Die Müllionäre:Mit Obst- und Gemüseschalen Geld sparen

Lesezeit: 5 Min.

Mit Biomüll kann man Geld verdienen, hat auch Kärcher bemerkt. (Foto: Günther Reger/Günther Reger)

Ein Großteil des Biomülls landet im Restmüll. Dabei könnte jeder damit Strom sparen oder Dünger ersetzen. Viele Start-ups bieten dafür das nötige Equipment.

Von Lea Hampel

Am Anfang hat David Witzeneder es heimlich im Park versucht. Er war gerade vom niederbayerischen Land in die Stadt gezogen, er mochte seine neue Heimat Wien, aber nicht ihr Abfallsystem. Seinen Biomüll einfach mit allem anderen in die Tonne? Ein Leben ohne Kompost war für ihn unvorstellbar. Also vergrub er Kartoffelschalen und Apfelbutzen im Park neben der Uni in der Hecke. Es schien ihm sinnvoller, als dass der Müll verbrannt wird. "Schon damals war mir klar: Es ist illegal und auch keine Lösung für alle." Als er kurz darauf mit einem Freund über sein Problem sprach, brachte der ihn auf eine Idee.

"Seitdem gibt es keinen Tag, an dem ich mich nicht mit Würmern befasst hätte", sagt Witzeneder, 34. "Mit ihnen bieten sich einfach sehr viele Möglichkeiten, die uns für Umweltfragen weiterhelfen können." Heute, acht Jahre später, ist er Geschäftsführer der "Wurmkiste". Er lebt davon, vor allem Kisten und die dazugehörigen Regenwürmer zu verkaufen, mit denen aus Biomüll Kompost wird. Das österreichische Unternehmen ist eines von vielen Start-ups, die sich mit Biomüll befassen.

In Haushalten fielen laut Statistischem Bundesamt 2020 in Deutschland etwa 14,4 Millionen Tonnen Biomüll an. Das ist fast ein Viertel mehr als noch 2010. Die gesamte Menge an organischen Abfällen ist sogar noch wesentlich höher, denn fast 40 Prozent dessen, was in Restmülltonnen landet, ist laut einer Analyse des Naturschutzbundes ebenfalls Biomüll. Das Problem: Viele werfen nicht nur den Müll falsch weg. Sondern 11,4 Millionen Menschen wohnen in Deutschland in Gegenden, wo überhaupt keine Biomüllentsorgung angeboten wird.

Biomüll ist zudem unbeliebt: Er stinkt schnell und zieht Fruchtfliegen an. Dabei kann er - richtig entsorgt - nicht nur von professionellen Anbietern besonders gut weiter verwertet werden, zu Dünger oder Biogas. Sondern im Gegensatz zu Plastik oder Restmüll können auch Privatpersonen ihn nutzen.

(Foto: SZ-Grafik: Mainka/Quellen: Nabu, Daten aus Abfallbilanzen der Bundesländer)

In alten Nudeln und Kürbisschalen steckt großes ungenutztes Potenzial: weniger Organisation, etwas loszuwerden, weniger CO₂-Ausstoß, weil Wege gespart und geringere Ausgaben, weil Dünger oder Strom ersetzt werden. "Es entspricht einfach dem Zeitgeist, zu versuchen, seine Energie selbst herzustellen", sagt Yasmin Olteanu, die am Borderstep-Institut zu Unternehmensgründungen im Nachhaltigkeitsbereich forscht. Wenn Menschen Insektenhotels auf ihren Balkons anbringen und Solarpanels installieren, ist der Weg zur eigenen Mini-Biomüllanlage nicht weit.

Und so sind in den vergangenen Jahren unzählige Start-ups mit ähnlichen Zielen wie denen von David Witzeneder entstanden: Angebote, aus dem eigenen Biomüll etwas Sinnvolles zu machen. Es gab eine Crowdfunding-Kampagne für einen Mini-Küchenkomposter namens Lomi. Stuttgarter Gründer haben eine Kompostmaschine entwickelt, die unter dem Namen Kalea gestartet ist, mittlerweile "Soilkind" heißen und deren Hauptinvestor der Reinigungsmaschinenhersteller Kärcher ist.

In Israel hat die Firma Home Biogas eine Biogasanlage für den privaten Gebrauch entwickelt. Ein ähnliches Projekt haben Münchner Studenten gestartet und unter dem Titel Eco Mates den Plan-B-Businesswettbewerb mit ihrer Idee gewonnen. Sie produzieren derzeit eine erste Anlage, mit der Privathaushalte künftig 25 bis 100 Kilogramm Biomüll pro Woche zu Biogas verarbeiten können, das direkt in die Wärmeversorgung des Hauses eingespeist wird. Bis zu 3250 Kilowattstunden im Jahr versprechen die Gründer.

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Biomüll-Gründer sind auf Freunde, Familie und staatliche Förderung angewiesen

Das alles klingt vielversprechend, trotzdem ist die Praxis der Biomüll-Start-ups oft schwierig. Zum einen haben sie die gleichen Probleme wie viele grüne Start-ups. Insgesamt ist zwar das Bewusstsein in der Start-up-Branche für Umwelt- und insbesondere auch Müllthemen gewachsen, sagt Wissenschaftlerin Olteanu. "Das liegt daran, dass bei Müll einer der ganz großen Hebel in Bezug auf Umweltfragen besteht", sagt Olteanu.

Gleichzeitig ist, wenn es um Gründungen im Müll-Bereich geht, der Badeanzug aus gesammeltem Meeresplastik bisher noch die besser verkäufliche Story. "Da bekommt Biomüll weniger Aufmerksamkeit", sagt Olteanu. Im nachhaltigen Bereich gibt es weniger Business Angels, die bereits mit einer umweltfreundlichen Idee so viel verdient haben, dass sie den Nachwuchs fördern können. Und gerade für heimische Verwertung greift zudem noch das gleiche Problem wie für alle technikbasierten grünen Start-ups: "Der höhere Kapitalbedarf und die längeren Entwicklungszeiten, die viele grüne Start-ups haben, erschweren die Finanzierung." Deshalb waren sie auf Nebenjobs und staatliche Förderung angewiesen.

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Die Eco Mates aus München finanzieren ihre Pionierarbeit derzeit selbst, sie hoffen, im Winter ein Exist-Stipendium für die Übergangsphase zum Pilotprodukt zu bekommen. Und auch David Witzeneder hat seine Wurmkiste von Anfang an selbst finanziert, in den ersten Jahren hat er sich nur 500 Euro Monatsgehalt gezahlt.

Erst hat er über das Thema Würmer als Biomüll-Helfer eine Arbeit im Rahmen seines Agrarwissenschaftsstudiums geschrieben. "Da dachte ich noch, ich bin allein mit dem Thema", sagt er. Dann hat er an der Uni Workshops zum Wurmkistenbau gehalten. Als die immer ausgebucht waren, hat er 2015 eine GmbH gegründet. Dass er damit heute zwölf Menschen beschäftigt, hat auch mit Glück zu tun: Als in der Pandemie alle zu Hause saßen, haben sie sich nicht nur damit befasst, wie ihre vier Wände schöner werden könnten. Sondern oft auch damit, was sie für die Umwelt tun könnten. "Viele haben das Selbstbauset bestellt und mit den Kindern zusammen erst die Kisten gebaut und dann die Würmer gefüttert", sagt Witzeneder. Mittlerweile verdient er seinen Lebensunterhalt damit.

"In der Regel gibt es in jedem Haushalt einen Menschen, der Bedenken hat"

Einfach war es trotzdem noch nicht. Und das nicht nur aufgrund pandemiebedingter Lieferprobleme und Finanzierungsschwierigkeiten. Sondern weil die Skepsis bei vielen Kunden doch ausgeprägt ist: Würmer auf dem Balkon, oder, wie bei einem seiner Modelle, gar in einem Hocker in der Wohnung? "In der Regel gibt es in jedem Haushalt einen Menschen, der Bedenken hat", ist seine Erfahrung. Und da sticht dann der Ekel den Willen, nachhaltiger zu leben.

Er versucht, den Ressentiments durch ein positives Narrativ zu begegnen. Spricht er von der Kiste, geht es um die Würmer, die gefüttert werden müssen. Wirbt er auf seiner Seite dafür, dann auch damit, dass die Kiste auch einfach ein schönes Möbelstück sein kann, mit stoffüberzogenem Sitzpolster, Muster "Laubhaufen". Die Konkurrenz versucht da gleich, jeden Ekel zu vermeiden: Im Soilkind-Komposter ist ein Aktivkohlefilter eingebaut, der verhindern soll, dass etwas stinkt. In diese Anlage und auch die von Eco Mates ist zudem ein Zerkleinerer eingebaut - damit die Kunden Reste, die sie wegwerfen wollen, nicht auch noch klein schnippeln müssen vorher.

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Bei den Eco Mates sollen im ersten Quartal 2025 erste Kunden ihre Geräte testen. Von Februar 2024 an ist der erste Soilkind-Kompostierer frei verkäuflich, ausgelegt für zehn Kilogramm Biomüll pro Woche. Von den Wurmkisten stehen mittlerweile mehr als 40 000 Stück vor allem in Österreich. Noch ist all das keine Müllrevolution. "Aber bei den Elektroautos hat es auch einen gewissen Vorlauf gebraucht, so ist das immer", sagt Witzeneder.

Dass das alles trotzdem schon jetzt eine Wirkung für die Umwelt hat, davon ist Wissenschaftlerin Yasmin Olteanu überzeugt. Dass die breite Masse der Bevölkerung ihre Eierschalen und Bananen künftig selbst verwertet, hält sie für unwahrscheinlich. Und doch spricht sich die Sache langsam herum. Witzeneder hat fünf Wurmhotels in Wien aufgestellt. Dort kümmern sich inzwischen viele Menschen gemeinsam um die Tiere und den Müll. Zwei weitere sind in Planung. Und beim letzten Staatsbesuch in Island überreichte die österreichische Staatssekretärin: zwei Wurmkisten.

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