen üppige Subventionen leisten können. Diese Unwucht könnte ansonsten zu unfairen Vorteilen für Firmen in reichen und großen Mitgliedstaaten wie Deutschland führen.

Vestager mahnte jedoch auf der Konferenz für grüne Technologien, dass man die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa langfristig nicht "auf Subventionen aufbauen" könne. Am Nachmittag führte die liberale Dänin diese Warnung bei einer Rede auf einer anderen Veranstaltung weiter aus. Sie erklärte, die "gerade aufkommende Idee, dass Subventionen das wichtigste Instrument sind, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen", sei falsch.

Macht die EU wieder Schulden?

Sie gelobte zwar, die Regeln zu lockern und zu vereinfachen, betonte allerdings zugleich, dass langfristig anderes wichtiger sei, um die Bedingungen für Unternehmen zu verbessern. So müssten verbleibende Hürden auf dem gemeinsamen Binnenmarkt der EU niedergerissen werden; Mitgliedstaaten sollten also nicht mehr länger mit Bürokratie und Vorschriften Konzerne aus dem EU-Ausland gegenüber heimischen Rivalen benachteiligen. Das würde mehr Vorteile bringen, "als Subventionen jemals liefern können".

Heikel ist auch die Frage, wo das Geld für neue EU-Fördermittel herkommen soll, mit denen die Kommission nationale Beihilfen ergänzen will. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schweigt sich dazu aus und verweist lediglich darauf, dass die Behörde ohnehin bis Sommer einen Kassensturz machen und prüfen will, ob nicht der mehrjährige EU-Haushaltsplan für 2021 bis 2027 aufgestockt werden muss. Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Kommission weitere Schulden aufnimmt, für welche die Mitgliedstaaten gemeinsam gerade stehen. Das lehnt aber zum Beispiel Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ab. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte kritisierte diese Idee ebenfalls kürzlich und sagte, dass in den vorhandenen Hilfstöpfen noch genug Geld sei, das man umwidmen könne.

In einem Entwurf der Schlussfolgerungen für den EU-Gipfel, welcher der SZ vorliegt, heißt es aber, die Kommission solle ein Hilfsprogramm entwickeln, das sich an Sure orientiert. Das ist der Name eines Hilfstopfs, der während der Covid-Krise aufgesetzt wurde. Die Behörde verteilt daraus zinsgünstige Darlehen an die Regierungen von Mitgliedstaaten; finanziert wird der Topf über Schulden. Das würde Lindner und Rutte nicht gefallen.

Doch Ratspräsident Charles Michel, der die Gipfeltreffen vorbereitet und leitet, hat für diese Idee bereits in einem Interview am Wochenende geworben. Und sein Team ist zuständig für die Entwürfe der Schlussfolgerungen. Bei einem Treffen der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in Brüssel gab es allerdings am Mittwoch Widerstand gegen den Vorschlag. Wie es heißt, hätten unter anderem der deutsche und niederländische Vertreter gewarnt, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen in zwei Wochen sicher nicht auf solch einen Arbeitsauftrag an die Kommission einigen würden. Kein Zweifel: Es stehen schwierige Debatten an.

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