Brexit:Warum die Brexit-Verhandlungen jetzt in ihre wichtigste Phase kommen

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Ein Anti-Brexit-Demonstrant vor dem Londoner Parlament (Foto: AFP)

Die kommenden Monate entscheiden über die Beziehung zwischen Großbritannien und der EU. Droht ein harter Brexit, werden sich Unternehmen abwenden. Austritt-Fans wie Boris Johnson ist das offenbar egal.

Von Björn Finke, London

Das nächste Jahr wird das wichtigste sein: Großbritannien trat 1973 zusammen mit Irland und Dänemark in die EG ein, wie die Europäische Union damals hieß. Am 29. März 2019 werden die Briten die EU nach viereinhalb Jahrzehnten wieder verlassen. 2018 wird also das letzte volle Jahr als EU-Mitglied sein. In diesem Abschlussjahr wird sich entscheiden, wie die Beziehungen zwischen Königreich und EU künftig aussehen werden. Laufen die Verhandlungen der Regierung mit Brüssel schlecht, könnte 2018 auch das Jahr sein, in dem der Brexodus der Unternehmen beginnt: Banken und andere Firmen könnten wegen des anstehenden Austritts im großen Stil Abteilungen und Investitionen von der Insel abziehen.

Wirtschaftsvertreter mahnen zur Eile, um die schädliche Unsicherheit zu beenden: "Wir fordern die Unterhändler von EU und Großbritannien auf, in den kommenden Monaten Klarheit über die Grundzüge der künftigen Handelsbeziehungen zu schaffen", heißt es in einer Erklärung von sieben europäischen Handelskammern, darunter der deutsche Verband DIHK und das britische Pendant BCC. Gespräche über so einen Vertrag sollten "so schnell wie möglich beginnen". Die EU-Staats- und Regierungschefs verkündeten bei ihrem Gipfel vorige Woche, dass die Verhandlungen über die Trennung ausreichend Fortschritte gemacht hätten. Daher erlauben die EU-Mitglieder Unterhändler Michel Barnier, mit dem britischen Brexit-Minister David Davis über Übergangsregeln und ein Handelsabkommen zu reden.

Austritts-Enthusiasten wie Boris Johnson sind Nachteile für die Wirtschaft eher egal

Diskussionen über eine Übergangsphase starten bereits im Januar. Ziel ist, dass sich für Unternehmen und Bürger am 30. März 2019, am Tag eins nach dem Brexit, fast nichts ändert. Für Geschäfte über den Ärmelkanal gelten die alten Regeln dann einfach weiter, so als sei Großbritannien immer noch EU-Mitglied. Das Königreich hält sich im Gegenzug weiter an alle Vorgaben, zahlt in den Brüsseler Haushalt ein und unterliegt der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Die britische Regierung will das akzeptieren; der Übergangszeitraum soll bis Ende 2020 oder Anfang 2021 dauern.

Für die Unternehmen ist es wichtig, dass sich London und Brüssel schnell auf so eine Regelung einigen, am besten bis Ostern. Gelänge das erst im Sommer, wäre es für viele Betriebe zu spät. Manager hätten bereits angefangen, Notfallpläne umzusetzen, um ihre Firmen auf einen harten Brexit im März 2019 vorzubereiten: Banken würden Abteilungen von London aufs Festland verlagern, Industriekonzerne ihre britischen Fabriken bei Investitionen außen vor lassen. Wissen die Chefs hingegen früh genug, dass erst 2021 Änderungen anstehen, können sie abwarten und beobachten, wie sich die Gespräche zwischen Barnier und Davis über ein Freihandelsabkommen für die Zeit nach 2021 entwickeln.

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Bis 2019 soll der Aufbau eines Europäischen Währungsfonds und der Posten eines Europäischen Wirtschafts- und Finanzministers beschlossen werden.

Über so einen Vertrag werden die beiden erst etwas später sprechen können, von März oder April an. Barnier hofft, sich bis Oktober mit den Briten auf die Grundsätze eines Freihandelsabkommens zu einigen. Zwischen Herbst und dem Scheidungstermin im März 2019 sollen das EU-Parlament und diverse nationale Parlamente - auch das britische - dem Austrittsvertrag und den Übergangsregeln zustimmen. Detail-Gespräche über das Freihandelsabkommen starten nach dem Brexit.

Zunächst aber muss sich die britische Regierung eine Meinung darüber bilden, welchen Handelsvertrag sie anstrebt. Das Kabinett ist bei der Frage genauso gespalten wie die Regierungsfraktion der Konservativen Partei. Auf der einen Seite der Debatte stehen wirtschaftsfreundliche Politiker wie Schatzkanzler Philip Hammond, die Brüssel entgegenkommen wollen, um den Brexit für Firmen erträglicher zu gestalten. Doch Austritts-Enthusiasten wie Außenminister Boris Johnson ist vor allem wichtig, dass die EU nach der Übergangsphase nichts mehr zu sagen hat auf der Insel. Nachteile für Unternehmen sind dieser Gruppe eher egal.

Für die Firmen im Königreich sind die anderen europäischen Staaten die wichtigsten Exportmärkte. Banken aus aller Welt nutzen Niederlassungen in London, um Kunden auf dem ganzen Kontinent zu bedienen. Dank des EU-Binnenmarktes reicht den Finanzkonzernen ihre britische Lizenz; diese wird überall anerkannt. Da die britische Regierung nach der Übergangsphase 2021 Binnenmarkt und Zollunion verlassen will, werden diese Geschäfte wohl schwieriger.

Zwar würde ein Freihandelsvertrag sicherstellen, dass keine Zölle eingeführt werden. Mit Kanada hat die EU so ein Abkommen nach sieben Jahre dauernden Gesprächen abgeschlossen. Das würde aber nicht verhindern, dass die wichtige britische Dienstleistungsbranche - etwa die Finanzfirmen - die Privilegien verliert, welche die Mitgliedschaft im Binnenmarkt bietet. Londons Banken bräuchten dann eine zusätzliche Genehmigung aus einem EU-Staat. Dafür müssen die Konzerne auf dem Festland Abteilungen ausbauen, zulasten der britischen Filialen. Die Bank of England schätzt, dass der Brexit mindestens 10 000 Finanzjobs kosten wird.

Die Briten streben ein Partnerschaftsmodell an. Doch davon will die EU nichts wissen

Der Abschied vom Binnenmarkt belastet auch Industriebetriebe, zum Beispiel in der Pharma- und Chemiebranche. Erkennt Brüssel britische Zulassungen nicht mehr an, müssten die Konzerne Produkte noch einmal in der EU genehmigen lassen. Ein weiteres Problem: Weil das Land nicht in der Zollunion bleiben will, werden in Zukunft Grenzbeamte Lastwagen stichprobenartig kontrollieren müssen. Das ist selbst dann nötig, wenn dank eines Freihandelsvertrags britische Produkte zollfrei sind. Die Autofabriken im Königreich beziehen viele Zulieferungen vom Festland und halten nur Teile für wenige Produktionsstunden auf Lager. Verzögerungen durch Zollkontrollen sind ein Risiko.

Die Regierung weiß um diese Nachteile. Sie hofft, sich mit Brüssel auf einen Freihandelsvertrag zu einigen, der umfassender ist als übliche Abkommen und viele Vorteile des Binnenmarktes in die Brexit-Welt hinüberrettet. Zugleich will sich London nicht Regeln und Rechtsprechung der EU unterwerfen, so wie es Norwegen machen muss, ein Staat, der nicht in der EU, jedoch im Binnenmarkt ist. Die Briten streben ein neues Modell an: Das Land will selbst Regeln und Standards setzen und Handelsverträge mit anderen Mächten abschließen können. Diese Regeln und Standards sollen allerdings ähnlich denen der EU sein und die gleichen Ziele verfolgen. Brüssel soll anerkennen, dass die britischen Gesetze nicht gleich, aber gleichwertig sind. Firmen von der Insel sollen darum weiter ohne bürokratische Hürden, etwa zusätzliche Genehmigungen, Waren und Dienstleistungen in der EU verkaufen dürfen.

EU-Chefunterhändler Barnier hält freilich nichts von dem Modell. Bleibt Brüssel hart, muss die britische Regierung bis Herbst eine hässliche Frage beantworten: Wie viel wirtschaftlicher Schaden ist akzeptabel, um nach dem Brexit eine möglichst große Unabhängigkeit von EU-Vorgaben zu erreichen? Für welche Antwort eine Mehrheit im Kabinett stimmen würde, ist offen. Vielleicht gibt es auch keine Mehrheit für irgendetwas und stattdessen Neuwahlen. Für Unternehmen sind das beunruhigende Aussichten.

© SZ vom 19.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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