SZ-Wirtschaftsgipfel:BMW-Chef: "Wir wollen ja lebendige Innenstädte!"

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Auf dem Podium: Verkehrsexpertin Barbara Lenz, Hildegard Müller, Präsidentin des Automobilverbandes, und Moderator Marc Beise, Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion (v.l.). BMW-Chef Oliver Zipse ließ sich aus München zuschalten. (Foto: Stephan Rumpf)

Wie kann die Verkehrswende aussehen und welche Rolle spielt künftig das Auto? Verkehrsexperten und Hersteller sind sich da uneins. Nur bei einer Sache nicht.

Von Max Hägler, Berlin

Eigentlich könnten jetzt alle zufrieden sein in der Autobranche. In der Nacht zuvor gab es wieder eine schöne Zusage von der Bundesregierung: Mindestens drei Milliarden Euro obendrauf gibt es für die Industrie, damit diese den Technologiewandel gestalten kann. "Ich glaube, es sind gestern gute Ergebnisse herausgekommen", sagt denn auch Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Der aus München zugeschaltete BMW-Chef Oliver Zipse pflichtet bei. Das Geld geht vor allem in eine verlängerte Kaufunterstützung für reine Elektroautos und sogenannte Hybrid-Wagen.

Allerdings, das stellt Lobbyistin Müller dann sehr schnell klar, das Geld reicht nicht. Denn: Der Aufbau der Ladeinfrastruktur halte nicht Schritt. Da müsse die Politik nachlegen. Die übliche Maßlosigkeit von einer der wichtigsten und auch am besten gepäppelten Industrien des Landes? Zumindest in diesem Fall ist das ein bisschen anders - wie auch diese ganze Debatte auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin zeigt: So ganz einfach, schwarz und weiß, geht es nicht mehr zu in der Mobilität. Es ist kompliziert geworden.

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Tatsächlich ist die fehlende Ladeinfrastruktur ein Thema, bei dem alle mitgehen mittlerweile: Auf dem Wirtschaftsgipfel etwa erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag, dass Deutschland mehr tun müsse bei der E-Mobilität. "Es ist unsere Aufgabe als Politiker, das möglich zu machen", hatte tags zuvor Frans Timmermans zum Thema Ladepunkte gesagt, der stellvertretende EU-Kommissionspräsident.

Oder Barbara Lenz: Die Leiterin des Instituts für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist persönlich eine Anhängerin alternativer Verkehrsformen und Antriebe. Aber selbst sie sagt auf diesem Panel in Berlin, als Vertreterin der Wissenschaft: Die ganz schnelle Umstellung auf Elektromobilität werde nicht funktionieren - und das liege eben auch an diesen Ladepunkten: Ein normales Auto in Deutschland fahre 350 Tage im Jahr kürzere Strecken. Aber 15 Tage im Jahr, beim Urlaub, hätten die Besitzer größere Reisen vor sich. Es seien die Momente, die den Menschen besonders wichtig sind. Wenn es dann keine Ladeinfrastruktur gebe, "dann ist es für den Kunden uninteressant". Hätten vielleicht zuerst Ladesäulen gebaut werden müssen, damit dann die Elektroautos alle gleich Strom finden? Bei diesem so oft diskutierten Unterpunkt ist sie pragmatisch: "Man lernt schrittweise."

Doch die Einigkeit bei diesem einen Thema trügt: Die Automobilindustrie im Jahr 2020 spricht nicht mehr mit einer Stimme. Wie und wie schnell der Wandel stattfinden und in welchen Bereichen er sich sonst noch niederschlagen soll, da gibt es durchaus unterschiedliche Vorstellungen, abseits der Steckdosen. Aus Sicht der Industrie stehen einige Zulieferer viel mehr unter Druck, weil sie stark abhängen von bestimmten Antriebsarten, weil sie mit kleineren Margen auskommen müssen. Ihr Ziel ist es, rasche Umbrüche zu vermeiden. Bei den Herstellern wiederum ist das Bild ebenfalls uneinheitlich: Der Volkswagen-Konzern forciert die E-Antriebe mit großem Nachdruck. Vorstandschef Herbert Diess freut sich etwa, dass Deutschland nach dem Autogipfel zum "Leitmarkt" für Elektromobilität werde.

Bei BMW hingegen gibt man sich dialektisch. Es gehe nicht darum, den Verbrenner zu verteidigen. "Das ist vorbei", betont Zipse an diesem Vormittag. Deutschland als Leitmarkt der E-Mobilität findet er auch gut. Aber: Verbrennermotoren entwickelt BMW durchaus weiter, ein Ende ist nicht in Sicht. Das elegante Argument dabei, das übrigens auch die Verkehrsforscherin teilt: Die "Kundennachfrage" unterscheide sich ja von Land zu Land sehr deutlich: Allein in Europa gebe es sehr unterschiedliche Voraussetzungen bei der Ladeinfrastruktur für Elektroautos, insofern wolle man hier Verschiedenes anbieten, pflege einen "technologieoffenen Ansatz". Elektro, Benzin, Diesel, synthetische Kraftstoffe, vielleicht demnächst die Brennstoffzelle.

Man müsse auch in dieser Debatte die Menschen mitnehmen, sagt die Forscherin. Und: Nur nicht zu ungeduldig sein dabei

Auch bei der Frage alternativer Verkehrsformen - zumal in den staugeplagten Städten - sind die Interessenlagen unterschiedlich. BMW-Chef Zipse verweist immer öfter darauf, dass der Verkehr in den Städten überhandnehme. Er halte es etwa in München "für sehr sinnvoll", den Bereich innerhalb des Altstadtrings autofrei zu machen, betonte er beim Wirtschaftsgipfel: "Wir wollen ja lebendige Innenstädte!" Man müsse nach intelligenten Lösungen suchen. An diesem Freitag sitze er deshalb wieder mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zusammen.

Müller, die Chef-Lobbyistin seiner Branche, ist da offenbar anderer Meinung. Überrascht schaut sie auf, als der Konzernchef ein Plädoyer hält für die sogenannte "Multimodalität" in der City. Sie selbst ist zuletzt wieder auf den jahrelang gepflegten Autokurs zurückgeschwenkt, weswegen auch immer: Jedenfalls schimpfte sie zuletzt etwa deutlich über sogenannte Pop-up-Radwege, die während der Corona-Seuche entstanden sind: Das sei nur Show, werde von den Bürgern nicht gewünscht. Dabei zeichnen Studien, auch aus der Wirtschaft, ein genau gegensätzliches Bild. Auf dem Wirtschaftsgipfel kritisiert die Autofrau auch noch das "Geofencing". Dieses Konzept werde in der Europäischen Union gerade diskutiert - und berge die Gefahr der "Gängelung". Geofencing muss man nicht auf Anhieb kennen, aber es ist ein technisch interessanter Ansatz: Hybrid-Autos, also jene, die mit Elektro und mit Verbrenner fahren können, werden dabei in urbanen Bereichen verpflichtend auf Strom umgeschaltet. Eine Idee, um die Umweltbelastungen vor Ort zu senken. Einer der Vorreiter dabei: ausgerechnet BMW, ausgerechnet Zipse.

Wie das alles zusammengeht in dieser komplizierten Welt? Die alten und die neuen Denkweisen? Die Forscherin gibt eine Richtung vor: Sie persönlich wünsche sich weniger Autos in den Innenstädten, aber sie sei auch realistisch: Dreiviertel aller Wege legten die Menschen in Deutschland per Auto zurück. Wer da etwas ändern wolle, müsse die Menschen mitnehmen, reden also. Dabei gelte: "Nicht zu ungeduldig sein."

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