Viele Fahrgäste der Bahn sind Kummer gewohnt. Nur gut zwei von drei Zügen in Deutschland sind derzeit pünktlich. Vor allem Fernzüge haben häufig Verspätung; manche Züge fallen gar ganz aus. Jetzt wird, zumindest vorübergehend, alles noch schlimmer. Als Konsequenz aus dem Zugunglück vor einem Jahr bei Garmisch-Partenkirchen mit fünf Toten startet die Deutsche Bahn (DB) ein neues, umfangreiches Sanierungsprogramm im Schienennetz.
Das Staatsunternehmen tauscht in diesem Jahr insgesamt 480 000 Schwellen aus, die beschädigt sein könnten. Nach dem Motto: Sicherheit geht vor. Die Folgen sind gravierend. Die Bahn muss zusätzlich zu den vielen bisherigen Ausbesserungsarbeiten am teilweise maroden Schienennetz noch mehr als 400 weitere Baustellen einrichten. Manche Strecken müssen deshalb gesperrt werden; auf vielen anderen Strecken müssen die Züge langsamer fahren als dort üblich.
Das bringt den Fahrplan durcheinander. Inspektion und Austausch von Schwellen "wirken sich somit deutlich negativ auf die Pünktlichkeit im Fern- und Regionalverkehr aus", erklärt die Bahn. Noch mehr Verspätungen sind also die Folge. Und das in einer Zeit, in der viele Fahrgäste ohnehin schon genervt sind wegen vorangegangener Bahnstreiks. Und ausgerechnet kurz nach dem Start des preisgünstigen 49-Euro-Tickets für den Nahverkehr in ganz Deutschland, das eigentlich viele Menschen zum Umsteigen vom Auto in den Zug bewegen soll.
Betonkrebs schädigt Bahnstrecken und Autobahnen
Auf der Strecke von Garmisch-Partenkirchen nach München war vor knapp einem Jahr ein Regionalzug entgleist, mehrere Wagen stürzten vom Bahndamm. Fünf Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben, zahlreiche Fahrgäste wurden verletzt. Erste Erkenntnisse deuteten bereits im August vergangenen Jahres darauf hin, dass schadhafte Betonschwellen an der Unfallstelle bei Burgrain einer der Auslöser für das Unglück gewesen sein könnten.
Kenner des Falles sprechen vom sogenannten Betonkrebs. Durch Risse im Beton könnte Wasser in die Schwellen eingesickert sein und zu Schäden geführt haben. Betonkrebs ist kein neues Phänomen, davon waren schon früher Bahnstrecken und Autobahnen in Deutschland betroffen und sind es auch heute noch.
Das Staatsunternehmen Deutsche Bahn zog noch im Sommer 2022 erste Konsequenzen. 200 000 Schwellen wurden inspiziert und, sofern notwendig, ausgetauscht. Betroffen waren 165 Stellen im bundesweiten Schienennetz, darunter besonders viele Strecken in Südbayern, Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin. 47 der 165 betroffenen Strecken mussten vorübergehend sogar gesperrt werden.
Immer mehr Schwellen müssen ausgetauscht werden
Im Herbst 2022 stellt sich heraus, dass weitere 130 000 Betonschwellen betroffen seien könnten. Weitere Einschränkungen würden sich mutmaßlich "nicht vermeiden lassen", erklärte die Bahn. Man werde mit Hochdruck daran arbeiten, eventuelle "Beeinträchtigungen schnellstmöglich zu beseitigen".
Jetzt zeigt sich: Es könnte alles noch viel schlimmer sein. Gleich 480 000 Schwellen werden ausgetauscht, statt wie üblich nur 80 000 Schwellen in einem Jahr. Das trifft nicht nur die Fahrgäste, sondern auch die Firmenkunden beim Güterverkehr. Hinzu kommt: Das Schienennetz ist an vielen Stellen ohnehin stark veraltet und muss dort dringend saniert werden. Das Netz ist sowieso schon überlastet, weil es gar nicht für so viele Züge gedacht ist wie inzwischen unterwegs sind.
Die Bahn will die von dem neuen Sanierungsprogramm betroffenen Schwellen so schnell es geht austauschen, spricht aber von einem "immensen Kraftakt". Fachpersonal und Baumaschinen seien jetzt schon angesichts des sonstigen Baupensums knapp. Bis alle betroffenen Schwellen bundesweit ausgetauscht sind, werde es noch "bis mindestens ins nächste Jahr hinein" dauern. Die Bahn bittet "alle Reisenden und Güterverkehrskunden für die Einschränkungen um Verständnis". Diese Bitte ist vielen Fahrgästen nur zu gut bekannt - wenn sie am Bahnsteig stehen und mit solchen Durchsagen Verspätungen angekündigt werden.