Drohende Deflation in der Euro-Zone:Fabelwesen und Gespenster

Lesezeit: 3 min

Christine Lagarde in New York: Die IWF-Chefin warnt vor den Folgen einer Inflation. (Foto: REUTERS)

Wird unser Geld zu viel wert? IWF-Chefin Lagarde warnt vor den "katastrophalen" Folgen einer Deflation. Sinkende Preise könnten den Aufschwung gefährden. EZB und Bundesbank reagieren erst einmal cool.

Von Nikolaus Piper, New York, und Markus Zydra, Frankfurt

Ein Oger ist ein böses Fabelwesen, ein Unhold, wenn nicht gar ein Menschenfresser. Wenn Politiker auf den Oger als Metapher zurückgreifen, muss die Sache schon ernst sein. Jedenfalls sorgte es weltweit für Aufsehen, als die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, vor dem National Press Club in Washington mit diesen Worten vor dem Risiko der Deflation warnte: Deflation könne "katastrophale" Folgen für den Aufschwung haben, sagte sie und fügte hinzu: "Wenn Inflation der Geist aus der Flasche ist, dann ist Deflation der Oger, der entschlossen bekämpft werden muss."

Die Warnung ist umso erstaunlicher, als Lagardes Ausblick für die Weltwirtschaft im Übrigen sehr positiv ausfiel. Sie hoffe, dass 2014 "sieben magere Jahre" zu Ende gehen und "sieben fette Jahre" folgen würden. Diese Aussicht könne jedoch durch Deflation, also durch einen zerstörerischen Verfall des allgemeinen Preisniveaus, gefährdet werden.

Warum kommt die Warnung vor der Deflation gerade jetzt, wo alles besser zu werden scheint? Lagarde gehört zu der großen Schule von internationalen Ökonomen und Politikern, die das Risiko der Deflation ernster nehmen, als dies in Deutschland üblich ist. Dazu gehören unter anderem das Wirtschaftsteam von Präsident Barack Obama und die Mehrheit in der Notenbank Federal Reserve.

Das Hauptproblem liegt aus IWF-Sicht in Europa

IWF und US-Regierung drängen vor diesem Hintergrund die Deutschen, nicht zu viel zu sparen. Im Herbst 2010 fürchtete Fed-Chef Ben Bernanke sogar, in den USA könne Deflation unmittelbar bevorstehen. Deshalb begann die Fed damals mit massiven Wertpapierkäufen, einem Programm, das unter dem Namen "Quantitative Easing" bekannt wurde. Inzwischen ist die Gefahr für Amerika abgewendet. Im Dezember 2013 stiegen die Preise um 1,5 Prozent, was allerdings immer noch unter der Zielmarke der Fed von 2,0 Prozent liegt.

Lagardes Äußerungen dürften auch das Ziel haben, die Fed zu ermutigen, ihre Wertpapierkäufe nicht zu schnell zurückzufahren. Das Hauptproblem liegt aus Sicht des IWF jedoch in Europa. In den schwächsten Teilen der Euro-Zone ist Deflation bereits Realität. In Griechenland ist das Preisniveau nach IWF-Schätzung 2013 um 0,8 Prozent gesunken.

Überhaupt ist die Inflationsrate in der gesamten Eurozone 2013 stärker zurückgegangen als erwartet. Im Schnitt betrug die Teuerung im vergangenen Jahr 1,4 Prozent nach 2,5 Prozent 2012, teilte das Statistische Amt der EU (Eurostat) am Donnerstag in Luxemburg mit.

Bei der EZB spricht man lieber von einer "Disinflation"

Besorgniserregend ist die Dynamik der vergangenen Monate, in denen die Inflationsrate überraschend deutlich zurückging. Im Dezember betrug die Teuerung in der Eurozone nur noch 0,8 Prozent nach 0,9 Prozent im November und ebenfalls 0,8 Prozent im Oktober. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte deshalb im November Hals über Kopf den Leitzins auf das Rekordtief von 0,25 Prozent gesenkt. Experten gehen davon aus, dass EZB-Chef Mario Draghi sofort eingreifen wird, wenn sich dieser Abwärtstrend weiter verstetigt. Die EZB strebt im Schnitt eine Inflationsrate von nahe zwei Prozent an - um so einen Puffer zu haben gegen eine Deflation.

Die EZB will offiziell nichts von einer Deflationsgefahr wissen, man spricht lieber von einer "Disinflation". Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der im EZB-Rat sitzt, sagte am Donnerstag in Berlin, dass das Risiko einer deflationären Entwicklung in der gesamten Eurozone angesichts der konjunkturellen Lage "begrenzt" sei. "Dieses Gespenst löst sich bei nüchterner Betrachtung in Luft auf", so Weidmann.

Dennoch bleibt ein Restrisiko, wenn die Konjunktur wieder abschmiert und die Banken weiterhin ihre Zurückhaltung bei der Kreditvergabe pflegen. Beobachter gehen davon aus, dass die EZB in diesem Fall den Leitzins weiter absenkt oder gar einen Strafzins auf Einlagen erhebt. Außerdem könnte Draghi ein neues Kreditpaket schnüren und flächendeckend Staatsanleihen aufkaufen, um so die Refinanzierungskosten für die Regierungen weiter zu senken. Dann würde nach den USA und Japan auch die EZB mit einem "Quantitative Easing"-Programm die Geldschleusen noch weiter öffnen. Ein solches Programm ist im EZB-Rat allerdings sehr umstritten, auch weil dadurch nur am Rande konjunkturelle Impulse gesetzt würden.

Herrscht Deflation, droht Unternehmen eine Gewinnkompression

In Japan herrscht seit einem Jahrzehnt Deflation mit schlimmen ökonomischen Konsequenzen. Die dortige Zentralbank hat deshalb 2013 beschlossen, solange Geld ins Wirtschaftssystem zu pumpen, bis die Inflationsrate auf zwei Prozent angestiegen ist. Draghi hält die Lage in Japan allerdings nicht mit der Situation in der Euro-Zone vergleichbar, zumal der Preisdruck in den südlichen Euro-Staaten auch erwünscht ist: So sollen die Länder wieder wettbewerbsfähig werden, das ist die Grundlage des wirtschaftlichen Aufschwungs.

Deflation bedeutet, dass die Preise in einer Volkswirtschaft über einen längeren Zeitraum hinweg in den wichtigsten Branchen stark sinken. Sinkende Preise gelten als unerwünscht, weil so der Konsum gebremst wird. In einem deflationären Umfeld schieben Kunden die Nachfrage nach Gütern hinaus, weil sie erwarten, dasselbe Produkte in Zukunft noch günstiger zu bekommen, so das Argument. In der Realität beobachtet man jedoch auch das Gegenteil. So sinken die Preise für Computer ständig, dennoch greifen die Menschen zu.

Deflation ist aber gefährlich, wenn Unternehmen niedrigere Absatzpreise für ihre Güter und Dienstleistungen erzielen, zugleich aber unverändert hohe Löhne an ihre Mitarbeiter bezahlen müssen. Man spricht dann von einer Gewinnkompression, die das Überleben von Konzernen gefährden kann.

© SZ vom 17.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: