Deutsche Industrie:Keine Autos mehr für Russland

Lesezeit: 2 Min.

Ein Bild, das heute undenkbar scheint, aber erst drei Jahre her ist: Wladimir Putin signiert bei der Eröffnungsfeier des Mercedes-Benz-Werks im Industriepark Yesipovo bei Moskau ein Auto. Hinter ihm lächeln unter anderem der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche und Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier. (Foto: Alexey Kudenko/dpa)

Mehrere deutsche Autohersteller haben ihre Lieferungen nach Russland und die Produktion dort bereits gestoppt. Jetzt zieht Volkswagen nach.

Von Christina Kunkel

Gerade einmal drei Jahre ist es her, dass Mercedes seine erste Pkw-Fabrik in Russland einweihte, unweit der Hauptstadt Moskau. Ein echtes Vorzeigeprojekt: 250 Millionen Euro hatte das Werk gekostet, mehr als 1000 Menschen können dort arbeiten, als erstes Modell wurde die E-Klasse dort für den russischen Markt gebaut. Mit dabei bei der Eröffnung im Frühjahr 2019: Russlands Präsident Wladimir Putin. Auch der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche war angereist, genau wie der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Ein "Leuchtturmprojekt in den deutsch-russischen Beziehungen", nannte der Minister die Fabrik und erwähnte dann doch noch kurz, dass man "natürlich" auch die politischen Probleme lösen müsse. Das Wort Ukraine vermied Altmaier.

Rund eine Woche nach Beginn des russischen Angriffskriegs ist klar: Die Hoffnung auf eine Lösung dieser Probleme ist unfassbar fern. So fern, dass auch die deutsche Autoindustrie die Reißleine zieht: Mercedes stellt seine Exporte von Pkws und Vans nach Russland sowie die Fertigung dort "bis auf Weiteres" ein, teilte das Unternehmen am Mittwoch in Stuttgart mit. Weitere Details wurden nicht genannt. Zuvor hatte bereits der weltgrößte Lastwagenbauer Daimler Truck seine Aktivitäten in Russland inklusive der Kooperation mit dem Panzerwagen-Hersteller Kamaz gestoppt.

Weltweit spielt der russische Markt für die deutschen Autobauer nur eine kleine Rolle

BMW hatte mit seinem russischen Partner Avtotor im vergangenen Jahr noch 12 000 Autos in Kaliningrad (Königsberg) gebaut und insgesamt 49 000 Wagen in Russland verkauft. Damit ist bis auf Weiteres Schluss, wie die Münchner am Mittwoch vermeldeten. Auch den Export nach Russland stoppt der Autobauer vorerst.

Mitfahrgelegenheit. Der damalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn mit Wladimir Putin bei einer Fahrt im Elektromobil im Herbst 2009 im russischen Kaluga. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Am Donnerstag zog dann auch der größte deutsche Auto-Konzern Volkswagen nach. "Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs hat der Konzernvorstand entschieden, die Produktion von Fahrzeugen in Russland bis auf weiteres einzustellen", hieß es aus Wolfsburg. Auch Exporte der größten europäischen Autogruppe in die Russische Föderation würden "mit sofortiger Wirkung gestoppt". VW betreibt in Kaluga südwestlich von Moskau und im weiter östlich gelegenen Nischni Nowgorod eine eigene Fertigung. An beiden Standorten werde die Produktion nun vorerst beendet, teilte das Unternehmen mit. Die "betroffenen Mitarbeiter*innen in Russland erhalten eine angemessene Lohnfortzahlung, die von Volkswagen getragen wird", heißt es aus dem Konzern. Ebenso sollen keine Autos von Marken aus der VW-Gruppe mehr nach Russland ausgeführt werden.

Mit 204 000 verkauften Fahrzeugen im vergangenen Jahr ist der VW-Konzern unter den deutschen Herstellern am stärksten in Russland engagiert. Der Marktanteil der Wolfsburger lag dort zuletzt bei 12,3 Prozent. Doch im weltweiten Vielmarkenreich der Wolfsburger ist Russland nur ein wirtschaftlicher Nebenschauplatz. "Da die Marktrelevanz von Russland für Volkswagen jedoch nur bei zwei Prozent liegt, sind die negativen direkten Absatzeffekte ähnlich wie bei BMW und Mercedes-Benz jedoch als moderat einzuschätzen", analysiert Branchenexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management. BMW und Mercedes verkaufen jeweils nur rund drei Prozent ihrer Wagen nach Russland.

In Russland könnten Autos unerschwinglich werden

Deutlich härter als die deutschen Autobauer dürfte der aktuelle Export- und Produktionstopp nach Einschätzung des Autoanalysten Ferdinand Dudenhöffer den russischen Automarkt treffen. "Die eigentliche russische Autoindustrie ist ein Zwerg", so Dudenhöffer. Autos könnten nach dem Rubelabsturz in Russland zum Teil unerschwinglich werden. "Der russische Automarkt steht nach unserer Einschätzung vor einem Absturz um mehr als ein Drittel der Verkäufe." Dabei galt Russland noch vor zehn Jahren mit 2,8 Millionen verkaufter Autos pro Jahr als wichtiger Zukunftsmarkt. Doch seit 2015 stagniert der dortige Automarkt mit 1,4 bis 1,8 Millionen verkaufter Autos pro Jahr, im vergangenen Jahr waren es rund 1,67 Millionen Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Damit belegt das größte Land der Erde nach Südkorea und vor Frankreich lediglich den achten Platz der globalen Automobilmärkte.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: