Tarifkonflikt:Der nächste Streik? Oder doch die Einigung?

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Die Gewerkschaft EVG fordert deutlich höhere Gehälter und droht immer wieder mit Streik. (Foto: Morris MacMatzen/Getty Images)

Mit einem fünftägigen Verhandlungsmarathon wollten Bahn und EVG endlich ihren verfahrenen Tarifkonflikt beilegen. Das gelingt ihnen nicht - doch es gibt einen Lichtblick.

Von Benedikt Peters, München

Die meisten Menschen verbinden mit Tarifrunden - wenn sie denn überhaupt etwas mit ihnen verbinden - polternde Auftritte. Verbalattacken zwischen Gewerkschaftern und Arbeitgebern, Warnstreiks, Trillerpfeifen. Die meiste Zeit während Tarifverhandlungen verbringt der geneigte Beobachter aber anders: mit Warten. Man sitzt vor geschlossenen Türen, starrt auf Handybildschirme, auf denen sich nichts tut. Bis dann, irgendwann, doch bekannt gegeben wird, wie es weitergeht.

Insofern war der Freitag ein typischer Tarifrundentag. Bahn und EVG, die seit nunmehr vier Monaten um höhere Gehälter für die Beschäftigten ringen, hatten signalisiert, sich endlich einigen zu wollen. Die ganze Woche verhandelte man, geschlagene fünf Tage, das sollte den Durchbruch bringen. Einen Durchbruch, den nicht nur viele Mitarbeiter, die auf mehr Geld hoffen, dringend erwarten. Sondern auch die Millionen Bahnkunden, die auf den nächsten Warn- (oder womöglich sogar richtigen) Streik gut verzichten könnten.

Denn Freitag über tat sich dann also: nichts. Keine Pressekonferenz wurde angesetzt, keine Mitteilung verschickt, nichts poppte auf den Bildschirmen auf. Abgesehen von dürren Vertröstungen aus den Verhandlungskreisen: Dauert noch. Bis dann schließlich, um 20:34 Uhr, doch noch eine offizielle Mail kommt: "DB und EVG vertagen sich", schreibt die Bahn, es gebe "Verständigungen", Personalvorstand Martin Seiler lässt sich gar mit den Worten zitieren: "Das Ziel ist in Sicht". Die Gewerkschaft spricht wenige Minuten später von möglichen "Kompromisslinien". In der kommenden Woche wollen sie wieder reden - und dann gibt es vielleicht tatsächlich eine Einigung. Wobei in dieser äußerst langwierigen und verworrenen Tarifrunde nur eines sicher ist: dass nichts sicher ist.

Die Forderung: zwölf Prozent mehr Lohn

Seit dem 28. Februar verhandeln Bahn und EVG, und die Erwartungen der Gewerkschaft sind in diesem Jahr besonders hoch. Nicht nur, dass sie dem Management einen Katalog von mehr als 50 Forderungen vorlegte. Sie verlangt auch eine Gehaltserhöhung von zwölf Prozent beziehungsweise einen monatlichen Mindestbetrag von 650 Euro mehr für die etwa 180 000 Bahnbeschäftigten, für Lokführerinnen etwa und Schaffner, Fahrdienstleiterinnen und Instandhalter. Gleichzeitig steht die EVG in Verhandlungen mit weiteren Zugunternehmen, dort geht es um etwa 50 000 weitere Beschäftigte.

Die EVG argumentiert, die kräftigen Gehaltssteigerungen seien notwendig, um die hohe Inflation auszugleichen. Außerdem verweist sie auf ihre Zurückhaltung während der Corona-Pandemie: Als die Züge in dieser Zeit leer blieben und die Bahn enorme Verluste einfuhr, stimmten die Gewerkschafter aus wirtschaftlicher Vernunft einem vergleichsweise niedrigen Abschluss zu.

Bahn-Personalvorstand Seiler, der die Tarifverhandlungen für den Konzern führt, stellt der Gewerkschaft dieses Mal zwar grundsätzlich kräftige Lohnerhöhungen in Aussicht. Ganz so stark, wie die EVG sie will, dürfen sie Seiler zufolge aber nicht ausfallen: Dann wäre die Bahn nicht mehr wettbewerbsfähig, argumentierte er, sie würde Ausschreibungen gegen andere Firmen mit niedrigeren Gehältern verlieren.

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Monatelang bewegte sich in dem Konflikt so gut wie nichts, die beiden Seiten stritten erbittert um Details, etwa um die Arbeitsbedingungen von etwa 2000 bis 3000 Mindestlohnbeziehern bei der Deutschen Bahn. Der Ton wurde zusehends rauer, Seiler etwa verglich das Verhandlungsteam der Gewerkschaft mit einer Schulklasse. Die EVG wiederum scheute nicht vor heftigen Warnstreiks zurück. Ende März legte sie gemeinsam mit Verdi den Zug- und Busverkehr nahezu überall in Deutschland lahm, im April streikte das Personal noch einmal für mehrere Stunden. Ein dritter Warnstreik, der zwei Tage und zwei Stunden gedauert hätte, konnte erst in letzter Minute mithilfe eines gerichtlichen Vergleichsabgewendet werden. Bahn und EVG verpflichteten sich, konstruktiv weiter zu verhandeln.

Seitdem scheinen beide Seiten stärker als zuvor an einer Lösung zu arbeiten. Trotz mehrerer, teils vertraulicher Gespräche und einer intensiven Verhandlungsrunde in dieser Woche tat sich bei den großen Themen der Tarifrunde dem Vernehmen nach aber zuletzt wenig. Als größter Knackpunkt galt die Forderung der EVG, in jedem Fall einen monatlichen Mindestbetrag zu vereinbaren, um den die Gehälter steigen sollen. Davon profitieren Niedrigverdiener stärker als von einer prozentualen Lohnerhöhung.

Streit gab es außerdem um die Laufzeit des Tarifvertrags. Die Bahn hatte zuletzt verlangt, sie solle zwei Jahre betragen. Die EVG hingegen wollte nur für zwölf Monate abschließen, um danach schnell wieder über weitere Gehaltssteigerungen verhandeln zu können. Unabhängig davon, wann die Einigung nun endlich kommt, wird der Betriebsfrieden bei der Bahn allerdings wohl nicht lange anhalten. Die zweite Bahn-Gewerkschaft, die GDL, präsentierte unlängst ihre ebenfalls saftigen Forderungen - und könnte im November in den Arbeitskampf einsteigen.

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