Bayer:Baumann bereut nichts

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Nach sieben Jahren als Bayer-Vorstandschef hört Werner Baumann Ende Mai auf. (Foto: Sascha Steinbach/picture alliance/dpa/EPA POOL)

In seiner letzten Bilanzpressekonferenz verliert der Bayer-Vorstandschef kein schlechtes Wort über Monsanto. Dabei hat sich der Aktienkurs bis heute nicht von dem Desaster erholt.

Von Elisabeth Dostert

Was Werner Baumann nach diesem Tag wohl in seine Kladde schrieb? Das Heft ist Tagebuch und Hausaufgabenheft zugleich. Auf den vorderen Seiten notiere er wichtige Themen, hinten, was er noch erledigen müsse, erzählte Baumann vor Jahren der SZ. Es bleibt wohl sein Geheimnis, was er an diesem 28. Februar in sein Heft notierte. Ende Mai geht der 60-Jährige nach sieben Jahren als Vorstandschef. Sein Nachfolger Bill Anderson steht seit ein paar Wochen fest, er kommt vom Schweizer Pharmakonzern Roche.

Er sei "sehr stolz" auf die letzten sieben Jahre und die letzten 35 Jahre, in denen er Bayer "gedient" habe, und er tue das noch jeden Tag mit großer Leidenschaft, sagt Baumann. Taugt diese Selbstdarstellung als Eintrag für die schmale Kladde? Jedenfalls redet Baumann ziemlich leidenschaftslos über Leidenschaft. Während Dax-Konzerne wie BASF und Fresenius ihre Zahlen 2022 analog und virtuell erklärten, bleibt Baumann auf Distanz. Auch die Hauptversammlung Ende April findet nur virtuell statt.

Bill Anderson wird Baumanns Nachfolger, er kommt vom Schweizer Pharmakonzern Roche. (Foto: Georgios Kefalas/dpa)

Was die Zahlen angeht, äußert sich Baumann zufrieden. Er sieht Bayer solide aufgestellt. Der Umsatz stieg 2022 um gut 15 Prozent auf 50,7 Milliarden Euro, das operative Ergebnis (Ebit) hat sich mit sieben Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Rekordwerte im Agrargeschäft. Der Verkauf von Herbiziden mit dem Wirkstoff Glyphosat boomt. Die Aktionäre sollen auch was vom Erfolg haben, die Dividende soll um 40 Cent auf 2,40 Euro je Aktie steigen. Baumann sieht Bayer in den "richtigen" Bereichen tätig, Gesundheit und Ernährung, "essenzielle Grundbedürfnisse des Menschen". Mit solchen Argumenten hat er 2016 das Übernahmeangebot für den US-Konzern Monsanto begründet und all die Jahre verteidigt.

Hat da einer wirklich alles richtig gemacht? 63 Milliarden Dollar zahlte Bayer für Monsanto, einen Konzern mit schlechtem Ruf - auch wegen seines Totalherbizids Glyphosat, das alle Pflanzen vernichtet, es sei denn, sie sind gentechnisch so verändert, dass das Gift ihnen nichts ausmacht. In den USA schrieben Zehntausende Menschen dem glyphosathaltigen Herbizid Roundup ihre Krebserkrankung zu. Von der Klagewelle, die sich Bayer mit der Übernahme einhandelte, hat sich der Aktienkurs bis heute nicht erholt, gleichgültig wie gut oder schlecht das Geschäft operativ lief.

Am Dienstag gab der Aktienkurs kräftig nach. An der Börse ist Bayer rund 55 Milliarden Euro wert, weniger als der Kaufpreis für Monsanto. Bayer ist ein Kursschwächling, das Ziel aktivistischer Investoren wie Jeffrey Ubben mit seinem Fonds Inclusive Capital, die auf eine Zerschlagung drängen. Am Montag berief Bayer Ubben in seinen Nachhaltigkeitsrat, das ist ein externes Gremium ohne Rechte, das sich zweimal im Jahr mit Vorstandsmitgliedern berät. Ob das Ubben wirklich befrieden wird? Wohl eher nicht.

Baumanns Bilanz fällt "irgendwo zwischen tragisch und katastrophal aus", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): "Die Anleger haben in Baumanns Amtszeit sehr viel Geld verloren und warten bis heute auf eine Erholung." Die Belastung durch die rechtlichen Verfahren und Risiken sei so enorm, dass die Tatsache, dass Bayer mit Monsanto weltweit zur Nummer eins im Pflanzenschutz aufgestiegen sei, "irrelevant erscheint", so Tüngler.

"Ein sanierungsbedürftiges Unternehmen"

Drastischere Sätze formuliert Markus Manns, Fondsmanager bei Union Investment. Baumann sei ein "Hasardeur, der mit dem riskanten Monsanto-Kauf ein gesundes Unternehmen an den Rand des Abgrunds geführt hat". Der Kauf eines Saatgutgeschäfts sei zwar strategisch richtig gewesen, "man hat sich aber schlicht und einfach das falsche Unternehmen ausgesucht". Baumann übergebe ein "sanierungsbedürftiges Unternehmen, an dem die Schäden durch den 'Hurrikan Glyphosat', so gut es ging, ausgebessert wurden und die ersten Reparaturarbeiten an der Bausubstanz begonnen haben".

Laut dem Geschäftsbericht geht Bayer davon aus, dass von insgesamt circa 154 000 angemeldeten Ansprüchen rund 109 000 verglichen seien oder nicht die Vergleichskriterien erfüllten. Bislang habe Bayer zwischen neun und 9,5 Milliarden Dollar für Vergleiche gezahlt, erläuterte Finanzvorstand Wolfgang Nickl. In den Büchern sind noch 6,4 Milliarden Dollar für künftige Vergleiche zurückgestellt. Und sie hoffen in Leverkusen, dass das reichen wird. Die Zahlungen sind kein Schuldeingeständnis. Bayer ist überzeugt, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung die Gesundheit nicht beeinträchtigt. Zum Beleg verweist der Konzern auf Hunderte von Studien.

Bayer, aber auch die gesamte Industrie, sei in den USA vollkommen der Industrie der Klägeranwälte ausgeliefert, beklagt Baumann: Es gebe auch in den Berufungssystemen keine Tatsacheninstanzen, sondern in aller Regel Laiengerichte, die teilweise über sehr komplexe Sachverhalte zu entscheiden hätten. "Das ist ein ziemliches Problem für alle Unternehmen. Es kann jedes treffen." Bayer habe die rechtlichen Risiken "absolut falsch eingeschätzt", sagt Fondsmanager Markus Manns: "Das Management hätte mit dem Anrollen der Klagewelle von dem Kauf zurücktreten sollen."

Für Baumann kam das nie infrage. Sein ganzes Berufsleben hat er "gedient". Anfang 2010 wurde er Finanzvorstand. Zahlen, Fakten, Soll und Haben sind seine Leitgrößen. Kaum im Amt als Vorstandschef, ging er im Mai 2016 den Kauf von Monsanto an. Der US-Konzern hatte damals schon einen schlechten Ruf. Kritiker nannten ihn "Evil Incorporated" oder "Mutanto". Bereits 2005 beschrieb Greenpeace die Machenschaften von Monsanto. 2015 veröffentlichen der kanadische Musiker Neil Young und die US-Rockband Promise of the Real ein Album mit dem Titel The Monsanto Years . Roundup, das Herbizid mit dem Wirkstoff Glyphosat, bringe die Giftwelle, heißt es in einer Zeile des Songs.

Für die "Reparaturarbeiten" ist bald Bill Anderson zuständig. Für Fondsmanager Manns wäre die Zerschlagung in drei Einzelteile - Agrar, Pharma und Consumer Health mit Produkten wie Aspirin - das Worst-Case-Szenario. Auch DSW-Mann Tüngler hält eine Zerschlagung zumindest derzeit für "die schlechteste aller möglichen Varianten". Sie diene allein den kurzfristig orientierten, aktivistischen Anlegern.

In einer Ende Januar 2023 veröffentlichten Studie der Bank Barclays bewerten deren Spezialisten die Einzelteile und kommen für das Pharmageschäft auf einen Wert von fast 51 Milliarden Euro, für Crop Science auf gut 75 Milliarden Euro und für Consumer Health auf knapp 19 Milliarden Euro. Macht in der Summe gut 140 Milliarden Euro. Nach Abzug einiger Faktoren wie Schulden, Pensionslasten, Belastungen aus Rechtsstreitigkeiten und einem Konglomeratsabschlag von 15 Prozent kommen die Experten auf einen Gesamtwert der Einzelteile von knapp 93 Milliarden Euro.

Anderson brauche Zeit und benötige viele Einzelschritte, sagt Manns: "Das ist ein Marathon und kein Sprint." Anderson müsse das Vertrauen der Investoren wiederherstellen und die Konzernstruktur überprüfen. "Zufriedene Aktionäre sind die beste Waffe, um sich gegen eine Zerschlagung zu wehren", so Manns. Die Abspaltung der Sparte Consumer Health sei eine Chance, die Zerschlagung "hoffentlich noch zu vermeiden".

Baumann wird Anderson in den nächsten Wochen einarbeiten. Es habe bereits viele Gespräche gegeben, sagt der scheidende Vorstandschef. Mit dem "schwachen Ausblick" für 2023 ermöglicht er seinem Nachfolger zumindest einen guten Start. Es ist leichter, verhaltene Prognosen zu übertreffen.

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