Es klingt so einfach: Es gibt da einen neues Gerät auf dem Spielplatz, das alle Kinder ganz wunderbar finden. Es ist grandios, weil es den jungen Menschen nicht nur viel Spaß bereitet, sondern weil es keine Wartezeit gibt, keinen Streit, keine Vorschriften. Jeder kann loslegen, wann er möchte und so lange bleiben, wie es ihm gefällt. Ein Spielplatz-Besitzer muss also nichts anderes tun, als sich dieses neue Spielzeug zu besorgen, schon werden die Kinder gerne kommen.
In diesen Spielplatz, den Online-Video-Markt, investieren derzeit Technologie-Unternehmen. AOL hat sich bereits die Realityshow "Connected" aus Israel gesichert. Microsoft genehmigte die Produktion von sechs Exklusivproduktionen. Die Konzerne profitieren von dem Trend, dass sich die Zuschauer nicht mehr vorschreiben lassen, wann sie welche Sendung zu sehen haben. Sie zeichnen auf, die schließen Abonnements mit Streamingdiensten wie Netflix ab oder besorgen sich Inhalte auf DVDs. Feste Sendezeiten sind bei Serien ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Was zählt, ist einzig die Qualität des Produkts.
Profitieren will nun auch Yahoo: Wie das Wall Street Journal berichtet, will der Konzern unter Führung von Marissa Mayer vier Komödien mit jeweils zehn Folgen bestellen. Das Budget einer Episode soll jeweils zwischen 700 000 und mehreren Millionen US-Dollar liegen. Das ist Hochpreissegment. "Sie suchen nach den gleichen Formaten wie Netflix und Amazon", wird eine nicht näher genannte Quelle zitiert. Heißt: Das Unternehmen will süchtig machende Hits produzieren.
Yahoo selbst äußerte sich auf Anfrage nicht zu dem Bericht, bei einer Telefonkonferenz im Januar hatte Mayer betont, dass Online-Videos zur zentralen Strategie des Unternehmens gehörten. Mayer und Marketingchefin Kathy Savitt sollen in den vergangenen Monaten mehr als 100 Projekte geprüft haben, Branchenexperten vermuten, dass Mayer die ersten Produktionen Ende des Monats auf der TV-Marketing-Messe "New Front" in New York vorstellen wird.
Auf dem Markt der Serien treffen die Tech-Konzerne allerdings auf erfolgreiche Spieler mit Expertise für dramatische Stoffe. Sie heißen Netflix, AMC, HBO. Der Abonnement-Streamingdienst Netflix ( "Orange Is The New Black", "Arrested Development", "House of Cards") steigerte seinen Umsatz im vierten Quartal 2013 um 24 Prozent auf 1,2 Milliarden Dollar und setzte sich deutlich von Konkurrent Hulu ab. Der kaufte bislang Inhalte eher zu, setzt nun jedoch ebenfalls verstärkt auf Eigenproduktionen wie "The Awesomes", "Behind the Mask" und "The Wrong Mans" setzen will.
Das 1972 gegründete Pay-TV-Unternehmen Home Box Office (HBO) - Prototyp des Premium-Kabelfernsehens - präsentierte die innovative und erfolgreiche Serie "True Detective" mit Woody Harrelson und Matthew McConaughey, am vergangenen Sonntag begann die vierte Staffel von "Game of Thrones", danach lief die erste Episode von "Silicon Valley". Im vierten Quartal 2013 vermeldete HBO einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar, einen Gewinn von 413 Millionen Dollar. Der Kabelsender AMC ( "Breaking Bad", "Mad Men", "The Walking Dead") konnte seinen Gewinn im vergangenen Vierteljahr von 35,4 Millionen Dollar im Gegensatz zum Vorjahresquartal mehr als verdoppeln.
All diese Erfolge verdecken jedoch eine Wahrheit: Es ist überhaupt nicht einfach, auf diesem Markt erfolgreich zu sein, ganz im Gegenteil. Während der so genannten "Pilot Season" laufen in den USA viele Serien an. Nicht wenige werden bereits nach drei Folgen wieder abgesetzt. "Das ist kein einfaches Geschäft, die Rate an Fehlschlägen ist hoch", sagt Nancy Tellham. Sie ist bei Microsoft für exklusive Videoinhalte verantwortlich und hat zuvor beim Fernsehsender CBS gearbeitet: "Man muss es häufig versuchen, hoffentlich ist unsere Erfolgsquote höher als die der anderen."
Mit einer exzellenten Fernsehserie Geld zu verdienen, ist keine Kunst. Die Kunst besteht darin, diese exzellente Serie zu finden. Dafür verwenden einige Anbieter die Daten ihrer Kunden, die sie über die Jahre gesammelt haben. Netflix etwa wusste über einen Algorithmus, dass Filme des Regisseurs David Fincher und Werke des Schauspielers Kevin Spacey überaus beliebt waren - und dass die Kunden mit Vorliebe Filme und Serien mit politischem Hintergrund bestellten. Also orderte Senderchef Ted Sarandos das Politdrama "House of Cards". Regisseur: David Fincher. Hauptdarsteller: Kevin Spacey.
Tech-Konzerne, die seit den Neunzigern ihre Macht aus dem Netz heraus auf andere Bereiche ausbreiten, halten es schon länger für lukrativ, auf eigene Inhalte zu setzen. Google etwa betreibt weltweit Ausbildungszentren und Studios für seine Plattform Youtube. Im Youtube Space LA im Süden von Los Angeles treffen sich Produzenten von Internetvideos und arbeiten an ihren Projekten, sie können die 3800-Quadratmeter-Halle kostenlos nutzen. Über Chromecast können Youtube-Filme mittlerweile auch auf dem Fernseher abgespielt werden. Amazon hat die Streamingbox Fire TV vorgestellt, die Dreharbeiten zur Dramaserie "Bosch" haben in Los Angeles begonnen. Zudem hat das Unternehmen die Serie "The After" von Akte-X-Erfinder Chris Carter und weitere Serien bestellt.
Bereits vor zwei Jahren hat Yahoo es mit der Realityshow "Failure Club" und der Comicserie "Electric City" probiert. Beide Formate wurden eingestellt. Umso mehr braucht Yahoo-Chefin Meyer nun einen Erfolg. Der Umsatz ihres Unternehmens ist im vergangenen Quartal 2013 zum vierten Mal in Folge gesunken. Während die Konkurrenten Google und Facebook bei den Werbeerlösen gewaltig zulegten, sank der Marktanteil von Yahoo an Display-Anzeigen deutlich.
Die Kunst auf dem Online-Video-Markt, ob nun im Internet oder im TV, liegt auch darin, die Zahl der Misserfolge so gering wie möglich zu halten - oder sie zumindest finanziell verkraften zu können. Abonnement-Angebote wie Netflix oder HBO können es sich leisten, in teure Produktionen zu investieren, auch wenn mal ein Fehlschlag dabei ist. Ein werbefinanziertes Unternehmen wie Yahoo funktioniert eher wie ein frei empfangbarer Fernsehsender und dürfte sich schwerer tun, Misserfolge wegzustecken. Zudem ist unklar, ob Yahoo ähnlich viele Daten über die Seh- und Kaufgewohnheiten der Kunden hat wie Netflix oder Amazon.
Allerdings dürfte Yahoo bald in der Lage sein, kräftig in den Markt zu investieren. Beim geplanten Börsengang des chinesischen Internet-Konzerns Alibaba ist Yahoo per Vertrag dazu verpflichtet, einen Teil seiner Alibaba-Aktien zu veräußern. Experten erwarten, dass Yahoo dadurch bis zu zehn Milliarden Dollar einnehmen könnte. Keine schlechte Grundlage, einen neuen Spielplatz mit vielen Geräten zu errichten - und zu hoffen, dass eines dabei sein wird, dass den Kindern gefällt.