Nach nur elf Arbeitstagen bekam Amazon seinen Freibrief. In dieser kurzen Zeit prüften und genehmigten die Luxemburger Behörden das komplexe Steuermodell für die neue Europazentrale des Internetversandhändlers. Und das Modell ist äußert vorteilhaft. So vorteilhaft, dass die Europäische Kommission starke Hinweise darauf sieht, dass es illegal ist. Jetzt hat die Brüsseler Behörde erste Ermittlungsergebnisse vorgelegt ( PDF).
Das Verfahren ist brisant für Amazon, für Luxemburg - und für den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker. Sollte Junckers Behörde bei ihrem Urteil bleiben, droht Amazon eine hohe Nachzahlung. Der Konzern müsste im schlimmsten Fall alle Steuervorteile zurückzahlen, es geht mutmaßlich um Hunderte Millionen Euro. Und das Großherzogtum stünde nach den Berichten über Luxemburg-Leaks wieder als Steueroase am Pranger. Die Enthüllungen hatten gezeigt, wie das Großherzogtum internationalen und deutschen Konzernen hilft, Steuern in Milliardenhöhe zu vermeiden.
Ausgerechnet der Kommissionschef holte Amazon
Für Jean-Claude Juncker ist das Verfahren unangenehm, weil er selbst mitverhandelt hat, dass Amazon nach Luxemburg kommt - damals war er Premierminister des Großherzogtums. Dass der Versandhändler sich in seinem Land ansiedle, sei auch einer "angemessenen Steuerpolitik" zu verdanken, sagte er damals.
Der Bericht der EU ist aus dem Oktober, die Kommission veröffentlicht ihn aber erst jetzt. Das ist bei solchen Verfahren üblich. Die Luxemburger Regierung beteuert, seit dem Herbst der Brüsseler Behörde weitere Unterlagen geliefert zu haben. Diese sollen belegen, dass das Steuermodell doch völlig legal ist.
Das vorläufige Ergebnis: Amazons Modell ist illegal
Die entscheidende Frage ist, ob der Konzern einen unfairen Vorteil bekommen hat. Denn in Brüssel läuft der Fall als Beihilfeverfahren. Die Kommission prüft also, ob der Staat Luxemburg Amazon gegenüber anderen Firmen bevorzugt hat. Im vorläufigen Bericht stuft die Behörde das Steuermodell als illegale Beihilfe ein. Amazon widerspricht: Der Konzern habe keine steuerliche Sonderbehandlung bekommt, sagte ein Sprecher.
Die Kommission nennt eine Reihe von Belegen. Etwa die elf Arbeitstage, in denen Amazons Modell von der zuständigen Luxemburger Behörde genehmigt wurde. Das sei "eine sehr kurze Zeitperiode", urteilt die Kommission, um die komplizierten Ausführungen von Amazon zu prüfen. Außerdem erteilte das Großherzogtum die Erlaubnis schon im Jahr 2003 - und diese gilt seither unverändert. Auch das findet die Kommission verdächtig. In anderen EU-Staaten werden solche Steuermodelle regelmäßig nach wenigen Jahren überprüft, ob sie noch angemessen sind. Luxemburg hat das unterlassen. Aus Brüsseler Sicht ein Fehler.
Und dann sind da noch die Geldflüsse. Amazon konzentriert alle Gewinne aus dem europäischen Geschäft in der Amazon EU Sàrl. Dort müssten also auch die Profite von Amazon.de versteuert werden. Doch die Amazon EU Sàrl führt viel Geld an eine andere Konzerntochter ab, die Amazon Europe Holding Technologies SCS. Sie muss in Luxemburg gar keine Steuern zahlen. Sie überweist nämlich alle Einnahmen direkt an zwei amerikanische Amazon-Töchter weiter. Die EU zensiert die Namen der Firmen, um Amazons Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Es ist aber bekannt, dass es sich um A9.com Inc. und Amazon Technologies Inc. handelt. Letztere sitzt in der amerikanischen Steueroase Nevada.
"Kosmetisches Arrangement" statt fairer Zahlungen
Die Amazon EU Sàrl muss an die andere Firma Gebühren dafür zahlen, weil Amazon.de und die Online-Shops in den anderen Ländern die Software nutzen, mit der der Versandhandel läuft. Die Höhe dieser Gebühren muss sich eigentlich daran orientieren, wie viel Amazon.de verkauft. Je erfolgreicher die Software genutzt wird, desto mehr Gebühren.
Doch Amazon und Luxemburg haben ein anderes Modell ausgehandelt. Die EU-Kommission nennt es ein "kosmetisches Arrangement". Denn nur auf den ersten Blick orientiert sich die Zahlung an den Verkaufszahlen. Tatsächlich berechtet Amazon die Lizenzgebühren anhand des Gewinns der Amazon EU Sàrl, der eigentlich versteuert werden müsste. Dieser kann so in großen Teilen an die Amazon Europe Holding Technologies SCS verschoben werden, die in Luxemburg keine Steuern zahlen muss. Nur ein kleiner Betrag des Profits muss in der Amazon EU Sàrl verbleiben. Dieser ist gedeckelt, auf maximal 0,55 Prozent des Umsatzes. Dieses Limit "scheint zu niedrig zu sein", urteilt die EU-Kommission.
Auch Apple und Starbucks im Fokus
Die EU prüft nun die zusätzlichen Dokumente, die Luxemburg geliefert hat. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Das Großherzogtum könnte dann auch vor dem Europäischen Gerichtshof gegen eine potenzielle Verurteilung vorgehen.
Ähnliche Verfahren laufen außerdem gegen den Computerbauer Apple und Irland sowie gegen die Kaffeehauskette Starbucks und die Niederlande. Die Kommission prüft zudem derzeit alle Mitgliedsstaaten, ob sie ebenfalls unfaire Steuerschlupflöcher für Konzerne anbieten.
Der Präsident der Behörde, Jean-Claude Juncker, betont immer wieder, dass er sich aus diesen Ermittlungen heraushalten wird. Immerhin gilt er als einer der Architekten der Steueroase Luxemburg. Dort übrigens hat Amazon einen guten Ruf. Der damalige Finanzminister Luc Frieden sagte 2012 auf einer Firmenfeier, seine Regierung sei dankbar und stolz, dass sich der Internethändler in Luxemburg angesiedelt habe. Denn: "Amazon ist ein guter Steuerzahler."