Das Verb "priorisieren" gehört im Manager-Phrasenschatz von Paul Hudson zu den besonders oft verwendeten Wörtern. Er sagt es auf Englisch: To prioritise. Hudson priorisiert unentwegt, sei es, um das Geschäft seines Konzerns neu zu ordnen oder sei es in seinem Terminkalender.
Auch bei der Verteilung eines künftigen Abwehrmittels gegen das Coronavirus möchte der Chef des Pariser Pharmariesen Sanofi, eines der größten Impfstoffproduzenten der Welt, eine Rangordnung herstellen. "Die USA werden zuerst die Impfungen bekommen", sagt Hudson. Damit löst der Mann, der den Arzneimittelkonzern erst seit wenigen Monaten lenkt, in Frankreich einen Eklat aus.
Ein Nicht-Franzose an der Spitze der französischen Industrieikone Sanofi, ein Brite zumal, der ausgerechnet die Amerikaner bei der Versorgung mit Corona-Impfstoff bevorzugen will? Das passt für viele im Land ins Bild eines angelsächsisch geprägten und geradezu zynischen Corona-Kapitalismus, bei dem allein Geld über die Chancen gegen das Virus entscheidet. Hudsons stets aufreizend gute Laune macht die Sache nicht besser.
Von links bis rechts ist Frankreichs politische Klasse in Aufruhr. "Inakzeptabel", "unverständlich", "unwürdig", schimpfen Emmanuel Macrons Minister. Der Präsident selbst lässt ausrichten, dass er den Ärger teilt, der künftige Impfstoff müsse "den Marktgesetzen entzogen" werden. Für die nächsten Tage zitiert er den Sanofi-Chef in den Élysée. "Ich bin ein super Zuhörer", pflegt Hudson, 52, von sich zu sagen. Er wird diese Fähigkeit brauchen können. Wie die Bundesregierung fordert Frankreichs Staatschef gleichen Zugang für alle Menschen zum Corona-Schutz.
Vielleicht hat der gelernte Marketingspezialist und Liebling der Finanzanalysten Hudson aber auch nur so ehrlich wie kein anderer ausgesprochen, wie darwinistisch es zugeht bei der Suche nach einem Schutz vor dem Coronavirus: "Die US-Regierung hat den Zugriff auf die größte Vorbestellung, weil sie in die Risikoübernahme investiert", hat Hudson der US-Nachrichtenagentur Bloomberg diese Woche anvertraut und so den Skandal losgetreten. Er habe die europäischen Regierungen gewarnt, dass die USA als Erste bedient würden, weil sie sich an der Impfstoff-Forschung beteiligten. Die amerikanische Gesundheitsbehörde Barda hat bisher schon 30 Millionen Dollar in Sanofis teure Suche eines Corona-Impfstoffs investiert. Was das Unternehmen später an Impfdosen in den USA produziert, wo es dank Zukäufen sehr präsent ist, soll vorrangig für Amerikaner verwendet werden. Das ist der Deal. Für Hudson eine faire Sache. Für seine Kritiker eine unethische Versteigerung des allseits ersehnten Corona-Schutzes an den Meistbietenden.
Die USA haben ein Rennen um den Impfstoff ausgelöst - und um Subventionen für seine Entwicklung. Sehr zu Hudsons Freude lassen sich die Europäer allen empörten Worten zum Trotz auf dieses Rennen ein: Sanofi führe "sehr konstruktive Gespräche unter anderem mit den EU-Institutionen und der französischen als auch der deutschen Regierung", über "ähnliche Maßnahmen" wie die US-amerikanischen, lässt der Sanofi-Chef nachtragen. Seit der Übernahme der einstigen Hoechst-Werke ist sein Konzern auch in Deutschland stark vertreten. Hudson beschwichtigt zudem: Der Impfstoff werde "allen Bürgern zur Verfügung gestellt, egal welcher Nationalität". Die USA bekämen höchstens einige Wochen Vorsprung. Im zweiten Halbjahr 2021 will er erste Impfdosen auf den Markt bringen.
Priorisieren, konzentrieren, fokussieren - für diese Managerqualitäten hat Sanofi den Mann aus Manchester 2019 beim Konkurrenten Novartis abgeworben. Innerhalb des Konzerns hat Hudson schnell klargemacht, was das in der Praxis bedeutet: Ohne große Rücksicht auf Traditionen und Befindlichkeiten baut er Sanofi um. Jetzt hat Hudson auch klargemacht, was Priorisieren für den Kampf gegen das Coronavirus bedeutet.