Arbeitslosigkeit:"Solidarisches Grundeinkommen" startet in Berlin

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Die Beschäftigten beim Test des Grundeinkommens sollen auch dabei helfen, Essen in Kitas auszugeben. (Foto: dpa)
  • Etwa 1000 Arbeitslose sollen Jobs bekommen durch den Test des "solidarischen Grundeinkommens" in Berlin.
  • Das Projekt soll bewirken, dass Menschen gar nicht erst in eine Dequalifizierungsspirale geraten, die Hartz IV häufig bedeutet.
  • Auch Arbeitgeber machen sich Hoffnung. Denn in Berlin sind einige Stellen frei.

Von Lea Hampel

Für Robert Drewnicki war es eine ungewohnte Situation: Er bekommt sehr nette Post, und davon sehr viel. Drewnicki ist "Referatsleiter Politische Grundsatzangelegenheiten/Strategie für Berlin" und eigentlich das Gegenteil gewöhnt: Beschwerden. Doch seit die Senatsverwaltung bekannt gegeben hat, in Berlin ein Grundeinkommensprojekt starten zu wollen, schreiben erfreute Bürger an Drewnicki und seine Kolleginnen.

Die Post ist nur Teil eines größeren Wirbels um ein Pilotprojekt, das der Senat vergangene Woche final beschlossen hat: Etwa 1000 Menschen, die noch ohne Arbeit sind, sollen dadurch Jobs kriegen, bezahlt mit Mindestlohn oder nach Tarif. Grundlage ist eine Idee des Berliner Bürgermeisters Michael Müller (SPD) aus dem Oktober 2017, genannt wird das Projekt "solidarisches Grundeinkommen". Ursprünglich hatte Berlin gehofft, mindestens vier andere deutsche Städte für ein gemeinsames Großprojekt gewinnen zu können. Das hat nicht geklappt, dennoch hat die Stadt sich dafür entschieden, fünf Jahre lang jeweils etwa 36 Millionen Euro pro Jahr in das Vorhaben zu stecken.

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Das Modell soll Teil einer größeren Strategie gegen Langzeitarbeitslosigkeit sein

Die Idee ist, so heißt es in einer der Vorlagen, eine "Beschäftigungsperspektive für Langzeitarbeitlose jenseits von Arbeitslosengeld II zu entwickeln". Das sei Teil einer "Gesamtstrategie" gegen Langzeitarbeitslosigkeit.

Damit diese Strategie aufgeht, ist genau abgegrenzt, wer teilnehmen darf: Menschen, die seit Kurzem ALG II beziehen und nicht länger als drei Jahre arbeitslos sind. "In dieser Phase sind die Menschen noch offener gegenüber dem Arbeitsmarkt", sagt Drewnicki. In Berlin entsprechen derzeit 20 000 Menschen diesen Kriterien. Das Projekt setzt bei dieser Gruppe Menschen an, weil dahinter auch die Hoffnung steht, dass Menschen sich gar nicht erst in eine Dequalifizierungsspirale begeben, die Hartz IV häufig bedeutet. Sie sollen stattdessen vom Jobcenter das Angebot für eine sozialversicherungspflichtige, unbefristete Arbeit zu Mindest- oder Tariflohn erhalten, auf die sie sich regulär bewerben können.

Die Menschen sollen beispielsweise als City-Lotsen Touristen helfen, als Kitahelfer die Essensversorgung mitorganisieren, als Mobilitätshelfer für körperlich eingeschränkte Menschen unterstützen oder als Lotsen für Obdachlosen Tipps für die Kältehilfe geben. Als Träger sind Senatsabteilungen gedacht, die Verwaltung für Bildung, Jugend und Familie etwa, die Wohnungsbaugesellschaften, die Bezirke oder die Berliner Verkehrsgesellschaft BVG.

Vor allem für die beteiligten Unternehmen und Institutionen steckt eine besondere Hoffnung dahinter. Die BVG beispielsweise möchte 120 Stellen über das Programm beantragen, weil sie - wie viele Unternehmen in Berlin - dringend Mitarbeiter sucht. "Aber trotz noch acht Prozent Arbeitslosigkeit in Berlin klappt es in manchen Fällen nicht, die Menschen zu rekrutieren", sagt Drewnicki. Bei dem Verkehrsunternehmen hofft man, auf diese Weise Menschen anzuziehen und weiter qualifizieren zu können, die man sonst nicht erreichen würde.

Das Projekt geht deshalb über die reine Jobbereitstellung hinaus. Vorgesehen ist, dass sich die Arbeitgeber mit ihren neuen Arbeitnehmern anfangs zusammensetzen, einen Entwicklungsplan festlegen und definieren, wie der Arbeitnehmer während der Beschäftigung weiter qualifiziert wird. Neben dem Job sollen die Teilnehmer Coaching erhalten. Eine Option, die auch Arbeitgeber in Anspruch nehmen können, falls Schwierigkeiten auftauchen.

Das Projekt soll Ende Juli starten

Von einer normalen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme unterscheidet sich das Projekt laut Drewnicki neben der Betreuung unter anderem dadurch, dass es "eine gute Perspektive bietet und nicht nach sechs Monaten wieder vorbei ist." Zusätzlich ist für die Teilnehmer garantiert, dass sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag bekommen. Nach fünf Jahren, so die Hoffnung, sind sie ohnehin innerhalb des jeweiligen Betriebs weiter gekommen. Sollte das nicht der Fall sein, garantiert das Land Berlin die Weiterbeschäftigung.

Die ersten Jobs werden nach jetziger Planung Ende Juli angeboten. Noch ist allerdings nicht klar, wie viele Menschen sich darauf melden werden. Ob die 1000 Plätze viel zu viele sind oder am Ende gar nicht reichen werden, vermag auch Robert Drewnicki nicht abzuschätzen.

Unklar ist ebenso, welche Erkenntnisse für den künftigen Umgang mit Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV das Projekt bieten kann. Die Ausschreibung für die wissenschaftliche Begleitung startet erst demnächst.

Befürworter des Grundeinkommens werfen den Initiatoren Wortklau vor

Sicher ist dagegen, dass das Projekt weiter viel Aufmerksamkeit erhalten wird. Von Anfang an wurde dem Senat von Aktivisten vorgeworfen, dass Ganze sei weder bedingungslos - weil es nur gegen Arbeit Geld gibt - noch ein Grundeinkommen, weil es nur an spezifische Arbeitslose gerichtet ist. Bernhard Neumärker befasst sich seit Jahren mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, auch er zählt zu den Befürwortern. Seit wenigen Wochen ist sein darauf ausgerichteter Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie an der Uni Freiburg sogar nach dm-Gründer Götz Werner benannt, der seit Jahren fürs Grundeinkommen trommelt. "Das Projekt ist näher an Hartz IV als an einem Grundeinkommen", sagt Neumärker. Aus seiner Sicht fehlt beispielsweise die mit einem bedingungslosen Grundeinkommen verbundene Zeitsouveränität und Selbstbestimmung. "Solidarisch ist das nur, weil es eine Tätigkeit für die Öffentlichkeit ist."

Robert Drewnicki sagt zwar, das ganze sei durchaus ein Grundeinkommen, unter anderem, weil die Teilnahme freiwillig sei. Er gibt aber auch gern zu, dass man den Begriff bewusst gewählt habe und das "ein bisschen Juckepulver sei, um in die Diskussion zu kommen".

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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