EnBW:Im Strom der Krise

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Keine Aufträge, keine Arbeit, kein Strom: Auf den Bildschirmen der EnBW-Energiehändler lassen sich exemplarisch die Auswirkungen der Krise ablesen.

Dagmar Deckstein

Steingrauer Teppichboden, hellgraue Schreibtischreihen, zwölf an der Zahl, auf mehr als 200 Computerbildschirmen schimmern in allen Farben des Regenbogens bunte Zahlenreihen, ziehen Torten- und Säulendiagramme vorbei. Gedämpftes Gemurmel nur ist zu hören in diesem langen Büroschlauch mit Börsensaalatmosphäre, die meisten der 48 Mitarbeiter halten ihre Augen auf die Bildschirme fixiert.

Klick, wieder ein Paket Strom unter die Leute gebracht, klick, wieder für 3000 Tonnen CO2-Zertifikate günstig gekauft. Erol Kahraman zum Beispiel macht schon seit zweieinhalb Jahren Geschäfte dieser Art. Der 40-jährige Händler - neudeutsch "Trader" gerufen - handelt wie alle seine Kollegen mit Zukunft. Soeben hat er fünf Megawattstunden Strom an den Versorger RWE verkauft, für 51,14 Euro pro Megawattstunde. Eingekauft hat er sie für 51,04 Euro.

Die Contango-Position

Aber bekommen wird RWE das auf dem Terminmarkt gehandelte Strompäckchen für diesen Preis erst Mitte 2010. "Das ist eine Contango-Position", erläutert Kahraman. Was bei diesem Termingeschäft etwa das Gleiche bedeutet wie: Die Weizenähre am Stängel ist teurer als das gedroschene Korn in der Scheuer. Derzeit liege der Preis für die Megawattstunde Strom um die zehn Euro niedriger. Die Hoffnung ist ins Strompäckchen also schon eingepreist. Die Hoffnung, dass die Krise Mitte 2010 längst nicht mehr diese Wucht entfaltet, mit der sie den Unternehmen seit einem Jahr die Bilanzen gehörig verhagelt, sie zu Kurzarbeit und Produktionsstopps gezwungen hat.

So gesehen ist dieser in Grautönen gehaltene Handelssaal mitten in Karlsruhe nicht nur die geschäftliche Pulsader von Deutschlands drittgrößtem Energieversorger EnBW. Die hundertprozentige Konzerntochter "EnBW Trading GmbH" (ETG) lässt sich auch gut zum Krisenbarometer umfunktionieren nach dem Motto: keine Aufträge, keine Arbeit, kein Strom.

Auch Energie Baden-Württemberg verliert

Tatsächlich hat auch Energie Baden-Württemberg, immerhin Nummer 29 unter Deutschlands 100 größten Unternehmen, Federn lassen müssen im Geschäft mit den Firmenkunden. Deren Zahl will der Konzern zwar nicht beziffern und die im gesamten Bundesgebiet verteilte Kundschaft auch nicht beim Namen nennen. Aber schon Mitte März unkte EnBW-Chef Hans-Peter Villis im Interview mit der SZ: "Wenn sich die Konjunktur nicht bessert, können wir hochgerechnet aufs Gesamtjahr bei unseren Industriekunden wohl bis zu vier Milliarden Kilowattstunden Stromabsatz verlieren, etwa doppelt so viel, wie ganz Karlsruhe übers Jahr an Strom verbraucht. Ob Daimler, die Automobilzulieferer, die Maschinenbauer oder die Papierindustrie - da läuft derzeit die Produktion nur eingeschränkt. Ich kann nicht ausschließen, dass wir konjunkturbedingt bis zu zehn Prozent Absatz bei unseren Großkunden verlieren."

Zehn Prozent? Es kam noch schlimmer. Im ersten Halbjahr 2009 verkaufte EnBW an Geschäftskunden 22,3 Prozent weniger Strom. Insgesamt lag der Absatz mit 60 Terawattstunden - 60 Milliarden Kilowattstunden - knapp zehn Prozent unter dem Vorjahreszeitraum.

Für Dirk Mausbeck zeichnete sich die Talfahrt spätestens im September 2008 ab. Der 46-Jährige ist Geschäftsführer der EnBW Trading und zuständig für den Bereich Energiewirtschaft und damit für das Handelsgeschäft: Strom und Gas, Kohle, Öl und CO2-Zertifikate - mit allem, was mit Energie zu tun hat, handeln die mittlerweile 250 Beschäftigten auf ihren digitalen Handelsplattformen, sie kaufen und verkaufen im In- und Ausland.

Der Stromkonzern EnBW hat sechs Millionen Kunden. (Foto: Foto: ddp)

Gegründet wurde die Tochter 1997 als EnBW Gesellschaft für Stromhandel mbH mit gerade mal sieben Mitarbeitern. Als Mausbeck, der zuvor für Shell am Rotterdamer Termin- und Spotmarkt mit Öl handelte, 1999 dazustieß, war er der 20. EnBW-Trader. Im Jahr 2000 kam der Gas- zum Stromhandel dazu, seit 2002 schließlich der Optionshandel. Solche Termingeschäfte haben im Übrigen dafür gesorgt, dass heute auf dem gesamten Strommarkt in Deutschland nur 550 Terawattstunden pro Jahr physisch verbraucht, aber 4000 Terawattstunden gehandelt werden.

Mulmig im Dezember

Am Tag des Krisen-Urknalls, der Pleite der US-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008, und auch in den Wochen danach war die Stimmung im Karlsruher Handelssaal noch entspannt. Auch noch am 13. Oktober, als die Bundesregierung ihr Banken-Rettungspaket über 480 Milliarden Euro in Windeseile schnürte. Im November wurde es schon enger: Anfang des Monats hatte der weltweit größte Autozulieferer Bosch als erster deutscher Konzern einen Begriff entmottet und zu neuem Leben erweckt, der seit vielen Jahren aus dem Sprachgebrauch verschwunden war: Kurzarbeit.

Zunächst für 3500 Beschäftigte. Auch der Autohersteller Daimler erlebt im vierten Quartal einen herben Absatzeinbruch, schickt die Beschäftigten erst einmal in verlängerte Weihnachtsferien und Anfang Januar Zehntausende für mehrere Wochen in Kurzarbeit. Ein Autokonzern, der für seine Produktionswerke in Sindelfingen, Untertürkheim, Rastatt und Bremen trotz anhaltender Anstrengungen beim Energiesparen immerhin die stolze Menge von 283.500.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, wie es im Nachhaltigkeitsbericht 2008 heißt. Wie viel Strom Daimler allein durch das Zurückfahren der Produktion und durch vorübergehend verwaiste Verwaltungsbüros gespart hat, dazu will sich der Konzern nicht äußern.

Bis heute sind bereits knapp 119000 Betriebe dem Bosch- und Daimler-Beispiel gefolgt, seit Herbst waren schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen in Deutschland zumindest zeitweise Kurzarbeiter. Dazu gehören allerdings nicht die Energiehändler der EnBW.

"Uns begann es aber im Dezember letzten Jahres etwas mulmig zu werden", erinnert sich Mausbeck und erklärt das am Beispiel eines großen Industriekunden. "Angenommen, dieser Großkunde hat Anfang 2008 mit uns einen Vertrag über Stromlieferungen für 2009 abgeschlossen. Zum Preis von 60 Euro die Megawattstunde." EnBW schätze, dass der Kunde eine Milliarde Kilowattstunden in dem Jahr benötigt, und besorge entsprechend viel Energie. "Nun kommt der Herbst 2008, die Krise erreicht langsam die Realwirtschaft, und es ist abzusehen, dass der Konzern, der schon Kurzarbeit beantragt und die Weihnachtsferien verlängert hat, die Menge an Strom gar nicht brauchen wird", sagt Mausbeck.

Was also machen seine Händler? Sie beginnen im Dezember, die schon unter der 50-Euro-Marke liegenden überflüssigen Strommengen auf den Markt zu werfen. "Da kamen wir schon ins Schwitzen", meint Mausbeck, "zumal der Megawattstundenpreis zielstrebig in Richtung der 40-Euro-Schwelle fiel." Der Absturz des Preises habe zwei Ursachen: Nicht nur gehe die nachgefragte Leistung zurück, auch der Brennstoffmarkt sei eingebrochen.

Im Vergleich zu 2008 hat sich der Verbrauch von Erdgas um elf Prozent, der von Steinkohle gar um 22,3 Prozent verringert. Damit sinken die Preise für die Rohstoffe, die Stromproduktion wird entsprechend billiger.

Erhöhte Risikoposition

Auch für den EnBW-Konzern mit seinen sechs Millionen Kunden und 20000 Mitarbeitern ist die Lage inzwischen unübersichtlich geworden: "Aufgrund eines starken Rückgangs der gesamtwirtschaftlichen Leistung erhöhte sich die Risikoposition der EnBW im Laufe des zweiten Quartals 2009", heißt es im Halbjahresbericht. Außerdem bestehe für die bereits von EnBW georderten Strommengen, die wegen des gefallenen Bedarfs nicht planmäßig abgesetzt werden können, ein Verlustrisiko, weil der Versorger sie anderweitig losschlagen muss und die Preise gesunken sind. Dieses sogenannte Wiedervermarktungsrisiko hat nun Mausbecks Händlertruppe Tag für Tag auf ihren flimmernden Bildschirmen vor Augen - und nach Möglichkeit zu senken.

Dabei sind die Handelsvolumina an der Leipziger Strombörse EEX schon um 17Prozent eingebrochen, nicht zuletzt auch durch den Rückzug vieler Banken und Hedgefonds aus diesen Termingeschäften. Die Handelsvolumina des vergangenen Jahres dürfte EnBW Trading 2009 wohl nicht mehr schaffen: 450 Terawattstunden Strom, 44 Millionen Tonnen Kohle, 17 Terawattstunden Gas und 135Millionen CO2-Zertifikate.

Daneben heißt es für das Händlerteam auch, die Leistungen aus den 20 Kraftwerken von EnBW an die Kunden zu bringen - immerhin 12000 von insgesamt 106000 Megawatt Kraftwerkskapazität, die in Deutschland zur Verfügung steht. Einen Teil dieser Kapazitäten hat Mausbecks Mannschaft schon verkauft, bis ins Jahr 2012 hinein. Ist bis dahin die Wirtschaftskrise überwunden, wird der Strombedarf wieder steigen? "Wenn ich das wüsste, säße ich nicht hier, sondern mit meiner Familie und einem Drink in der Hand auf den Bahamas", lacht Mausbeck und fügt hinzu: "Ich hoffe doch!"

© SZ vom 22.08.2009/gits - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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