Wie sie das persönlich sehe, spiele keine Rolle. "Ich habe das umzusetzen, was der Gesetzgeber vorgibt", sagt Sabine Schwan. Da ist die Mitarbeiterin im Jobcenter Offenbach ganz Staatsdienerin. Doch wenn man mit ihr länger über ihre Arbeit spricht, über die vielen Migranten, die in das schlichte Büro im 5. Stock kommen, rutscht ihr dann doch das Wort heraus. "Wahnsinn". Ihr Chef Matthias Schulze-Böing bringt es so auf den Punkt: "Wir schaffen das Prekariat für das nächste Jahrzehnt." Er ist der Geschäftsführer der Arbeitsvermittlung hier in Offenbach.
Nein, es geht diesmal nicht um Flüchtlinge, sondern um andere Neuankömmlinge, die vor lauter Debatten um Obergrenzen, Quoten und Asylrecht in Vergessenheit geraten sind: Zuwanderer aus EU-Staaten, vor allem arme Menschen aus Bulgarien und Rumänien, die jedes Jahr zu Zehntausenden nach Deutschland ziehen und ihr Glück suchen. Der Zuzug ist ungebrochen, er wird nur nicht mehr so wahrgenommen, allenfalls am Rande, wenn es um Kindergeld oder andere Sozialleistungen für sie geht, wie in der Debatte um die britischen Forderungen an die EU. An diesem Donnerstag fällt der Europäische Gerichtshof ein Urteil zu der Frage, ob Arbeitssuchende aus EU-Ländern in Deutschland vom ersten Tag an Hartz-IV-Leistungen bekommen oder ob sie drei Monate warten müssen - und was dabei alles zu prüfen ist. Das Urteil soll endlich mehr Klarheit schaffen in dieser Streitfrage.
Die Probleme drücken zu stark
"Wahnsinn", "Prekariat" - es ist bemerkenswert, so etwas ausgerechnet aus Offenbach zu hören. Die Stadt hat bundesweit Beachtung gefunden für ihre erfolgreiche Integrationspolitik, es gibt allerlei Fördermöglichkeiten und Beratungsangebote, schon seit 1999 verleiht die Stadt jedes Jahr einen Integrationspreis. Und Schulze-Böing leitet nicht nur das kommunale Jobcenter, sondern zugleich das Amt für Integration, wo mittlerweile auch eine Frau aus Rumänien beschäftigt ist.
Das alles hilft, doch es reicht nicht. Denn die Probleme drücken zu stark. Natürlich hat das Jobcenter schon lange mit EU-Zuwanderern zu tun, doch mit der Freizügigkeit für Bulgaren und Rumänen hat sich die Lage geändert. Bezogen im Sommer 2012 noch knapp 500 Rumänen und Bulgaren Hartz-IV-Leistungen, sind es nun mehr als das Dreifache, etwa 1600. Für eine mittelgroße Stadt wie Offenbach sind das viele, Teil eines "Massenphänomens", wie Schulze-Böing sagt.
Vor allem Menschen aus Bulgarien, mehr als tausend, sind am Jobcenter angelandet, während die Zahl der Rumänen stagniert. "Am schwierigsten sind eigentlich alle Fälle", sagt Schwan, die bis vorigen Herbst Anträge auf Hartz-IV-Leistungen bearbeitet hat. Oft fehlt das Nötigste: Deutschkenntnisse, Berufsausbildung, ein Zimmer. "In der Regel sind es sehr arme Menschen, Männer aus der Bau- oder Reinigungsbranche", sagt Schwan. Meist läuft es so: Die Familienväter kommen nach Deutschland, fangen an zu arbeiten, mieten eine Wohnung, holen ihre Familie nach und stellen den Antrag, weil der Lohn nicht für alle reicht.