Ein stiller Protest ist versprochen. Der Bürger S. B. hält sich wirklich dran. Stiller geht es kaum. "Die Gedanken eines Bürgers", hat der Unbekannte auf ein Blatt Papier geschrieben und das an einen Laternenpfahl am Athener Syntagma-Platz geklebt. "Gestern hat dieser geweint", heißt es da. Gestern, das war der Sonntag, als Anhänger der Regierungspartei Syriza hier vor dem Parlamentsgebäude gegen das "Spardiktat" aus Brüssel demonstrierten - und viele auch gegen die EU selbst.
Unterstützung für Tsipras:In Griechenland regiert der Trotz
Die Mehrheit der Griechen will nicht, dass ihr Regierungschef Alexis Tsipras in Brüssel einknickt. Auch wenn eine Einigung dann nicht möglich ist. Viele haben nichts mehr zu verlieren - außer ihren Stolz.
Regierungschef Alexis Tsipras war da gerade unterwegs nach Brüssel, um die neuesten Vorschläge aus Athen den Geldgebern zu präsentieren. Die Botschaft vom Syntagma-Platz war unmissverständlich: Nicht noch mehr sparen. Dann lieber raus aus dem Euro. Bürger S. B. hatte sich das angeschaut und seinen Kommentar verfasst: "Ich werdet verlieren. Ihr habt schon verloren."
Der Syntagma in Athen ist seit Tagen nun schon Schauplatz dafür, wie dieses Land mit sich selbst ringt. Der Riss geht quer durch die griechische Gesellschaft, und in fast schon unheimlicher Disziplin wechseln sich die Lager ab, um vor dem Parlament ihre Meinung kundzutun. Am Montagabend sind es die Europa-Freunde. "Die schweigende Mehrheit", steht auf einem der Plakate, die an der Balustrade zum Parlamentsgebäude hängen.
Es sind gekommen: die fein Gekleideten
Zahlenmäßig lässt sich die Behauptung nicht unbedingt belegen. Die Polizei zählt 7000 Teilnehmer, exakt so viele wie am Vortag, als die Europa-Kritiker auf die Straße gingen. Die konservative Zeitung Kathimerini spricht von 10 000 Leuten.
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Das Publikum? Grundverschieden. Am Sonntagabend traf man hier viele Arbeitslose, Hoffnungslose, frustrierte Menschen. "Steckt die Diebe ins Gefängnis", das war eine der Parolen, wenn es um die Kreditgeber ging. Nun steht hier die Mittelschicht. Frauen in hochhackigen Schuhen, die aussehen, als seien sie gerade aus einem Büro oder einer Bankfiliale gekommen. Männer in Anzügen und Krawatte. Keine Parteifahnen, keine Reden. Dafür brandet Applaus auf, als zwei Teilnehmer auf die Balustrade des Parlaments klettern und die griechische und die europäische Fahne schwingen.
Beides gehört ja auch zusammen, findet John Anagnostopoulos, ein Unternehmensberater, der in der Welt viel herumkommt. "Griechenland ist Europa. Es geht doch hier nicht nur um den Euro als Währung. Es geht um die Idee, um das Gesamte." Und das Gesamte sieht er gerade in Gefahr, wenn in Athen leichtfertig vom Grexit gesprochen werde. Er ist unzufrieden mit der Tsipras-Regierung. "Wir haben viel Zeit verloren", sagt er. Die Verhandlungen? Er winkt ab. Das sei doch "ein großes Pokerspiel", findet er. "Ruhig bleiben und hart verhandeln", empfiehlt er. Außer Zeit sei schließlich noch nichts verloren.
So locker kann Aris, Typ: Kreativer, das nun wirklich nicht mehr sehen. "Ich bin erschöpft", sagt der Mann. "Mal heißt es, wir haben eine Einigung, dann haben wir wieder keine." Der Grieche sagt: "Ich bin ein Linker." Aber Tsipras' Syriza habe er seine Stimme nicht gegeben. "Die steckt in der alten Politik fest." Große Versprechen machen, aber nicht reformieren. Eine Rückkehr zur Drachme, wie sich das zumindest ein Teil von Syriza vorstellen kann, ist für ihn kein Ausweg. Je länger er spricht, desto mehr redet er sich in Rage, bis er die Regierenden "Lügner" nennt.
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"Wir bleiben in Europa"
Giorgos Prokopakis, 60, ist so groß, dass er viele in der Menge überragt, zudem hat er schlohweißes Haar. Man findet ihn also leicht. Prokopakis, der mal kurze Zeit das staatliche griechische Fernsehen geleitet hat, hatte vor gut einer Woche, als die Gespräch zwischen Athen und den Kreditgebern vor dem Zusammenbruch standen, eine Mail an einen Freund geschickt, aus der wie aus einem Schneeball eine kleine Lawine wurde. So entstand dieser Protest. "70 Prozent der Griechen sind für den Euro und die EU, das wollen wir zeigen", sagt Prokopakis. "Wir bleiben in Europa" steht auf den Plakaten der Demonstranten.
Dass die Parteien bei diesem Protest keine Rolle spielen sollten, hatte sich Prokopakis auch gewünscht. Aber es sind prominente Konservative da. Sogar der 96-jährige Konstantinos Mitsotakis, Regierungschef von 1990 bis 1993 und langjähriger Vorsitzender der Partei Nea Dimokratia, ist gekommen und sagt in die TV-Kameras: "Wenn sich das Land in Gefahr befindet, darf sich keiner in Zuversicht entspannen. Griechenland ist Europa und es wird Europa bleiben."
Ein Erfolg des Protests: Kaum eine TV-Nachrichtensendung in Griechenland, wie in Deutschland, kommt ohne die Bilder von den EU-Fahnen schwenkenden Demonstranten in Athen aus. Um noch einmal den Bürger S. B. und sein Laternen-Plakat zu zitieren: Er findet, "dass der Platz jetzt wieder lächelt".