Chemieindustrie:Es war ein kurzer Gipfelsturm

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Produktion in Ludwigshafen: Auch diesen Standort trifft es (Foto: Andreas Pohlmann/BASF)

Bei einem Gipfel im Kanzleramt wollten Manager aus der Chemieindustrie den Kanzler von einem Industriestrompreis überzeugen. Doch der bleibt erst einmal hart. Wie lange hält er das durch?

Von Michael Bauchmüller und Elisabeth Dostert, Berlin

Nicht jeder Aufbruch zu einem Gipfel endet auch dort. Das muss am Mittwoch auch die deutsche Chemieindustrie einsehen. Sekundiert von Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, Arbeitgeberchefs und Gewerkschaftern war sie zum Kanzleramt aufgebrochen, zum "Chemiegipfel". Doch der Gipfelsturm endete, noch ehe der Aufstieg begonnen hatte. Schon an der ersten Gabelung gab es Unstimmigkeiten über den richtigen Weg. Und über den wird jetzt erst einmal gründlich gegrübelt.

Am Mittwoch um kurz nach zwei Uhr also verlässt die Entourage das Kanzleramt, und die Enttäuschung ist mit Händen zu greifen. Mit "gemischten Gefühlen" verlasse man den Ort des Geschehens, sagt Markus Steilemann, Chef des Chemiekonzerns Covestro und zugleich des Branchenverbands VCI. Einerseits sei zwar klar geworden, dass die Dringlichkeit der Themen "erkannt" werde. Andererseits sei aber das dringlichste Thema nicht adressiert worden, nämlich die Entlastung des Strompreises. "Wenn wir heute keine kurzfristige Lösung in diesem Bereich haben, müssen wir uns über zukünftige Themen keine Gedanken mehr machen", sagt Steilemann noch. "So dramatisch möchte ich es einmal formulieren." Oder, wie Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagt: "Es ist fünf vor zwölf."

(Foto: SZ-Grafik/ Verband der Chemischen Industrie)

Glaubt man Teilnehmern, hatte sich Kanzler Olaf Scholz bei dem zweistündigen Treffen mehrere solche Warnungen anhören müssen. Der Kanzler aber habe erwidert, dass durchaus Dinge im Gange seien. Etwa beim Ausbau der Energienetze, die Hoffnung auf sinkende Preise machen könnten. Ganz offensichtlich hat er seine Zuhörer damit nicht zufriedenstellen können.

Ziel ist ein Chemie-Pakt - aber wie soll der aussehen?

"Etwas enttäuschend" sei die Zusammenkunft verlaufen, findet auch Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie und als Sozialdemokrat eigentlich ein Genosse Scholz'. Man habe zwar "die Probleme analysiert", das Hauptproblem aber nicht gelöst. "Das Wichtigste ist, dass wir schnell diesen Dialog fortsetzen", sagt Vassiliadis.

Nur, wie genau das passieren soll, und wann - das ist offen. Es geht auch nicht aus dem Papier hervor, das das Bundeskanzleramt vor dem Treffen vorbereitet hatte, und das in seinen sechs Punkten den weiteren Weg skizzieren sollte. "Der Austausch zu den Rahmenbedingungen der chemischen Industrie soll fortgesetzt werden", heißt es da am Schluss, "mit dem Ziel eines Chemie-Pakts."

Doch am Mittwoch wirkt dieses Ziel in weiter Ferne. Aus den Staatskanzleien der Länder waren auch einige Regierungschefs angerückt. Darunter auch Malu Dreyer, in deren Bundesland Rheinland-Pfalz auch Ludwigshafen liegt und damit der Sitz des Chemiekonzerns BASF, dem größten Arbeitgeber der Region. Es sei ja schon einmal ein "sehr wichtiger erster Schritt, auch bei diesem Thema im Gespräch zu sein", findet sie. "Offen ist natürlich, wie man kurzfristig zu einer Entlastung der Chemie kommen kann, was das Thema Strompreise angeht", räumt die Sozialdemokratin ein.

(Foto: SZ-Grafik/ Verband der Chemischen Industrie)

"Nur wenn die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie schnell wiederhergestellt wird, können wir unsere vielfältigen Zukunftsaufgaben am Standort Deutschland erfüllen", ließ BASF-Vorständin Melanie Maas-Brunner nach dem Gespräch wissen. Das Gespräch mit dem Bundeskanzler sei daher äußerst wichtig gewesen, aber "nur ein erster Schritt" hin zu einem Chemiepakt zwischen Industrie, Gewerkschaften und Politik.

Erst Anfang des Monats hatten die 16 Länderchefinnen und -chefs bei einem Besuch in der EU-Hauptstadt eine "Brüsseler Erklärung" abgegeben. In der warben sie gemeinsam für Entlastungen beim Industriestrompreis. Auch gegenüber der EU-Kommission wollten sie so Geschlossenheit zeigen. Doch nach dem Treffen in Berlin wirkt es nicht so, als wären sie in den drei Wochen sonderlich weit gekommen. In der Bundesregierung haben sie bisher nur Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auf ihrer Seite. Christian Lindner (FDP), der Finanzminister, scheut die Kosten, und auch Kanzler Scholz hat sich früh gegen umfassende Hilfen ausgesprochen.

Beim Chemiegipfel tritt nun noch ein Akteur auf den Plan: der Bundestag. In dem Regierungs-Papier zum Treffen soll er in Sachen Energiepreisen ein Wort mitreden: Der Bundesregierung sei die Bedeutung wettbewerbsfähiger Energie- und Strompreise bewusst, heißt es da. "Sie befindet sich in Gesprächen mit dem Parlament über Vorschläge, wie die Stromversorgung so ausgestaltet werden kann, dass Strompreise stabilisiert werden können und damit Planungssicherheit verbessert werden kann." Was konkret diese Stabilisierung der Preise bedeuten kann, bleibt offen.

Doch der Druck ist da, am Mittwoch in Form eines Kurzberichts des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Danach haben bereits drei Viertel der energieintensiven Unternehmen ihre Produktion dauerhaft oder zeitweise reduziert, planen dies oder denken darüber nach. Das Zurückfahren industrieller Produktion in Deutschland sei kein Szenario, das sich möglicherweise irgendwann in der Zukunft abspielen könnte. "Es findet bereits statt und zahlreiche Unternehmen erwägen eine Drosselung der Produktion."

(Foto: SZ-Grafik/Verband der Chemischen Industrie)

Die Energiepreiskrise habe die Standortnachteile Deutschlands "deutlich sichtbar gemacht." Infolge der "erheblich erhöhten Energiepreise", habe sich die Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Unternehmen verschlechtert. Auch die zwischenzeitlich wieder gesunkenen Energiepreise hätten die Wettbewerbsnachteile nicht verschwinden lassen, heißt es in dem Kurzbericht. Dieser basiert auf einer Befragung von 148 Unternehmen der energieintensiven Branchen Papier, Chemie sowie Metallerzeugung und -verarbeitung. Die Befragung sei nicht repräsentativ, zeige aber "deutliche Tendenzen".

Vor allem in China und den USA sehen die Konzerne deutlich günstigere Produktionsbedingungen. So tragen sie es auch im Kanzleramt vor. Zwar lasse sich ein gewisser Unterschied durch andere Vorteile des Standorts Deutschland wettmachen. Nicht aber die Lücke, die derzeit zwischen den Preisen in Deutschland und etwa China klaffe.

Einstweilen aber geht an der Weggabelung nichts voran und nichts zurück. Ein "Prozess" soll nun beginnen, um den Weg zum Gipfel, also einem Pakt zwischen Regierung und Chemieindustrie, herauszufinden. Wie dieser Prozess konkret aussehen soll? Am Mittwoch um kurz nach zwei wusste das keiner.

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