Proteste und Blockaden:Bauer und sauer

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Am Donnerstagvormittag haben sich die Landwirte mehrere Molkereien und Schlachthöfe vorgeknöpft, darunter auch die Ostsee-Molkerei Rücker. Auf Traktoren fuhren sie vor, um zu zeigen: So geht es nicht weiter. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Weil sie für Milch und Fleisch immer weniger bekommen, machen Landwirte in ganz Deutschland mobil. Sie wollen Discounter, Molkereien und Schlachthöfe dazu zwingen, mehr zu zahlen. Wenn das nur so einfach wäre.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Michael Kläsgen, Berlin/München

Für Dirk Andresen ist es mit den Bauern so wie mit den Piloten. "Wenn der Pilot streikt, hebt das Ding auch nicht ab", sagt er. Wenn der Bauer streikt, dann ist halt mal das Auslieferungslager blockiert. Oder die Molkerei. Oder der Verkehr. Und die Bauern streiken.

Die Wut ist groß, und die Zeit ist günstig. Die Ernte ist eingebracht, die Herbstaussaat beendet. Landwirte im ganzen Land können sich nun wieder um ihre Zukunft kümmern, jedenfalls um den finanziellen Teil davon. "Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen", sagt Andresen, Kopf der Bauern-Bewegung Land schafft Verbindung. "Und dann stellt man sich auch mal mit dem Trecker quer." Die Aktionen laufen seit Wochen, es ist eine schleichende Eskalation; eine Lösung ist nicht in Sicht.

Am Donnerstag fand ein "Dringlichkeitsgipfel" statt, mit den Chefs der großen Lebensmittelkonzerne, Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) und Spitzenvertretern des Handelsverbandes. Am Ende stand zumindest ein erstes Entgegenkommen. Die Schwarz-Gruppe, die hinter Lidl und Kaufland steht, will über die Initiative Tierwohl 50 Millionen Euro an Landwirte vergeben. Ob das den Bauern reicht?

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Sie hatten Konzernen und Politik eine Art Ultimatum gestellt. Bis zur "Tagesschau" am Freitagabend wollten sie wissen, "wie mehr Geld auf den Hof kommt", wie ein protestierender Bauer sagt. Sonst drohen neue Proteste.

Am Donnerstagvormittag um 11.11 Uhr knöpften sich die Landwirte aber erstmal die Molkereien und Schlachthöfe vor. Auf Traktoren fuhren Milchbauern und Viehhalter zu den Betrieben. "Antworten ungenügend - nachsitzen!", heißt die Aktion, auch das eine neue Eskalationsstufe. Schon am 11. November hatten die Landwirte ihren Weiterverarbeitern einen persönlichen Besuch abgestattet. In einem Forderungspapier verlangten sie vor allem höhere Preise. Nur noch zwei Drittel der Kosten, so klagten sie, ließen sich mit den Einnahmen decken: "Die Hütte brennt."

Auch Elisabeth Waizenegger steht dahinter, sie ist in der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) aktiv. Im Allgäu hat sie 50 Kühe im Stall, Bio-Milch. "Ich bin wirklich keine Pessimistin", sagt sie gleich dreimal. "Aber die Bauern können nicht ewig durchhalten." Noch einen Milchstreik wie 2008, als die Bauern aus Protest die Milch zurückhielten, sie massenhaft wegschütteten, das könnten sich viele Landwirte inzwischen nicht mehr leisten. Und das unterscheidet sie dann vielleicht doch von den Piloten.

Ein Absatz Mitleid, zwei Absätze Schulterzucken

Entsprechend fielen die Antwortbriefe der Molkereien und Schlachthöfe aus: ein Absatz Mitleid, zwei Absätze Schulterzucken. Die Molkerei Bauer etwa äußerte "vollstes Verständnis für die momentan nicht zufriedenstellende Erlössituation". Der Fleischriese Tönnies schrieb, er erlebe "Einzelschicksale (...) in tiefer Betroffenheit". Und die Genossenschaft Bayernland reichte den Schwarzen Peter weiter. Die Nachfrage werde schließlich von den Discountern dominiert. "Deren konzentrierter Nachfragemacht haben wir auf Seiten der Molkereien wenig bis nichts entgegenzusetzen."

Doch auch die sind jetzt dran. Vor allem Lidl hatte tagelang versucht, die Bauern zu beruhigen, aber nichts half. In Cloppenburg, wo die Bauern erfolgreich die Lieferkette von Lidl unterbrochen hatten, forderten sie, dass der oberste Chef mit dem Hubschrauber einfliegen solle, um mit ihnen persönlich zu verhandeln.

Das tat der 79-jährige Klaus Gehrig, der Komplementär der Schwarz-Gruppe, zwar nicht, er schaltete sich aber per Telefon zu. Die Bauern verstärkten das Gespräch mit Megafonen und streamten es live in den Social-Media-Kanälen. Doch statt die Landwirte zu besänftigen, brachte er Edeka, Rewe und vor allem Aldi gegen sich auf. Er sei der falsche Adressat, belehrte er die Landwirte. "Ich war der Erste, der mit dem Milchpreis nach oben ging, und der Aldi hat den Preis gesenkt."

Die Zahl der Betriebe schrumpft, doch die Milchmenge wächst weiter

Doch auch das Verhältnis zwischen Handel und Agrarministerin Klöckner ist alles andere als ungetrübt. Kürzlich beschwerte sich dieser lautstark über Klöckners Gesetzentwurf gegen unlautere Handelspraktiken - direkt bei Kanzlerin Angela Merkel. "Frau Klöckner zeichnet ein Zerrbild der Lebensmittelhändler", schrieben sie. Man fühle sich "persönlich diskreditiert".

Klöckner wiederum hat auf die Schnelle eine Grußbotschaft von sich gedreht, um den Bauern zur Seite zu springen. "Ich kann Euren Zorn verstehen", sagt die Ministerin, "auch dass Ihr Warenlager blockiert." Nicht umsonst verschärfe sie die Regeln gegen unlauteren Wettbewerb.

Ganz so klar ist die Sache auch auf Seiten der Landwirte nicht. "Die Discounter dienen gerne als Feindbild", sagt Hans Foldenauer, Kopf des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. "Aber das sind alles Kaufleute, keine Waisenknaben." Den Bauern gelinge es nicht, ihre Mengen zu verknappen, dabei könne das den Preis steigern. "Wenn der eine sagt, ich mache freiwillig zwei Prozent weniger", so Foldenauer, "dann sagt der andere: Prima, dann mache ich mehr." Dabei lässt sich die Milchmenge gut steuern: weniger Kraftfutter, weniger Milch.

Stattdessen schrumpft die Zahl der Betriebe seit Jahren, während die Milchmenge weiter wächst. Deutschland ist mit Abstand der größte Milcherzeuger Europas, mehr als jeder fünfte Liter kommt von hier. Gleichzeitig grassiert unter den Landwirten die Sorge, Bauern aus anderen EU-Ländern könnten Marktanteile übernehmen, wenn hierzulande die Milch knapper und teurer wird. Nötig sei eine Art europäischer Dachverband, sagt Foldenauer - mit der Lizenz, die Märkte zu regulieren. Anders lasse sich das Dilemma nicht lösen. Schlimmer noch sieht es am Schweinemarkt aus. Er ist auf Export getrimmt, doch mit der Schweinepest brachen Märkte weg. Jetzt brechen die Preise ein.

Doch Preise künstlich anzuheben ist schwierig, auf allen Ebenen. Molkereien und Schlachthöfe dürfen Preise nicht absprechen, auch die Discounter nicht, das verbietet das Kartellrecht. Eine konzertierte, europaweite Regulierung dürfte Jahre brauchen. Zeit, die viele Landwirte nicht mehr haben. Viele haben investiert und sitzen auf Schulden. "Vertrackt" sei das alles, sagt die Allgäuer Milchbäuerin Waizenegger. "Da gibt es keine einfache Lösung." Aber, wie gesagt, eigentlich sei sie keine Pessimistin.

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