Arbeitsmarkt in den USA:Eine Stadt, in der nicht nur Weiße beruflichen Erfolg haben

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Die Skyline von Raleigh. Die Stadt ist ein Vorbild für Integration - nicht nur für die USA, sondern auch für Europa. (Foto: Moment/Getty Images)

In Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina gelingt es, benachteiligte Gruppen am Job-Boom teilhaben zu lassen.

Von Claus Hulverscheidt, Raleigh

An einem Sommertag im Juli 2011 wusste Raymahl Sutton plötzlich, dass es so nicht weitergehen konnte. Dutzend Bewerbungen hatte der junge Faser-Spezialist nach Abschluss seines Studiums verschickt, doch niemand wollte ihn einstellen, nicht die Chemieindustrie, nicht die Pharmabranche, nicht der öffentliche Dienst. Am Ende versuchte er es sogar bei der Bundespolizei FBI - ohne Erfolg. Dann änderte Raymahl Sutton seinen Namen.

Raymahl nannte sich fortan Ray, ein kleiner Eingriff, der aus dem jungen Schwarzen, den Leser seiner Bewerbungen bisher vor Augen gehabt hatten, über Nacht einen ethnisch nicht zuordenbaren Amerikaner mit guten Noten machte. Nur Wochen später hatte er seinen ersten Job - und eine Idee: Heute ist der Anfangdreißiger selbständig, sitzt mit anderen Firmengründern in einem schick sanierten, lichtdurchfluteten Backsteingebäude in North Carolinas Landeshauptstadt Raleigh und bastelt an einer App, die Personalchefs eine anonymisierte, allein am Talent der Bewerber orientierte Mitarbeitersuche ermöglicht.

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Dass Sutton mit seiner Firma Applyable ausgerechnet in Raleigh landete, ist kein Zufall: So unbekannt die Stadt mit ihren knapp 500 000 Einwohnern selbst vielen Amerikanern sein dürfte, so gut ist ihr Ruf gerade unter schwarzen Firmengründern: Sutton und seine Mitstreiter preisen Raleigh als "Start-up-Hauptstadt des Südens", als junge Metropole, der es wie wenigen anderen gelingt, Frauen, Afroamerikaner und andere beruflich benachteiligte Gruppen am Job-Boom, an Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg teilhaben zu lassen. Manche sehen in der Stadt gar ein Musterbeispiel für Integration und Teilhabe, von der Kommunalpolitiker in den USA, aber auch in Europa, viel lernen können.

Mit 50 000 Dollar im Jahr liegt das mittlere Einkommen schwarzer Haushalte in Raleigh um ein fast ein Drittel höher als im nationalen Durchschnitt - und das bei vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten. Vier von zehn afroamerikanischen Bürgern leben in eigenen Häusern oder Wohnungen. Die Mordrate je 100 000 Einwohner beträgt nicht einmal ein Viertel dessen, was Chicago meldet - gemessen an Baltimore ist es gar nur ein Zehntel. Und die Opioid-Krise, die Teile der USA fest in ihren Klauen hält, spielt im Landkreis Wake mit dem Zentrum Raleigh kaum eine Rolle.

Fragt man die Menschen am Ort, was sie anders, ja besser machen als so viele andere US-Städte, sind sie erst einmal verdutzt. Raleigh? Ein Beispiel für andere? Erst wenn man sie bittet zu sagen, was sie mit ihrer Heimat verbinden, wird ihnen bewusst, dass fast nur positive Dinge genannt werden: die guten öffentlichen Schulen und Universitäten, die in den USA alles andere als selbstverständlich sind, die Sicherheit, die niedrigen Wohnkosten, das gute Südstaaten-Essen, das viele Grün, das schöne Wetter. "Uns fällt das gar nicht mehr auf, aber man wird beispielsweise nicht schief angeguckt, wenn man sich als Frau oder Afroamerikaner selbständig macht", sagt Jess Ekstrom, die mit ihrer Firma, dem Haarreifhersteller Headbands of Hope, im selben Backsteinbau sitzt, in dem sich auch Firmengründer Sutton niedergelassen hat. Es gibt gleich mehrere dieser Start-up-Zentren im Landkreis, etwa American Underground, wo ein Drittel der 275 Firmen von Schwarzen und ein Drittel von Frauen betrieben werden.

Wenn es überhaupt etwas gibt, das die Menschen in Raleigh schreckt, dann ist es die zunehmende Attraktivität ihrer Stadt: Jeden Tag wächst die Bevölkerungszahl des Kreises im Schnitt um 63 Menschen - manche derer, die zuziehen, sind Kinder oder Enkel schwarzer Arbeiter, die North Carolina im letzten Jahrhundert auf der Suche nach Jobs verlassen hatten. "Ich mache mir Sorgen, dass die Wohnungspreise drastisch steigen", sagt Kia Baker, die mit ihrer Initiative Southeast Raleigh Promise (SERP) benachteiligten Kindern und Eltern hilft. Southeast Raleigh ist das einzige etwas problematischere Viertel der Stadt.

Derrick Minor, erster Ansprechpartner der Stadtverwaltung für Firmengründer, räumt ein, dass es zunächst gar nicht die öffentliche Hand war, die sich Inklusion und Teilhabe auf die Fahne geschrieben hatte. "Es waren viele kleine, private Initiativen - und wir haben zunächst nicht mehr getan, als das alles irgendwann zusammenzubinden." Mittlerweile hat sich Bürgermeisterin Nancy McFarlane, einst selbst Firmengründerin, an die Spitze der Bewegung gesetzt. Es gibt sogenannte Magnetschulen, die etwa auf IT oder Sprachen spezialisiert sind und neben Nachbarkindern auch solche aus anderen Vierteln anziehen. Es gibt Bauprojekte, bei denen gezielt ein Mix aus teureren und billigeren Häusern und Apartments errichtet wird. Und es gibt öffentliche Aufträge, die prinzipiell an benachteiligte Bieter vergeben werden. All das soll dazu beitragen, dass in Raleigh keine Ghettos entstehen und möglichst viele Bürger am Aufschwung teilhaben.

Projekte, die sich um Problemfälle kümmern, werden gebündelt, etwa im Pathways Center, einer gemeinsamen Einrichtung der Stadt, der Technischen Fachhochschule des Kreises und der regionalen Arbeitsförderungsbehörde. Ziel ist, jungen Erwachsenen, die etwa die Schule abgebrochen haben, eine berufliche Basisausbildung und Jobs, etwa auf dem Bau oder im Handwerk, zu verschaffen. Corey Branch, eines von acht Mitgliedern der Stadtregierung und Afroamerikaner, will zudem jungen Schwarzen und den Behörden das gegenseitige Misstrauen nehmen - etwa indem er Jugendlichen Praktika bei der Polizei und in der Stadtverwaltung besorgt.

Hinzu kommen zentrale Anlaufstellen für Firmengründer wie das IEC, das der Staat North Carolina und die Shaw Universität in Raleigh, eine der ältesten "schwarzen" Hochschulen der USA, gemeinsam betreiben. Zielgruppe sind auch hier Afroamerikaner, Frauen, Kriegsveteranen und andere benachteiligte Menschen. Sie können sich nicht nur kostenlos beraten lassen, sondern viele Tausend Dollar Kredit für den Aufbau eines Geschäfts bekommen - egal ob für ein Restaurant, eine Wäscherei oder den eigenen Friseursalon. Mehr als 1500 zusätzliche Jobs sind so bisher entstanden - und das in einer Region, in der die Arbeitslosenquoten vielerorts ohnehin unter vier Prozent liegen. Das Programm ist so erfolgreich, dass es parteiübergreifend unterstützt wird. Jüngst rief gar ein Veteran aus Texas bei IEC-Macher Joe Battle an und bat um einen Kredit. "Hey, Mann, bei uns ins Texas gibt's so was nicht", sagte der Ex-Soldat. "Ich musste ihm leider absagen", schmunzelt Battle.

"In den USA ist es oft noch so, dass weiße Männer weiße Männer einstellen."

Natürlich gibt es auch in Raleigh Probleme. Neun von 100 Einwohnern, oft Schwarze, haben mit Armut zu tun, Afroamerikaner verdienen weniger, und auch schwarze Firmengründer bleiben benachteiligt. Oft fehlt ihnen das Netzwerk aus Geld- und Ratgebern, auf das viele Weiße zurückgreifen können. "Die wirtschaftliche Ungerechtigkeit, unter der Afroamerikaner weiter leiden, ist nicht vom Himmel gefallen - sie wurde gemacht, mit voller Absicht", sagt Reggie McCrimmon, Inklusionsbeauftragter des Start-up-Hubs HQ Raleigh: "Wir können noch so viele Fördertöpfe schaffen, die Schwarze unterstützen: Solange wir das grundsätzliche Problem nicht angehen, wird es keine Gerechtigkeit geben."

Und doch: Wenn es irgendwo vorangehen kann, dann in Raleigh. "In den USA ist es oft noch so, dass weiße Männer weiße Männer einstellen", sagt Danya Perry, Beauftragter des Kreises für wirtschaftliche Gleichstellung. "Die Folge ist, dass am Ende das ganze Unternehmen gleich aussieht." Doch Start-up-Förderer Minor glaubt, dass sich die Mentalität in seiner Stadt bereits verändert hat. "Viele Firmen hier haben begriffen, dass Diversität nicht nur eine moralisch gute Sache ist, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll: Wer mit seinen Produkten und Diensten unterschiedliche Bevölkerungsgruppen ansprechen will, braucht dazu Mitarbeiter, die in diesen Gruppen verhaftet sind und deren Bedürfnisse kennen." Die passende App zur Rekrutierung solcher Mitarbeiter gibt es schon: bei Existenzgründer Sutton. Er nennt sich längst wieder Raymahl.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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