Internetbetrug:Wie Anleger um ihr Geld gebracht wurden

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Mit erfundenen Anlagen erbeuten Kriminelle im Netz Millionen. (Foto: Gary Waters/imago/Ikon Images)

Im bislang größten deutschen Prozess wegen betrügerischen Cybertradings steht ein 45-jähriger Israeli in München vor Gericht. Der Angeklagte gilt als Komplize des "Wolf von Sofia", er soll Anleger um Millionen geprellt haben.

Von Uwe Ritzer, München

Es ist das bislang größte Strafverfahren in Zusammenhang mit dem massenhaften Internetbetrug über sogenannte Tradingplattformen in Deutschland. Vor dem Landgericht München I muss sich ein 45-jähriger Israeli verantworten, den Ermittler als ranghohe Figur in der internationalen Cybertrading-Szene einstufen. Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg wirft dem Mann gewerbs- und bandenmäßigen Betrug in Tateinheit mit Rädelsführerschaft bei einer kriminellen Vereinigung vor. Angeklagt sind 335 Einzelfälle aus den Jahren 2016 bis 2019 mit einem Gesamtschaden von gut 8,6 Millionen Euro. Der wirkliche Schaden liegt allerdings um ein Vielfaches höher.

Welche Dimensionen das schmutzige Internetgeschäft mit erfundenen Geldanlagen angenommen hat, lässt eine Bemerkung von Anklagevertreter Nino Goldbeck von der bei der Bamberger Generalstaatsanwaltschaft angesiedelten Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) zum Prozessauftakt erahnen. Er verwies beim Verlesen der Anklage auf detaillierte Buchungsunterlagen, die österreichische Ermittler in dem Verfahren sichergestellt haben. Demnach wurden allein über die Tradingplattform XTraderFX in nicht einmal einem Jahr Anleger weltweit um 70 Millionen US-Dollar geprellt. Internetseiten wie XTraderFX gibt es aber nach wie vor Hunderte im Netz, der Gesamtschaden geht in die Milliarden.

Wobei das Grundmuster des Betrugs stets dasselbe ist. Mit erfundenen Geschichten über Prominente, die so angeblich ein Vermögen verdient hätten, werden Anleger auf solche Plattformen gelockt. Dort wird meist vorgegaukelt, dass mit Finanzinstrumenten wie Kryptowährungen, Devisen oder CFDs, hochspekulativen Derivaten also, gehandelt wird. Wer sich mit seinen Daten registriert und 200 oder 300 Euro einzahlt, wird mit scheinbaren Echtzeit-Kursen auf dem Bildschirm in den Irrglauben versetzt, sein Einsatz werfe umgehend satte Renditen ab. Sogenannte Broker rufen an, die Anlegern in der Folgezeit mit erfundenen Geschichten immer höhere Einsätze entlocken. Um ihnen das Geld zu entlocken, werden scheinbar beträchtliche Gewinne vorgegaukelt oder aber angeblich Verluste, die man aber mit weiteren Einsätzen schnell wieder reinholen könne.

Doch es gibt bei alledem keine Anlagegeschäfte, das Geld landet umgehend in den Taschen krimineller Banden. Der in München angeklagte Israeli war nach Überzeugung der Bamberger Ermittler einer der engsten Komplizen von Gal Barak, dem sogenannten "Wolf von Sofia". Der steuerte von Bulgarien aus jahrelang ein Geflecht aus Tradingplattformen und Briefkastenfirmen, über die Zehntausende Opfer um ihr Geld gebracht wurden. Barak verbüßte bis Frühjahr 2021 in Österreich eine Haftstrafe; sein kriminelles Netzwerk aus Tarnfirmen tauchte nicht zuletzt in den Pandora Papers auf ( die SZ berichtete).

Die Anklage spricht von einem Geldwäschenetzwerk

XTraderFX war nicht die einzige Tradingplattform, über die Barak und der nunmehr in München angeklagte Mann auch viele deutsche Anleger um ihr Geld brachten. Auch die Internetportale Safemarkets und Option Stars Global spielen in dem Verfahren vor dem Landgericht eine Rolle. Bei ihren Ermittlungen zum Verbleib des Geldes sind deutsche und österreichische Fahnder auf mehr als zwei Dutzend Briefkastenfirmen gestoßen, über die das den Anlegern entlockte Geld so lange hin und her überwiesen wurde, bis die eigentliche Herkunft kaum noch nachvollziehbar war. Die Anklage spricht von einem Geldwäschenetzwerk, das sich keineswegs nur auf die üblichen, so gut wie nicht reglementierten Offshore-Destinationen wie den Jungfern- oder den Marschallinseln erstreckt, die bei kriminellen Finanzgeschäften sehr häufig eine Rolle spielen. Auch in Deutschland, den Niederlanden, Tschechien, Ungarn oder Großbritannien stießen die Ermittler auf Scheinfirmen, die wohl nur der Geldwäsche dienten.

Der Angeklagte in dem Münchner Verfahren fungierte als "Vice President Sales" und war als solcher in der obersten Führungsebene der Firmengruppe E&G angesiedelt, welche unter anderem die Plattformen XTraderFX, Option Stars Global und Safemarkets betrieb. Der 45-Jährige, der gerne unter dem Pseudonym Ethan Fox agierte, war nach Erkenntnissen der bayerischen Cybercrime-Zentralstelle für den Vertrieb der nicht existierenden Anlagen verantwortlich, also gewissermaßen für das operative Tagesgeschäft. Er zählte mit einem monatlichen Festgehalt von 6600 Euro plus satten Boni zu den Bestverdienern im kriminellen Geflecht um Gal Barak "und zu den Hauptprofiteuren der Betrugsdaten", so die Anklage. Die Bande betrieb von 2016 bis 2019 Callcenter in Bulgarien, Serbien, Bosnien-Herzegowina und Georgien, aus denen heraus die angeblichen Broker, die in Wahrheit nur angelernte Callcenter-Mitarbeiter waren, Kunden mit fingierten Telefonnummern und in deren Muttersprache anriefen. Die Betrugsgeschäfte florierten: Anfang 2019 arbeiteten in den vier Callcentern 472 Personen. Ethan Fox war nicht nur in die Abläufe der streng hierarchischen Callcenter eingebunden, sondern er führte und koordinierte deren Aktivitäten.

Was er lange Zeit nicht wusste: Die internationalen Ermittler waren ihm bereits auf der Spur, als er im Juli vorigen Jahres in Athen auftauchte. Dort nahm ihn die griechische Polizei aufgrund eines internationalen Haftbefehls fest. Seit gut einem Jahr sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Schweinfurt in U-Haft. Zum Prozessauftakt vor der vierten Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München I gestand er über eine knappe Erklärung seiner Verteidiger die Vorwürfe aus der Anklageschrift. Im Gegenzug einigten sich Gericht, Anklage und Verteidigung auf einen groben Strafrahmen, der zwischen sechseinhalb und siebeneinhalb Jahren Freiheitsstrafe liegen wird. Die genaue Festlegung trifft das Gericht nach Abschluss einer verkürzten Beweisaufnahme voraussichtlich im Januar 2022.

Mutmaßlich kommt der 45-jährige Angeklagte nach dem Urteil erst einmal in eine Entziehungsanstalt. Ein psychiatrischer Gutachter attestierte ihm zwar volle Schuldfähigkeit, diagnostizierte aber zugleich eine psychische Erkrankung, wohl infolge von jahrelangem schweren Kokain- und Alkoholmissbrauch.

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