Online-Bewertungen:Was hinter der "Sternflation" bei Wein-Bewertungen steckt

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Weinverkostung in Frankreich. Weinbewertungen gibt es im Netz mittlerweile viele. (Foto: Delmarty J/Alpaca/imago images/Andia)

Gib mir fünf: Im Internet tendieren Nutzer zu immer großzügigeren Urteilen - ein Problem für Kunden. Das hat ein Forscherteam anhand der Wein-Plattform Vivino untersucht. Was hilft: Texte lesen.

Von Helmut Martin-Jung

War die Fahrt mit dem Uber-Taxi wirklich so unvergleichlich gut? Oder will man dem armen Kerl am Steuer nur einfach nicht das ohnehin mühsame Geschäft vermiesen? Tatsache ist: Die Bewertungen mit den im Netz sehr verbreiteten Sternen (1 = mies, 5 = super) fallen zunehmend besser aus. In den USA etwa werden mittlerweile mehr als 90 Prozent aller Fahrten mit dem Service Uber X mit fünf Sternen bewertet. Wissenschaftler haben das Problem schon seit einiger Zeit auf dem Schirm und sprechen von review inflation, Bewertungsinflation.

Rebecca Janßen, Forscherin am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), und Matthew Ribar von der US-Universität Stanford haben sich des Phänomens unter einem besonderen Aspekt angenommen: Manche Nutzer kennen sich ja mit den Dingen, die sie bewerten, recht gut aus, andere weniger. Die Forschungsfrage lautete daher, verkürzt dargestellt: Gibt es die Bewertungsinflation auch bei Experten oder trifft das nur auf Laien zu? Die überraschende Erkenntnis: Experten neigen sogar noch stärker dazu, gute Sternebewertungen abzugeben, als weniger versierte Nutzer.

Als Modell für die Untersuchung diente Vivino, ein Unternehmen, das es gerne zu einer Art Amazon für Wein bringen möchte und sich selbst als größte Plattform in dieser Branche bezeichnet. Nutzer können über Vivino Etiketten scannen oder den Namen eines Weines eingeben und dann Informationen abrufen. Sie können Weine kaufen und bereits gekaufte Weine bewerten.

Die Wissenschaftler ließen Millionen Rezensionen mithilfe von maschinellem Lernen auswerten

Interessant war Vivino der Studie zufolge deshalb, weil die Plattform nicht nur Sternebewertungen ermöglicht, sondern auch welche in Textform, zudem können die Nutzer auch die Bewertungen selbst bewerten. Millionen dieser Texte ließen die Forscher mithilfe von maschinellem Lernen auswerten und klassifizieren. Das brachte ein deutliches Ergebnis: Die Qualität der bewerteten Weine, so ließ es sich aus den Textrezensionen herausarbeiten, blieb im Untersuchungszeitraum von 2014 bis 2020 im Wesentlichen gleich. Die Sternebewertungen aber wurden über die Jahre besser. Das belegt die These von der Bewertungsinflation.

Doch wo kommt sie her, diese Sternflation? Warum vergeben Menschen mehr Sterne, obwohl es um die gleichen Produkte geht? Auch ZEW-Forscherin Janßen kann da nur mutmaßen. Psychologische Gründe könnten dafür ebenso verantwortlich sein wie eine Zunahme von gefälschten Bewertungen, sagte sie der SZ. Auch andere Theorien gibt es, darunter Manipulationen, denen die Nutzer von Online-Plattformen ausgesetzt seien. Etwa dann, wenn Verkäufer explizit darum bitten, ihre Dienstleistung zu bewerten, und dabei zu erkennen geben, dass sie auf eine positive Bewertung hoffen.

Auch die Experten haben mit ihren Bewertungen oft mehr im Sinn, als nur anderen potenziellen Käufern die Entscheidung zu erleichtern. Sie versuchen zuweilen auch, Nutzer auf eigene Seiten zu locken, wo sie dann Werbeeinnahmen erzeugen oder selbst etwas verkaufen können.

Die Nutzer, so lässt sich das Ergebnis zusammenfassen, sollten also den reinen Sternebewertungen nicht allzu viel Glauben schenken, auch nicht, wenn die von Expertinnen oder Experten stammen. Einen besseren Anhaltspunkt bieten Rezensionen. Das haben auch frühere Studien schon ergeben. Schließlich erlauben es Texte eben weitaus besser als reine Zahlenwerte zwischen eins und fünf, differenzierter auf die Eigenschaften eines Produktes einzugehen.

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