Wohneigentum:Wer profitiert, muss zahlen

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Ein Wohngebäude an der Theresienhöhe in München. Welche Kosten müssen alle Eigentümer in einem Mehrfamilienhaus tragen und welche nicht? Dazu fällt der BGH in Kürze zwei Grundsatzurteile. (Foto: Johannes Simon)

Bei Eigentümergemeinschaften gibt es oft Streit. Vor dem BGH stehen nun zwei Urteile zu einem neuen Gesetz an. Es geht darum, wer die Kosten trägt, wenn Dinge neu eingebaut oder repariert werden, die nur von manchen Bewohnern im Haus genutzt werden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Vor gut drei Jahren trat das grundlegend reformierte Gesetz zum Wohnungseigentum in Kraft, ein Update des früheren Regelwerks voller Verhinderungsparagrafen und Blockademöglichkeiten. Die neuen Vorschriften sollten Eigentümergemeinschaften anpassungsfähiger machen. Energiewende und Digitalisierung, Stau bei der Altbausanierung, die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft - all dies wurde in Paragrafen gegossen.

Neue Gesetze ziehen stets Gerichtsprozesse nach sich, und inzwischen haben die ersten Fälle den Bundesgerichtshof erreicht. Im Dezember verhandelte der fünfte Zivilsenat des BGH über das Thema Barrierefreiheit, Ende Januar folgte eine Anhörung zu den neuen Instrumenten der Kostenverteilung bei Sanierungen. In beiden Fällen stehen nun Urteile bevor.

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Zwei Fälle, über die der BGH am 22. März entscheidet, illustrieren die neue Freiheit der Eigentümergemeinschaft bei der Kostenverteilung. Danach können Maßnahmen zur Instandhaltung der Anlage einzelnen Eigentümern auferlegt werden - und zwar auch dort, wo bisher die Gemeinschaft verantwortlich war.

In einem der Fälle wehrt sich ein Eigentümer dagegen, dass er ein paar Tausend Euro für den Austausch eines defekten Dachfensters allein tragen soll. Irgendwie ist es zwar schon "sein" Fenster, weil er nun mal im Dachgeschoss wohnt, formal allerdings zählt das Fenster zum Gemeinschaftseigentum. Die Kosten dafür hatten bisher alle Eigentümer zu tragen, doch im August 2021 nutzte die Eigentümergemeinschaft das noch frische Reformgesetz für einen überraschenden Move: Sie beschloss den Austausch des Fensters, gab den Auftrag an eine Fachfirma - und drückte dem Dachbewohner die Kosten aufs Auge. Weil doch letztlich er der Profiteur der Sanierung sei.

Auch in einem weiteren Verfahren wird darüber gestritten, ob Reparaturen, die nicht allen Eigentümern gleichermaßen nützen, per Einzelfallbeschluss bestimmten Eigentümern auferlegt werden können. Geklagt hatte ein Eigentümer, dem vier sogenannte Doppelparker in der Tiefgarage einer Wohnanlage gehören, Stellplätze, die mit einer Hebeanlage betrieben werden. Weil die im Gemeinschaftseigentum stehende Hydraulikanlage defekt ist, verlangt er deren Reparatur - auch auf Kosten derjenigen Eigentümer, die davon nichts haben. Auch hier reagierte die Gemeinschaft mit einem ad hoc geänderten Verteilerschlüssel: Zahlen sollte nur, wer auch einen Doppelparker hat.

Klingt alles kleinteilig, hat aber Folgen, die sich in Euro ausdrücken lassen

Möglich sind solche Mehrheitsbeschlüsse nach dem neuen Paragrafen 16, der regelt, wie die "Kosten der Gemeinschaft" verteilt werden. Normalerweise richtet sich die Verteilung nach den Eigentumsanteilen, aber im zweiten Absatz heißt es etwas lapidar, die Wohnungseigentümer könnten "für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten" eine abweichende Verteilung beschließen. Die Vorschrift sei sehr weit gefasst, sagte die BGH-Senatsvorsitzende Bettina Brückner in der Verhandlung. "Sie könnte es nahelegen, dass man den Kreis der Kostenschuldner ändern darf."

Dies war nach der früheren Rechtslage nicht erlaubt. Zulässig war es zwar, den Verteilungsmaßstab zu verändern. Doch dass der Kreis derer, die etwa für Reparaturen aufkommen müssen, kurzerhand per Mehrheitsbeschluss neu gezogen wird, war nicht möglich. Ein Anwalt im Doppelparker-Fall hielt dem zwar entgegen, das Vertrauen der Eigentümer in die angesparte Erhaltungsrücklage werde enttäuscht, wenn die Kostenlast auf wenige Schultern verteilt werde. Dass aber die Kosten zumindest denjenigen auferlegt werden dürfen, die von den fraglichen Teilen des Gemeinschaftseigentums wirklich profitieren - vom Dachfenster und vom Doppelparker -, dürfte nach der Verhandlung naheliegen.

Die Diskussion im Gerichtssaal drehte sich denn auch eher um Grundsatzfragen: Hat so ein Kostenbeschluss Folgen für die Zukunft? Muss womöglich, wenn über ein Dachfenster entschieden wird, die Kostenverteilung bei Fensterreparaturen gleich für die gesamte Gemeinschaft neu geregelt werden? Oder erlaubt die Flexibilität, die mit dem Reformgesetz Einzug halten sollte, auch den schlanken Einzelfallbeschluss, der erst mal nur für ein Fenster gilt? Klingt alles kleinteilig, hat aber Folgen, die sich in Euro ausdrücken lassen.

In einem weiteren BGH-Verfahren, über das bereits am 9. Februar entschieden wird, war immerhin unstrittig, wer die Kosten trägt. Dort geht es um Baumaßnahmen zur Barrierefreiheit. In einem Fall sollte ein Aufzug im Hinterhof einer schicken Immobilie nahe dem Englischen Garten gebaut werden, im zweiten Fall eine Terrasse inklusive Rampe auf der Gebäuderückseite eines Hauses. Einzelne Eigentümer wollten dies durchsetzen und würden dafür auch zahlen; der Aufzug wurde mit rund 200 000 Euro veranschlagt, verteilt auf die Eigentümer im dritten und vierten Obergeschoss.

Ausdrücklich bevorzugt: Einbau von Ladestationen und Anschluss an digitale Netze

Können einzelne Eigentümer solche Veränderungen gegen die Gemeinschaft durchsetzen? Die Antwort darauf fällt vergleichsweise leicht, denn das Gesetz selbst gibt sie: Eigentümer können bauliche Veränderungen zur Herstellung von Barrierefreiheit verlangen. "Solche baulichen Veränderungen sind privilegiert", sagt Michael Nack vom Verbraucherschutzverband Wohnen im Eigentum. "Das ist ein gesellschaftliches Ziel, weil das Thema Alter und Gebrechlichkeit demografisch an Bedeutung gewinnt." Hier gilt das Prinzip Vorsorge: Wer für Barrierefreiheit sorgen will, muss nicht bereits selbst betroffen sein.

Ausdrücklich privilegiert ist daneben auch der Einbau von Ladestationen, der Einbruchsschutz und der Anschluss an digitale Netze mit hoher Kapazität. Das Gesetz hat sich nämlich auch der Förderung von E-Mobilität und Digitalisierung verschrieben, und dem Bedürfnis nach Sicherheit ohnehin. Solche Ansprüche darf die Gemeinschaft nicht verweigern - solange es um das Ob geht.

Auch die BGH-Senatsvorsitzende Bettina Brückner ließ in der Verhandlung anklingen, dass der Spielraum der Eigentümer gering sein dürfte, einen solchen Aufzug komplett abzulehnen. "Doch beim Wie hat die Gemeinschaft das Heft in der Hand", fügte sie hinzu. Wenn optische oder statische Bedenken gegen einen Aufzug bestehen, dann hat die Gemeinschaft durchaus Einflussmöglichkeiten. Richter Alfred Göbel fasste das so zusammen: "Vielleicht spielt die Musik eher bei der Ausführung." Was Stoff für weitere BGH-Urteile bieten dürfte.

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