Arbeitsrecht:"Bei Diskriminierung versagen die Arbeitsgerichte"

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Wer nach einem Unfall mit Behinderung leben oder sich als Arbeitnehmer um ein behindertes Kind kümmern muss, wird seltener befördert. Betroffene können sich dagegen wehren. (Foto: imago; Bearbeitung SZ)

Wer auf Gleichbehandlung klagt, wird als Schmarotzer dargestellt: Anwältin Asma Hussain-Hämäläinen gibt Politik und Justiz Schuld an Ausgrenzung auf dem Arbeitsmarkt.

Interview von Larissa Holzki

Sie werden nicht befördert, sollen plötzlich nur noch Projektarbeit machen oder werden in Meetings respektlos behandelt: Viele Menschen wissen nicht, dass sie sich gegen derartige Entwicklungen am Arbeitsplatz wehren können. Besonders häufig beobachtet Anwältin Asma Hussain-Hämäläinen das bei Menschen, die sich um andere kümmern müssen. Die Arbeitsrechtsexpertin macht dafür die deutsche Politik verantwortlich. Zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung am Samstag kritisiert sie, dass Betroffene und deren Angehörige auch noch von der Justiz stigmatisiert werden und erklärt, wer von dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) häufiger Gebrauch machen sollte.

SZ: Frau Hussain-Hämäläinen, das AGG soll vor Diskriminierung schützen: Sie kritisieren jedoch, dass kaum jemand die Rechte kennt, die es verbürgt. Wem könnten sie nützen?

Asma Hussain-Hämäläinen: Viele Leute denken immer noch, Diskriminierung hat etwas mit Kopftuch zu tun und sei etwas für Randgruppen. Dabei gibt es acht verschiedene Diskriminierungsmerkmale - und jeden kann es treffen.

Sie meinen, weil jeder einen Unfall erleiden und plötzlich schwerbehindert sein könnte?

Es ist ein großer Irrtum, anzunehmen, dass man schwerbehindert sein muss, um aus dem AGG zu klagen. Dazu sind Sie schon berechtigt, wenn Sie länger als sechs Monate körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigt sind - oder Ihr Arbeitgeber das auch nur vermutet. Wenn Sie zum Beispiel eine Allergie bekommen und monatelang husten, könnten Vorgesetzte schließen, dass Sie chronisch krank sind und wichtige Aufgaben anderen Mitarbeitern zuteilen. Wenn Sie davon erfahren, können Sie aus dem Gleichbehandlungsgesetz klagen. Genauso dürfen Sie nicht benachteiligt werden, wenn Sie sich um einen chronisch kranken Stiefsohn kümmern müssen.

Angehörige von Behinderten können also auch aus dem Gleichbehandlungsgesetz klagen?

Ja und das ist auch richtig so. Die Familie trägt oftmals alle Konsequenzen mit: Wenn jemand sagt, er habe ein schwerbehindertes Kind, können Sie davon ausgehen, dass diese Information bei allen Personalentscheidungen einbezogen wird: Müssen wir Rücksicht auf ihn nehmen? Kann sie weite Geschäftsreisen machen? Ist er überhaupt belastbar? Angehörige werden oft genauso stigmatisiert wie das Familienmitglied, das ein Diskriminierungsmerkmal hat. Aber statt sich zu wehren, sind sie froh, dass sie vom Arbeitgeber geduldet werden. Und daran sind nicht allein die Kollegen schuld, die stöhnen, wenn sie mal für die Betroffenen einspringen müssen.

Woher kommen die Schuldgefühle solcher Arbeitnehmer denn dann?

Der deutsche Gesetzgeber wollte das Gleichbehandlungsgesetz in dieser Form nicht und hat die Umsetzung der europäischen Richtlinien lange hinausgezögert. Der Arbeitnehmerschutz nach deutschem Recht sei gut genug, Arbeitnehmer sollten Diskriminierung selbst beweisen. Bei den Richtern ist angekommen, dass das Gesetz nicht ernst zu nehmen ist.

Nun ist das Gesetz jedoch da und die Arbeitsgerichte müssen sich allein daran orientieren - oder etwa nicht?

So einfach ist das nicht. Ich habe als Anwältin noch nie eine Kündigungsschutzklage verloren, obwohl einige Fälle auch aus meiner Sicht grenzwertig waren. Woran liegt das? Wenn der Arbeitnehmer seinen Job verliert, fällt seine Einkommensteuer weg und er muss aus der Arbeitslosenkasse versorgt werden. Daran hat der Staat - und somit der Staatsbedienstete - kein Interesse. Entschädigungen aus dem AGG hingegen sind steuerfrei. Die bringen dem Staat überhaupt nichts.

Sie meinen also, das Arbeitsrecht ist immer dann auf Seiten der Arbeitnehmer, wenn es dem Staat nützt?

Wenn die eigenen Interessen des Staats betroffen sind, hört die Neutralität der Justiz oft auf. Und für Integration von benachteiligten Gruppen gibt es keine Lobby, die kommt einfach nicht auf die politische Agenda - im Gegenteil. Die Unternehmen wissen: Bei Diskriminierung versagen die Arbeitsgerichte in ihrer Wächterfunktion auf ganzer Linie. Nach Einführung des Gesetzes hieß es gar, jetzt kommen die AGG-Hopper. Gemeint sind Leute, die mit Scheinbewerbungen Geld kassieren wollen. Große Kanzleien, die Arbeitgeber vertreten, haben diesen Begriff geprägt, um Menschen, die aus dem AGG klagen, von vornherein als Schmarotzer zu stigmatisieren. Mir ist noch kein AGG-Hopper begegnet - nur Bewerber, die daran verzweifeln, dass sie ihre Benachteiligung nicht nachweisen können.

Die große Errungenschaft des Gleichbehandlungsgesetzes ist die Beweislastumkehr. Das heißt, Beschäftigte müssen nur Indizien für eine Diskriminierung vortragen und diese belegen. Was braucht man, um vor Gericht eine Chance zu haben?

Es gibt noch nicht genügend Rechtsprechung, um zu sagen, ab diesem Punkt ist es eindeutig. Nehmen wir den Fall einer Bewerberin, die nach dem dritten Bewerbungsgespräch zur betriebsärztlichen Untersuchung eingeladen wird. Danach erhält sie eine Absage. Vielleicht hat sie eine Behinderung, vielleicht ist sie schwanger - was der Arzt offiziell nicht testen darf. Ein Richter könnte darin ein Indiz für Diskriminierung sehen, die meisten würden sagen: Der Betrieb hat nie eine Einstellungszusage gemacht und es hätte nach der Untersuchung weitere Gespräche geben können. Ob sich eine Klage lohnt oder nicht, müssen Betroffene deshalb leider davon abhängig machen, was sie riskieren. Seine Rechte in einem bestehenden Beschäftigungsverhältnis geltend zu machen, heißt immer, sich mit dem Arbeitgeber anzulegen.

Was raten Sie Menschen, die eine Klage vorbereiten?

Nach dem Rechtsstreit wird es meist schwierig, noch eine gute Beurteilung vom Arbeitgeber zu bekommen. Wenn der Vorgesetzte wechselt oder Sie auf einer neuen Position beginnen, würde ich empfehlen, gleich ein Zwischenzeugnis anzufordern. Anderenfalls geht das auch, macht den Arbeitgeber aber argwöhnisch. Er wird erst mal beobachten, was Sie vorhaben, und sich überlegen, ob eine gute Beurteilung ihm womöglich demnächst vor Gericht bei einer AGG-Klage um die Ohren fliegt. Grundsätzlich rate ich deshalb auch, sich im Betrieb mit Privatem, erst recht zu einem schlechten Gesundheitszustand, und zu Zukunftsplänen bedeckt zu halten - früher oder später werden solche Informationen gegen Sie verwendet. Wann es taktisch sogar klug ist, solche Dinge offenzulegen, wird Ihr Anwalt mit Ihnen besprechen.

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