Mitte letzter Woche gab es dann doch noch etwas zu feiern: Am frühen Morgen des 12. Mai erreichte Alfa Karina Arrué den Gipfel des Mount Everest. Oben angekommen packte die Bergsteigerin strahlend eine Fahne ihrer Heimat aus, blau und weiß, in der Mitte fünf Vulkane, ein Regenbogen und Lorbeerkranz: Das Wappen von El Salvador.
Das kleine zentralamerikanische Land ist kaum größer als Hessen. Sechs Millionen Menschen leben in El Salvador und noch nie zuvor in der Geschichte des Landes hatte es einer von ihnen bis auf die Spitze des höchsten Berges der Welt geschafft. Die Freude war groß, und das zurecht. Sogar der Präsident höchstpersönlich gratulierte. "El Salvador!", schrieb Nayib Bukele stolz auf Twitter, gefolgt von einem Emoji mit der Landesfahne.
Gut möglich aber, dass es dem Präsidenten neben der Anerkennung sportlicher Höchstleistungen auch um etwas Anderes ging: ein bisschen Ablenkung. Denn während die erste El Salvadorianerin der Geschichte den höchsten Berg der Welt erklomm, rauschten die Finanzen des Landes in immer weitere Tiefen.
Experten warnen, dass El Salvador bald der Bankrott bevorstehen könnte. Schon lange ist es nicht gerade rosig um die Staatsfinanzen bestellt: Eine ausgabenfreudige Regierung, dazu die Pandemie und die Folgen des Krieges in der Ukraine. Dazu aber kommt noch ein weiterer, vollkommen unkalkulierbarer Punkt: Der Bitcoin, der Wert der Kryptowährung - und zuletzt vor allem ihr Wertverlust.
Seit Monaten fällt der Kurs des Bitcoin. Für Anleger ist das ärgerlich, für El Salvador ein riesiges Problem. Denn vergangenen Juni hatte Präsident Nayib Bukele die Kryptowährung zum legalen Zahlungsmittel erklärt. Jeder, der will, kann heute in der Theorie Waren und Dienstleistungen mit der virtuellen Währung bezahlen, die Rechnung vom Arzt genauso wie den Supermarkteinkauf oder Steuern. Das ist weitgehend einzigartig in der Welt.
Abgesehen von ein paar wenigen Ausnahmen hat sich der Bitcoin heute in der Praxis in El Salvador aber kaum durchgesetzt. Selbst im Zentrum der Hauptstadt akzeptieren Händler keine Kryptowährungen und auf dem Land kämpfen viele Menschen ohnehin mit schlechter Internetverbindung oder gar fehlendem Strom.
Die Einführung des Bitcoin als Zahlungsmittel hat Bukele viel Applaus eingebracht
Nayib Bukele hat sich von seinem Experiment dennoch nicht abbringen lassen. Die Einführung des Bitcoin als legales Zahlungsmittel hat ihm viel Applaus in der Krypto-Szene eingebracht. Dazu hat sich auch das Image des Landes im Ausland verbessert: Bis vor wenigen Jahren war El Salvador vor allem wegen Ganggewalt und einer hohen Mordrate bekannt. Nun ist aus dem Krisenland ein Kryptoparadies geworden: Die Zahl der ausländischen Besucher sei in den letzten Monaten um 30 Prozent gestiegen, sagt die Tourismusbehörde, einige Bitcoin-Fans ließen sich sogar ganz in El Salvador nieder.
"Große Ideen sind wunderschön und haben große Kraft", sagte Nayib Bukele, als er auf einer Konferenz in Miami erstmals verkündete, sein Land werde den Bitcoin als Zahlungsmittel einführen. Der Präsident versprach seinem Land eine rosige Zukunft: El Salvador könnte bald mit Energie aus vulkanischer Geothermie nach Bitcoin schürfen. Investoren und Gründer sollen ins Land kommen, so viele, dass man sogar eine eigene Stadt für sie bauen will, "Bitcoin City". Für diese Ziele investierte Bukele auch im großen Stil in Kryptowährungen, finanziert durch Steuergelder.
Wie hoch genau die Zahl der Bitcoin ist, die heute in der Staatskasse von El Salvador liegen, ist unbekannt. Die Regierung und die Zentralbank machen keine offiziellen Angaben darüber, nur aus Tweets des Präsidenten kann man in etwa errechnen, dass es wohl rund 2300 Stück sein müssen. Eine Zeitlang war dies kein schlechtes Geschäft: Kurz nachdem Bukele Mitte letzten Jahres damit begonnen hatte, Bitcoin zu kaufen, stieg der Wert der Kryptowährung sprunghaft an.
Kritik gab aber auch schon damals: Der Internationale Währungsfonds warnte vor "erheblichen Risiken". Als dann der Kurs des Bitcoin Ende letzten Jahres zu fallen begann und Bukele gleichzeitig immer autoritärer regierte, begannen Ratingagenturen, die Kreditwürdigkeit herunterzustufen. Es wird so immer schwerer für das Land, im Ausland an Geld zu kommen. Gleichzeitig kann es dieses auch nicht selber drucken: Seit vor rund 20 Jahren der Dollar als offizielles Zahlungsmittel eingeführt wurde, gibt es keine eigene Landeswährung mehr in El Salvador.
Mit dem Bitcoin wollte die Regierung auch Anleger dazu bringen, Gelder in einen neuen Staatsfonds zu investieren, rund eine Milliarde Dollar war geplant. Umso härter traf es das Land, als Anfang Mai der Bitcoin regelrecht abstürzte: In nur wenigen Tagen verlor er fast ein Viertel seines Wertes. Von dem "Vulcano Bond" will nun niemand mehr etwas wissen und El Salvador hat durch die Kursverluste schon Millionen verloren, schätzen Experten.
Nayib Bukele hält entgegen aller Kritik und allem Widerstand dennoch weiter fest an seiner Krypto-Strategie. In seinem Profilbild auf Twitter schießen aus den Augen des Präsidenten nun wieder Laser: Im Netz gilt das als Erkennungszeichen der besonders großen Krypto-Fans. Der Staatschef postet futuristische Bilder seiner geplanten Bitcoin City und er kauft weiter ein: Er habe gerade 500 Stück gekauft, erklärte Bukele stolz am vergangenen Montag, zu einem Preis von knapp 31 000 Dollar pro Stück. Ein Schnäppchen sei das gewesen, schrieb Bukele und postete noch das Bild eines kleinen feiernden Emojis dahinter. Seitdem allerdings ist der Wert des Bitcoin weiter gefallen: Am Montag betrug er weniger als 30 000 Dollar.