Cum-Ex-Prozess:Der Staat muss Steuerdiebstahl härter bestrafen

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Frankfurter Bankenviertel: Ganze Abteilungen meist großer Banken und diverse Anwaltskanzleien halfen bei Cum-Ex-Geschäften. (Foto: Michael Probst/AP)

Finanzdelikte wie Cum-Ex-Geschäfte schaden der Gesellschaft massiv. Die bisher möglichen Strafen für solchen Steuerdiebstahl in Milliardenhöhe reichen nicht aus.

Kommentar von Klaus Ott

Für den Banken-Prozess, der an diesem Mittwoch in Bonn beginnt, bräuchte es eigentlich einen neuen Paragrafen. Oder zumindest einen neuen Namen für das offenkundige Wirtschaftsdelikt, über das nun monatelang am Landgericht der ehemaligen Bundeshauptstadt verhandelt wird: Steuerdiebstahl! Banken und Börsenhändler aus der halben Welt und deren Helfer, darunter durchtriebene Anwälte, haben jahrelang in die Staatskasse gegriffen. Sie haben sich bei undurchsichtigen Börsengeschäften mit Namen Cum-Ex vom böse hintergangenen Fiskus eine nur einmal gezahlte Steuer auf Dividendenerlöse mehrmals erstatten lassen oder das möglich gemacht. Der Schaden geht in die Milliarden.

Der formale Vorwurf in Deutschlands größtem Steuerskandal lautet auf Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen. In Bonn stehen in einem Musterprozess zwei frühere Aktienhändler der Hypo-Vereinsbank als Angeklagte vor Gericht, stellvertretend für mehrere Hundert Verdächtigte. Steuerhinterziehung, das klingt angesichts der Umstände beinahe harmlos. Viele Beschuldigte haben weit mehr getan, als dem Gemeinwesen vorzuenthalten, was dem Gemeinwesen zusteht. Sie bereicherten sich, das zeigen die bisherigen Ermittlungen, an Steuern. Sie holten sich Geld, das Bürger und Unternehmen bereits in die Staatskasse eingezahlt hatten; beziehungsweise sie halfen dabei, den Fiskus zu plündern.

Das ist alles längst erwiesen. Erste Geständnisse liegen vor, einige Geldinstitute wie die Hypo-Vereinsbank haben hohe Millionenbeträge zurückgezahlt. Bei Gericht geht es im Kern nun um zwei Fragen: Wer hat mitgemacht? Und war das strafbar? Dass juristisch überhaupt noch geklärt werden muss, ob ein faktischer Steuerdiebstahl auch kriminell ist, wirkt befremdend, ja grotesk. Daran sind einerseits Bundesregierung und Bundestag schuld, die mit laxen, löchrigen Vorschriften dubiosen Deals beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende Vorschub geleistet haben. Ohne aber solche Geschäfte ausdrücklich zu erlauben.

Noch viel mehr Schuld tragen andererseits ganze Abteilungen meist großer Banken bis hin zur Wall Street in New York sowie jene Anwaltskanzleien, die offenbar glauben, dass erlaubt sei, was nicht ausdrücklich verboten ist. Welches Ausmaß an Dreistigkeit braucht es eigentlich für die Idee, es könnte irgendwie legal sein, den Staat auszunehmen? Und doch ist dies genau jenes Geschäftsmodell, dem ein kleiner, ohnehin begüterter und besonders selbstsüchtiger Teil der internationalen Finanz- und Börsenszene frönt: jede vermeintliche Lücke im Steuerrecht auszunutzen, um noch schneller noch reicher zu werden. Mit Unterstützung von Advokaten der Gier, die keine Zierde der Anwaltschaft sind, sondern so ziemlich das Gegenteil.

Der Steuerdiebstahl bei Cum-Ex ist, was Schaden und Verwerflichkeit anbelangt, noch viel schlimmer als das, was Uli Hoeneß getan hat. Der Präsident des FC Bayern München hatte an der Börse gezockt und seine Gewinne nicht versteuert. Er wurde wegen Steuerhinterziehung in Höhe von knapp 30 Millionen Euro zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, einen Teil davon musste er absitzen. Gemessen am Hoeneß-Schuldspruch wären bei Cum-Ex noch viel höhere Haftstrafen fällig, sollte die Justiz zu dem Ergebnis kommen, dass diese Aktiendeals kriminell gewesen sind. Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen wird aber mit maximal zehn Jahren Gefängnis geahndet. Das ist eindeutig zu wenig für Steuerdiebstahl in Milliardenhöhe.

Das Geld fehlt für Bildung, Sicherheit, Soziales und vieles andere

Eine Ausnahme geben sollte es nur für Kronzeugen, die auspacken und den Ermittlern helfen. Um in solche Kreise vorzudringen, die wie Banden agieren, wird es immer Insider brauchen. Bei Cum-Ex und auch sonst. Nur von außen werden sich diese Kartelle kaum aufbrechen lassen. Und sein Wissen preisgeben wird nur, wer halbwegs glimpflich davonkommt. Alle anderen sollten bekommen, was sie verdienen. Wer einwendet, wo dann noch der Unterschied sei zu Gewaltdelikten, dem sei gesagt, dass Cum-Ex zwar völlig anders gelagerte Taten sind als Mord und Totschlag, der Gesellschaft aber nichtsdestotrotz ungeheuer großen Schaden zufügen können. Das Geld, das aus der Staatskasse entwendet wird, fehlt für Bildung, Sicherheit, Soziales und vieles andere, was eine friedliche, gerechte, lebenswerte Gesellschaft ausmacht. Für eine Gesellschaft, in der eben nicht das Recht des Stärkeren, des Durchtriebeneren, gilt.

Cum-Ex ist ja kein Einzelfall. Der Umsatzsteuerbetrug am Fiskus durch organisierte Kriminalität, den die Bundesregierung und die anderen EU-Staaten einfach nicht in den Griff bekommen, kostet den Staat noch mehr. Am Ende werden die Cum-Ex-Geschäfte beim Bundesgerichtshof landen. Und der könnte ein für allemal klären, dass jeder Griff in die Steuerkasse illegal ist. Ganz egal, auf welche abwegigen Ideen Steuerabteilungen in Großbanken und Anwaltskanzleien noch kommen.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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