Arbeitsmarkt:Die deutsche Politik ist von Furcht getrieben

Die Sozialpolitiker der Republik, gleich welcher Partei, konzentrieren sich aber weiter auf das, was traditionell ihr Spezialgebiet ist: Sozialleistungen, Grundrente oder die Deckelung von Mieten, die Kindergrundsicherung oder die Abschaffung von Hartz IV. Als hätte sich die Welt nicht verändert, herrscht in der Bundesregierung arbeitsmarktpolitische Realitätsverweigerung. Im Koalitionsvertrag stehen bestenfalls Leerformeln wie "Wir wollen die Arbeitsmarktinstrumente stärker auf die digitale Weiterbildung ausrichten und wollen finanzielle Anreize für die Weiterbildung schaffen".

Von den Grünen, die sich sogar anschicken, bald ins Kanzleramt einzuziehen, ist bisher nicht zu erfahren, welche Strategie für den Arbeitsmarkt sie für die richtige halten. In den Skizzen zum neuen Parteiprogramm, das erst im nächsten Jahr fertig sein soll, ist dazu nicht viel zu finden. Verräterisch sind rückwärts gewandte Sätze wie sie der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, von sich gibt: "Wir wollen so viele Arbeitsplätze wie möglich in der Autoindustrie retten."

Hohe und strukturelle Arbeitslosigkeit droht

Diese Passivität ist gefährlich. Wo neue digitale Arbeitsplätze entstehen, aber zugleich die traditionell ausgebildeten Menschen in Dauerarbeitslosigkeit rutschen, droht die Spaltung in eine Zweiklassengesellschaft von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen mit allen politischen Folgen. Deutschland steuert auf eine erneut hohe und zähe strukturelle Arbeitslosigkeit zu, wie dieses Land sie jahrzehntelang bis noch vor 15 Jahren kannte.

Die deutsche Politik ist von Furcht getrieben. Die Panik vor einer großen Arbeitslosigkeit scheint der Grund zu sein, warum Politiker und Parteien lieber nichts tun, als die Sache anzupacken. Die Parteien haben offenbar schon Angst, die Dinge nur anzusprechen und ihre Wähler mit unangenehmen Wahrheiten zu verschrecken. Lieber versprechen sie die Förderung von Technologien wie dem batteriebetriebenen Elektroauto mit vielen Milliarden, obwohl die Industrie diese Entwicklung längst selbst stemmen könnte, es aber vorzieht, sich vom Staat bezuschussen zu lassen. Dieses Geld wäre in Kapazitäten für Weiterbildung besser angelegt. Wo Angst die politische Diskussion bestimmt, hängt die Politik in dem alten Paradoxon fest, nichts zu tun. Doch durch Nichtstun wird das Problem größer, nicht kleiner.

Was in diesen Zeiten gebraucht wird, sind Impulse und Geld für die Weiterbildung der Menschen, deren Arbeitsplätze durch die absehbaren Umbrüche bedroht sind. Sie brauchen Weiterbildung oder Umqualifizierung, die über das bisherige Maß an Weiterbildung hinausgeht. Gleichzeitig muss Weiterbildung ein ständiger Begleiter des Berufslebens werden, um die Arbeitnehmer wettbewerbsfähig zu halten, solange sie noch eine Beschäftigung haben. Der Nürnberger Arbeitsmarktforscher Weber regt folgerichtig ein System der Weiterbildung an, "das denselben Stellenwert hat wie die Erstausbildung". Davon ist Deutschland weit entfernt.

Nötig ist eine Mentalität, die Zukunftstechnologien höher schätzt als Buchhalterkalkül

Und es geht darum, einen Humus zu schaffen, auf dem neue Arbeitsplätze entstehen können. Der Staat, aber auch Gewerkschaften und Unternehmen sollten sich eine neue konzertierte Aktion zur Aufgabe machen. Was der legendäre Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) in den Sechzigerjahren als ein großes Miteinander der Interessengruppen für die Steuerung der Wirtschaft erdachte, hatte der spätere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor einigen Jahren als Konzept für die Modernisierung der Wirtschaft wieder aufgegriffen. Nur wenn Staat, Gewerkschaften, Unternehmen oder Verbände gemeinsam Dinge vorantreiben, die am Markt nicht von allein geschehen, hat die Republik eine Chance, Zukunftsindustrien eine Heimat zu geben. Warum gibt es nach mehr als zehn Jahren des Gezänks noch immer kein gemeinsames E-Auto-Ladenetz aller Autohersteller? In dieser Frage haben Staat und Wirtschaft gemeinsam beklagenswert versagt.

Der Staat muss steuerliche Anreize schaffen für Forschung und Entwicklung auch in Gebieten, die noch nicht aussichtsreich sind. Eine Wirtschaftsnation braucht eine Förderpolitik, die Investoren die Möglichkeit gibt, unbekanntes und riskantes Terrain zu betreten, und es bedarf einer Mentalität, die Zukunftstechnologien höher schätzt als finanzpolitisches Buchhalterkalkül. Wo eine schwarze Null im Staatshaushalt wichtiger ist als die Förderung von Technologie, ist die Zukunft nicht zu Hause.

Nötig ist der Abschied vom Bedenkenträger-Staat, der sich nicht traut, Steuergelder für Projekte einzusetzen, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist. Das ist gerade der Sinn von Forschung und Entwicklung, auch wenn Politiker Unternehmen grundsätzlich nicht gern Steuergeschenke machen. Aber wer, wenn nicht die Unternehmen, soll die Jobs von morgen denn schaffen?

Der deutsche Staat, der immer noch lieber Kontrolleur ist als Förderer, hat das bisher nicht verstanden. Dabei ist Geld, das für neue Technologien eingesetzt wird, durch die Jobs entstehen, eine bessere Sozialpolitik, als die Abschaffung von Hartz IV oder diverse Spielarten von Grundrenten. Es ist vor allem jetzt gut eingesetztes Steuergeld, weil sich abzeichnet, dass der kommende Abschwung mehr sein wird als ein konjunkturelles Kurztief.

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