Forum:Der digitale Konsum muss grüner werden

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Digitale Angebote sind mit einem enormen ökologischen Fußabdruck verbunden.

(Foto: imago images/quintanilla)

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind heute Widersprüche. Es wird Zeit, dass sich das ändert. EU-Programme bieten die Gelegenheit dazu.

Von Dominik Piétron und Philipp Staab

Wir befinden uns mitten in einer doppelten Transformation moderner Gesellschaften. Zum einen steht die Digitalisierung für neue Formen des Wirtschaftens und Lebens. Andererseits soll auch die Wende zu nachhaltigen Lebensweisen weitreichende Veränderungen erzeugen. Für beides will man in Europa beachtliche Kräfte aufwenden. Die geplanten 750 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds sollen beispielsweise zu je einem Drittel in die digitale und ökologische Erneuerung Europas fließen.

Bei Digitalisierung und Nachhaltigkeit haben wir es allerdings mit gegenläufigen Entwicklungen zu tun. Nachhaltigkeit zielt auf einen schonenderen Umgang mit Ressourcen und Menschen, auf eine Gesellschaft, die ein Leben nicht auf Konsummöglichkeiten reduziert. Digitalisierung dagegen heißt bisher vor allem "mehr": mehr Ausbeutung von Ressourcen, mehr Energieverbrauch, mehr Konsum.

Mehr Konsum bildet den Kern der erfolgreichsten digitalen Geschäftsmodelle der Gegenwart: Shoppen in der U-Bahn? Fernsehen im Park? Online-Games auf dem Klo? Mit Amazon, Youtube und Programmen aus den App-Stores kein Problem. So schwinden die Refugien jenseits der Warenwelt. Immer mehr Zeit wird auf Konsum umgewidmet. Dass die digitalen Angebote mit einem enormen ökologischen Fußabdruck verbunden sind, dringt dabei selten ins Bewusstsein. Dies gilt nicht nur für die Produktion neuer Smartphones und Computer, die Unmengen Ressourcen verschlingt. Schon vor Corona verbrauchte das Videostreaming beinahe so viel Energie wie der gesamte globale Flugverkehr, und Amazon produzierte 200 000 Tonnen Plastik-Verpackungsmüll jährlich, wovon Schätzungen zufolge fünf Prozent in den Ozeanen landeten.

Die Leitunternehmen dieses digitalen Konsumkapitalismus haben sich im Verlauf von 20 Jahren Schlüsselpositionen in der Wirtschaft gesichert, indem sie digitale Märkte geschaffen haben, ohne die heute kaum noch effizientes Wirtschaften möglich ist. Das für gut funktionierende Märkte entscheidende Zusammenbringen von Angebot und Nachfrage erledigen sie datenbasiert.

Forum: Dominik Piétron ist Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin und am Einstein Center Digital Future.

Dominik Piétron ist Mitarbeiter am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität Berlin und am Einstein Center Digital Future.

(Foto: oh)

Eine Schattenseite ist freilich, dass Nutzer durch ausgefeilte Strategien an die digitalen Systeme gefesselt werden. Ist dies erfolgreich - wie etwa beim Betriebssystem-Duopol von Google und Apple im mobilen Internet -, können Plattformen damit beginnen, für den Zugang zu Verbrauchern Geld zu verlangen. Der bei der EU anhängige Konflikt zwischen Apple und Spotify um die sogenannte "Apple-Steuer" - jene 30 Prozent Umsatzbeteiligung, die Apple auf Transaktionen erhebt, die in seinem App-Store anfallen - ist nur ein Beispiel für die Konflikte zwischen marktkontrollierenden Plattformen und Akteuren, die von ihnen abhängig sind. Software-Anbieter, unabhängige Verkäufer auf Amazon, selbständige Kurierfahrer: Sie alle bezahlen für ihren Zugang zum Markt und sind weitgehend schutzlos den wechselnden Vorgaben der Marktbetreiber ausgeliefert. Wettbewerb findet hier nur zwischen den Anbietern auf den digitalen Märkten statt. Die Plattformen selbst entziehen sich ihm und schlagen genau daraus Profit.

Das liberale Denken in Europa hat hieran zunehmend Anstoß genommen. Ihm gilt der Markt als neutraler Ort für ein freies Spiel von Kräften und Talenten. Gerade das für Deutschland so wichtige ordoliberale Denken sieht den Staat dabei als Garanten und Gestalter von Märkten.

Forum: Philipp Staab ist Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin und am Einstein Center Digital Future.

Philipp Staab ist Professor für Soziologie an der Humboldt-Universität Berlin und am Einstein Center Digital Future.

(Foto: Robert Poorten/oh)

Die zugehörigen kartellrechtlichen Zugriffe waren in aller Regel reaktiver Natur: Es ging darum, Wettbewerb zu sichern, wo dieser bedroht war, oder ihn wiederherzustellen, wo er nicht mehr existierte. Oberstes Ziel war dabei der Schutz der Konsumenten vor zu hohen Preisen - eine Devise, die angesichts von digitalen Gratisdiensten und globaler Umweltzerstörung offensichtlich zu kurz greift. Das proaktive Design von Märkten blieb dagegen, von den Privatisierungsinitiativen der 1990er- und 2000er-Jahre abgesehen, meist privaten Unternehmen überlassen. Seine zeitgenössischen Virtuosen sind die Plattformunternehmen des kommerziellen Internets.

Europa will dies nun ändern. Mit dem Digital Markets Act, dem Data Governance Act und dem Data Act sind gleich mehrere Marktdesign-Programme für die Digitalökonomie in Planung. Sie stehen für die Möglichkeit eines neuen Ansatzes, der im Digitalen die traditionell reaktive Marktgestaltung um ein proaktiveres Marktkonzept ergänzt. Beim Digital Markets Act sollen beispielsweise besonders große Plattformen besonderen Regeln unterworfen werden, die nicht mehr nur nachträglich angewendet, sondern proaktiv gestaltend eingebracht werden sollen. Zahlreiche datenpolitische EU-Initiativen sollen zudem die Marktmacht der Leitunternehmen brechen.

Die historische Chance liegt in einem ökologischen Marktkonzept

Mit diesem Ansatz der aktiven Gestaltung digitaler Märkte zielt die EU zwar direkt auf die wirtschaftliche Macht der großen Technologiekonzerne. Gleichzeitig spielen ökologische Aspekte dabei aber praktisch keine Rolle. Die EU befindet sich mitten im ambitioniertesten Projekt der Marktgestaltung seit dem gemeinsamen Binnenmarkt und treibt mit dem Green Deal das wohl größte Transformationsprojekt seit der Industrialisierung voran. Sie greift tief in den Markt ein und will die zerstörerische Grundlage unseres Wirtschaftens verändern. Und beides soll nichts miteinander zu tun haben?

Eine historische Chance liegt in der systematischen Verbindung beider Aspekte, in einem grünen Marktkonzept, das Nachhaltigkeitsaspekte tief in digitale und digitalisierte Märkte integriert. Ein guter Anfang wäre dabei in dem von der EU anvisierten Bereich der Datenpolitik zu machen, wo man die Datenflüsse auf Märkten so gestalten müsste, dass sie nachhaltige Geschäftsmodelle und Konsumweisen ermöglichen. Würde man beispielsweise offene Datenpools mit umfassenden Informationen zum ökologischen Profil von Waren fördern, könnten Plattformen darauf verpflichtet werden, diese Informationen für Konsumenten zugänglich zu machen. So würden die Umweltkosten der Produkte sichtbar. Gleichzeitig böten solche grünen Datenbanken die Möglichkeit neuer Geschäftsmodelle: Offen zugängliche Informationen über die Bestandteile und Zusammensetzung von Produkten ermöglichten etwa deren Wiederverwertung und könnten Materialkreisläufe weiter schließen, beispielsweise im Bausektor. Kurzum: Es ist höchste Zeit, die digitale und die grüne Transformation zusammenzubringen. Der Weg dazu führt über die aktive, demokratische Gestaltung von Märkten.

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