Interview mit VDA-Präsidentin Hildegard Müller:"Nicht der Motor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff"

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Hildegard Müller, 53, war Staatsministerin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vorstandsmitglied beim Energieversorger RWE. Vor einem Jahr wurde die studierte Kauffrau an die Spitze des Autoindustrie-Verbandes VDA geholt. (Foto: Dominik Butzmann/VDA)

Deutschlands mächtigste Autolobbyistin bremst Verkehrsminister Scheuer bei Plänen für den Ausstieg aus fossilen Verbrennern 2035 aus. Ein Gespräch über fehlende Stromtankstellen, Tempo 130 auf Autobahnen und die Dominanz der Männer.

Von Markus Balser und Max Hägler, Berlin/München

Krise ohne Pause: Hildegard Müller, 53, ist seit gut einem Jahr Präsidentin des Autolobbyverbands VDA - und damit fast genau seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Die einstige Politikerin und Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel spürt, dass der Druck aus der Politik im Wahljahr wächst. Doch viele Forderungen hält der Verband für übertrieben. Nun geht Müller sogar auf Konfrontationskurs zum Bundesverkehrsminister.

SZ: Frau Müller, Andreas Scheuer fordert ein Enddatum für Verbrenner. 2035 soll Schluss sein. Werden Diesel und Benziner endgültig beerdigt?

Hildegard Müller: Der Verkehrsminister hat ja sehr bewusst vom Ende des fossilen Verbrenners gesprochen. Der Einsatz synthetischer Kraftstoffe wäre weiter möglich. Nicht der Motor ist das Problem, sondern der fossile Kraftstoff. Wir können aber keine Diskussion über Jahreszahlen führen. Beim aktuellen Stand der Elektrifizierung des Verkehrs wäre das zu früh.

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Die Diskussion ist schon im Gange. Was wäre aus Sicht des VDA ein sinnvolles Ausstiegsdatum?

Die Frage über ein Enddatum ist eher eine symbolische und kann erst beantwortet werden, wenn klar ist, wie der Markt für E-Autos sich entwickelt. Erst dann wird klar, ob es eine sinnvolle Jahreszahl gibt.

Nach den Bundestagswahlen im Herbst könnten die Grünen Teil der Regierung werden. Fürchten Sie nicht, dass sich die Gangart gegen die Autobranche verschärft?

Das würde ja bedeuten, dass wir nichts verändern wollen. Wir haben ein klares Bekenntnis zu den Klimaschutzzielen von Paris, wir wollen bis spätestens 2050 klimaneutral sein. Das ist eine große Aufgabe, die wir aktiv annehmen, und deshalb ist die deutsche Automobilindustrie mitten in der größten Transformation ihrer Geschichte. Unsere Unternehmen investieren dafür in den nächsten Jahren rund 150 Milliarden Euro in E-Mobilität und alternative Antriebe, Digitalisierung, aber auch den Aufbau von Ladeinfrastruktur. Bis Ende 2023 werden die Kunden voraussichtlich aus über 150 E-Modellen von deutschen Konzernmarken wählen können. Damit verdoppelt sich das Angebot.

Die Grünen wollen, dass der Verkehr ab 2030 abgasfrei wird. Machbar?

Dann müssten die Grünen in 2030 rund 30 Millionen Benziner und Diesel verbieten und verschrotten. Und wer nicht hundertprozentigen Ökostrom laden kann, dürfte auch nicht fahren. Ich dagegen will, dass wir bis 2030 die sauberste Fahrzeugflotte, die es je gab, auf den deutschen Straßen haben. Aber wir werden bis dahin nicht alle Autos und Lastwagen austauschen können. Deshalb brauchen wir jetzt ja auch mehr Kraftstoffe aus nachhaltigen Quellen.

Auch manche Unternehmen gehen schneller voran. Konzerne wie Volvo, Jaguar und General Motors haben den eigenen Ausstieg bis 2030 oder 2035 angekündigt. Warum bleiben viele große deutschen Hersteller so defensiv?

Niemand bringt in Europa mehr Elektroautos auf den Markt als die Hersteller aus Deutschland. Auch im Vergleich mit den Großmärkten China und USA haben wir in Deutschland viel mehr E-Fahrzeuge pro Einwohner. Die deutsche Industrie deckt aber auch Märkte ab, in denen die Elektro-Entwicklung nicht so schnell ist. Ohne E-Ladenetz kann ich den Menschen auch kein E-Auto verkaufen. Leider haben wir aber auch in der EU bisher nur in vier Staaten eine nennenswerte Ladeinfrastruktur, hier müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten dringend aktiv werden.

Die EU plant ab 2025 mit der Euro-7-Norm schärfere Abgasgrenzwerte. Diesel und Benziner ließen sich kaum noch verkaufen. Droht dem Verbrenner nicht sowieso früher das Aus?

Was die EU da plant, wäre ein faktisches Ende des Verbrenners. Dann muss das auch so benannt werden. Wir wollen und können Abgaswerte verbessern. Nicht neue Werte, sondern insbesondere die plötzliche Umstellung der Messmethode ist das Problem: Die neue Norm soll auch im Winter beim Anfahren am Berg und mit Anhänger gelten und das ohne Ausnahme - was technisch so nicht möglich ist. Die EU aber würde so allerbeste Benziner und Diesel aussortieren. Und das ohne eine Alternative für die Menschen. Politische Pläne müssen schon realisierbar sein. Solche EU-Pläne sind es nicht.

Wir sprechen schon viele Jahre über diesen Umbau - es bewegt sich wenig. Wer in deutschen Städten sein Elektroauto laden will, findet noch immer kaum öffentliche Ladeplätze.

Genau deswegen bin ich bei den Ladepunkten so besorgt. Meine Berliner Wohnung ist in Schöneberg. Dort ist es fast völlig ausgeschlossen, dass ich mein Hybridauto laden kann. Eine Berliner Initiative, die das Autofahren an nur noch zwölf Tagen im Jahr erlauben will, ist sicher nicht die richtige Antwort auf den Wunsch der Menschen nach Mobilität und Teilhabe.

Was hält der VDA für die richtige?

Wir müssen Lademöglichkeiten in vier Bereichen schaffen: privat daheim, beim Arbeitgeber, im Handel beim Einkaufen und unterwegs auf öffentlichen Straßen. Die Autobranche baut Ladepunkte, die Kommunen bauen, Wohnungs- und die Energiewirtschaft und viele andere auch. Die Politik fördert und hilft in der Transformation. Die Kommunen sollten aber noch viel engagierter der Koordinator des Umbaus sein. Dort weiß man, wo Lademöglichkeiten fehlen. Aber auch die EU muss besser managen, und allen Mitgliedsstaaten sagen, dass die CO -Ziele nur mit Ökostrom und mit mehr Ladepunkten erreichbar sind - und entsprechendem Netzausbau. In Süd- und Osteuropa sind wir von einem guten Ladenetz leider noch sehr weit entfernt.

Die Autoindustrie selbst strahlt nicht immer die größte Lust am Wandel aus. Wie sehr bremsen Ihre Mitglieder, um weiter gut an Diesel und Benzinern zu verdienen?

Wir bremsen nicht. Die Unternehmen investieren viel Kraft und Geld in diese Transformation. Die Unternehmen spüren aber auch, dass der Wandel Käufer braucht. Unsere große Sorge ist, dass wir nicht machbare Abgasziele bekommen, aber keine ausreichende Akzeptanz in der Elektromobilität haben.

Auch in der Verkehrssicherheit bewegt sich wenig. Die Deutschen wollen mehrheitlich ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Die SPD macht die Forderung zum Wahlkampfthema, die Grünen wohl auch. Bleiben Sie bei der Ablehnung?

Die Autobahnen sind die sichersten Straßen und bei Tempolimit 130 hätten wir nahezu keine Klimaeffekte. Wir haben ja längst an vielen Stellen Geschwindigkeitsbegrenzungen, und das ist auch richtig. Wir sind für intelligente und digital gesteuerte Tempolimits. An einigen Stellen sind Tempo 80 oder 100 passend.

Die Statistik spricht eine klare Sprache. Auf Autobahnabschnitten mit Tempolimit sterben weniger Menschen. Kann es einen besseren Grund geben?

Ob Tempo 130 wirklich Unfälle verhindert, wenn die Strecke frei ist, wage ich zu bezweifeln. Bei wenig Verkehr und guten Bedingungen spricht auch nichts gegen höhere Geschwindigkeiten. Deshalb bleiben wir dabei: Ein generelles Tempolimit auf freien Autobahnstrecken halten wir für den falschen Weg. Ein starres Blechschildlimit 130 ist das falsche Signal im 21. Jahrhundert.

Ihr Verband will bei der ersten IAA in München im Herbst eigene Visionen für den Verkehr der Zukunft vorstellen. Wie sehen die aus?

Wir ändern die IAA von einer klassischen Auto-Messe hin zu einer Plattform für die Mobilität der Zukunft. Mit E-Mobilität, mit Digitalisierung, mit neuen Konzepten für Mobilität wie Sharing oder Mobilität mit dem Fahrrad. Wir zeigen auch, welche Chancen automatisiertes Fahren bietet, etwa kleine Shuttlebusse für junge Leute nachts und für ältere auch tagsüber.

Die letzte IAA in Frankfurt war von Protesten überschattet. Auch in München organisieren sich die Gegner. Sogar die Stadt plant autofreie Viertel. Droht neuer Ärger?

Wir erleben auch von sehr vielen Seiten große Zustimmung zu unseren Plänen. Meine Meinung ist: Wer neues Denken fordert, muss selber auch offen sein für Neues. Das wird sich in München zeigen. Wir empfinden andere Meinungen nicht als Bedrohung, sondern laden zum offenen Dialog, wenn er denn friedlich ist. Genau das ist die Idee der neuen IAA, für die sich die Stadt München ja beworben hat.

Die Corona-Pandemie ist lange nicht vorbei. Kann die IAA denn überhaupt stattfinden?

Ich glaube, dass sich die Rahmenbedingen bis Herbst deutlich verbessern und wir die neue IAA in München erleben können. Klar ist: die Sicherheit hat höchste Priorität. Das gilt für Besucher, Aussteller und alle, die bei der IAA mitwirken. Mit unserem Partner, der Messe München, und mit der Stadt und dem Freistaat arbeiten wir intensiv an den notwendigen Hygienemaßnahmen.

Wenn die IAA nicht stattfinden kann, planen Sie den Neustart dann für 2022?

Wir planen ja, wie gesagt, für September 2021.

Die Politik verpflichtet die Wirtschaft immer stärker, bei Geschäften auf das Einhalten der Menschenrechte zu achten, etwa durch das neue Lieferkettengesetz. Sieht sich die Autoindustrie stärker in der Pflicht?

Mir ist die Situation der Menschenrechte auf der Welt ein echtes Anliegen. Aber wenn wir als Gesellschaft und Wirtschaft nur dorthin gehen, wo die Situation perfekt ist, würden wir nichts verändern. Deshalb brauchen wir ja auch Handelsabkommen. Die Politik muss den richtigen, aber auch einen realistischen Rahmen schaffen, und die Wirtschaft muss sich ebenfalls engagieren. Unsere Unternehmen sind hier auf einem guten Weg.

Sie sind seit gut einem Jahr die mächtigste Autolobbyistin des Landes. Wie schwer ist es, Strukturen in dieser Traditionsbranche zu verändern? Noch immer wird etwa ihr Präsidium von Männern dominiert.

Divers geführte Unternehmen sind erfolgreicher, das ist die Erfahrung in vielen Ländern und auch meine persönliche Überzeugung. In der Autobranche tut sich einiges. Wir haben zunehmend viele gute Frauen in den Vorständen, und mit Natalie Mekelburger ist eine sehr kluge Frau im VDA-Vorstand. Wir alle sollten Diversität in Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland nicht als Belastung, sondern endlich als Chance begreifen.

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