Es ist ein großes Versprechen, das Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) vor Kurzem gegeben hat: Wer in Zukunft Bahn fährt, soll nicht nur schneller, pünktlicher und flexibler sein als zurzeit. Auch ein "Wow-Effekt" soll sich unterwegs einstellen. Damit es auch wirklich so kommt, hatte Scheuer Anfang November angekündigt, zahlreiche Strecken in einem Langfristprogramm auszubauen, zu erweitern oder zu erneuern und so Engpässe im Netz zu beseitigen. Insgesamt 29 zusätzliche Projekte sind nun bis 2030 geplant. Sie wurden vom Minister in die wichtigste Stufe des aktuellen Bundesverkehrswegeplans befördert. Und der ist in der Verkehrspolitik das Maß der Dinge. Er legt fest, wo in Zukunft gebaut wird.
In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung nun erstmals berechnet, was die groß angelegten Pläne den Bund inklusive der 29 Zusatzprojekte zusammen kosten werden. Es geht demnach um gewaltige Summen. "Der Gesamtbedarf an Bundesmitteln zur Finanzierung des Bedarfsplans Schiene für die Jahre 2019 bis 2030 liegt nach Einschätzung der Bundesregierung bei 32 Milliarden Euro", so der Parlamentarische Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann in einem Schreiben an die Grünen, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Rechnungshof:Die Bahn ist außer Kontrolle geraten
Der Rechnungshof geißelt die mangelhafte Aufsicht der Bahn durch den Bund. Der zahle zwar viel, die Leistung der Bahn werde aber schlechter statt besser.
Im Bundestag löst diese Zahl allerdings eher Unruhe als Freude aus. Denn sie macht neben dem Ausmaß der zum Erreichen der Koalitionsziele nötigen Finanzspritze auch klar, dass beim Ausbau der Bahn-Infrastruktur eine Milliardenlücke klafft. Ein Großteil der Pläne wäre nach Einschätzung von Opposition und Experten mit dem bisherigen Finanzierungsniveau gar nicht machbar. Gedeckt sind durch den Haushalt nur knapp 20 Milliarden Euro. Und das auch nur, wenn man von gleichbleibenden Mitteln ausgeht.
Die Zahlen sind brisant, denn sie zeigen laut Fachleuten, dass die Ziele der großen Koalition in Gefahr sind. Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die Passagierzahlen der Bahn bis 2030 zu verdoppeln, um Mobilität umweltfreundlicher zu machen. Der Berliner Verkehrswissenschaftler Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, hält das allerdings für unmöglich. "Die Regierung kann dieses Ziel angesichts der drohenden Milliardenlücke nicht erreichen", warnt Böttger.
In der Opposition wächst der Ärger. "Verkehrsminister Scheuer ist Tabellenführer beim Ankündigen, doch beim Umsetzen bewegt er sich in der Abstiegszone", kritisiert der Grünen-Sprecher für Verkehrspolitik, Stephan Kühn. Angesichts der Ausbaupläne seien drei Milliarden Euro pro Jahr nötig. Zur Verfügung stehen im Bundeshaushalt jedoch für 2019 nur 1,65 Milliarden Euro. Zwar kündigt Ferlemann per Schreiben an, dass sich die Bundesregierung für einen weiteren "Hochlauf" der Verkehrsinvestitionen einsetzen werde. Die nötige Verdoppelung gilt im Bundestag jedoch als ausgeschlossen.
Finanzprobleme könnten sogar noch größer sein
Erst am Mittwoch war bekannt geworden, dass auch dem Konzern Milliarden fehlen, um das eigene Programm für mehr Qualität auf der Schiene umzusetzen. Die Bahn will zusätzlich fünf Milliarden Euro in mehr Züge, Personal und neue Technik stecken. Doch erst eine davon ist durch die eigene Bilanz gedeckt. Bis 2023 muss der Konzern vier Milliarden Euro aufbringen - wahrscheinlich durch den Verkauf von Unternehmensteilen.
Verbände fordern ein Umdenken. Für die Verkehrswende bräuchten wir endlich einen großen Wurf, sagt der Geschäftsführer des Bündnisses Allianz Pro Schiene, Dirk Flege. Aber der werde wohl nicht finanziert.
Verkehrsforscher Böttger geht sogar von noch größeren Finanzproblemen aus. Er hat ausgerechnet, dass der Bund mit allen Programmen einschließlich den Digitalisierungsplänen des Bahn-Konzerns und der Einführung des sogenannten Deutschland-Taktes, der raschere Verbindungen zwischen Metropolen garantieren soll, sogar mit 80 Milliarden Euro bis 2030 in der Pflicht steht. Böttgers ernüchtertes Fazit: "Die Politik agiert in der Bahnpolitik äußerst lustlos."