Arbeitsmarkt:Realitätsverweigerung vor dem kommenden Abschwung

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Digitalisierung und Elektromobilität könnten vor allem in der Autoindustrie viele Jobs überflüssig machen. (Foto: dpa)
  • Der Abschwung der Wirtschaft kündigt eine Strukturkrise an.
  • Die Parteien reden über die falschen Themen. Statt Grundrente und Hartz IV sollten Forschung und Weiterbildung auf der politischen Agenda stehen.
  • Wo hohe strukturelle Arbeitslosigkeit droht, müssen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam handeln.

Essay von Karl-Heinz Büschemann

Wirtschaftliche Abschwünge haben etwas Tückisches. Am Anfang ist nicht zu erkennen, ob eine ökonomische Talfahrt bald wieder vorbei sein wird oder ob sie Anzeichen für einen schwerwiegenden Umbruch ist, der eine Volkswirtschaft für Jahrzehnte beuteln wird. Derzeit gehen die Aktienkurse tendenziell nach unten, schon lange wird in Deutschland ein Abschwung erwartet. Bayer, BASF und die Deutsche Bank streichen massenweise Arbeitsplätze. Die Geschäftsergebnisse von BMW oder Mercedes schrumpfen bedrohlich, selbst scheinbar felsenfest stehende Autozulieferer wie Bosch, Continental oder Schaeffler geraten ins Trudeln. Vieles spricht dafür, dass die Anzeichen des Abschwungs weit mehr ankündigen als eine bald vergessene Phase schwachen Wachstums.

Die deutsche Wirtschaft, die zuletzt mit ihren Exporterfolgen anscheinend problemlos wuchs, die frühere Zeiten von zäher Arbeitslosigkeit abschüttelte und aussah wie ein Dauer-Erfolgsmodell, steht vor gravierenden Umbrüchen. Bewährte Geschäftsstrategien werden infrage gestellt. Schon lange waren Unternehmen, Aktionäre und Manager nicht mehr so verunsichert. Vor allem aber die Arbeitnehmer sollten sich schon mal warm anziehen. Trotz vieler Worte: Die Berliner Politiker und Parteien sind auf die bevorstehenden Technologieumbrüche in der größten Wirtschaftsnation Europas nicht eingestellt. Das werden vor allem die Arbeitnehmer zu spüren bekommen.

Die große Frage ist: Was passiert bei Autokonzernen und Zulieferern, wenn der Verbrennungsmotor durch einen elektrischen Antrieb ersetzt wird und wenn in dieser wichtigen Branche ganze Lieferketten obsolet werden? Was wird aus den Beschäftigten der Hersteller von Getrieben, Kolben oder Auspuffen für Verbrennungsmotoren, wenn Autos keine Getriebe, Kolben oder Auspuffe mehr brauchen? Was wird aus den Bankern, wenn es keine Geldinstitute im heutigen Stil mehr gibt, und wer hilft den Beschäftigten im Einzelhandel, wenn die Internet-Wirtschaft weiter um sich greift, vom Autovertrieb bis zum Gemüseverkauf, und der stationäre Handel auf breiter Front eliminiert wird?

Jeder fünfte Arbeitsplatz könnte bald durch Maschinen ersetzt werden

In den Autokonzernen setzt sich nach langem Zögern die Erkenntnis durch, dass sie sich neue Technologien für die Mobilität der Zukunft ausdenken müssen. Experten in der Branche sagen, das könnte 20 Prozent der Jobs in der heutigen Autoindustrie überflüssig machen: rund 150 000. Wahrscheinlich aber sind es wesentlich mehr. Die OECD sagte gerade voraus, in Deutschland könnte in den kommenden zwei Jahrzehnten beinahe jeder fünfte Arbeitsplatz leicht durch Maschinen und Software ersetzt werden. Bei gut 40 Millionen Beschäftigten wären das mehr als acht Millionen bedrohte Existenzen. Die Deutschen sollten sich anschnallen. Selbst wenn diese Zahlen übertrieben wären: Der Ritt auf der Achterbahn des Digitalzeitalters wird unerfreulich.

Dennoch strahlen die Politiker eine wohlige Zufriedenheit aus, als wollten sie den Bürgern vermitteln, sie hätten die bedrohlichen Zeichen der Zeit verstanden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt sich mit Autogipfeln scheinbar der Belange einer Schlüsselbranche an. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) propagiert die Idee, mit politischen Mitteln große Unternehmen ( "Nationale Champions") schaffen zu können, die Deutschlands Wirtschaft in der globalen Spitzenliga halten werden. Die Bundesregierung will Milliarden ausgeben für den Bau einer Batteriezellenfabrik in Deutschland. Die Botschaft ist: Wir modernisieren die Wirtschaft.

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Aber kaum jemand in Berlin spricht über Ideen, mit denen die Folgen der technologischen Brüche für Millionen Menschen gemildert werden könnten. Was geschieht mit jenen Menschen, deren Arbeitsplätze bedroht sind? "Ich glaube, dass den Politikern die Dimension des Problems noch gar nicht klar ist", ist das frustrierte Urteil von Manfred Schoch, Betriebsratschef von BMW. Und das, obwohl die Republik seit mehr als einem Jahrzehnt über das Elektroauto diskutiert, das die wichtigste deutsche Industriebranche stark verändern und die Zahl ihrer Arbeitsplätze erheblich verringern wird.

Auch Enzo Weber, Professor am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg, sieht Defizite der Bundesregierung. Es gebe einige positive Ansätze, sagt der Ökonom. Zum Beispiel das im Wesentlichen von der SPD betriebene neue Gesetz, mit dem die Weiterqualifizierung der Menschen gefördert werden soll: "Aber das reicht nicht", sagt der Ökonom. Das Tückische dabei: Die Zahl der Arbeitsplätze wird mit der Digitalisierung nicht fallen, aber die Arbeitslosigkeit wird steigen, weil Arbeitskräfte in klassischen Berufen in der digitalen Welt nicht mehr gebraucht werden. Das birgt sozialen Sprengstoff.

Die Sozialpolitiker der Republik, gleich welcher Partei, konzentrieren sich aber weiter auf das, was traditionell ihr Spezialgebiet ist: Sozialleistungen, Grundrente oder die Deckelung von Mieten, die Kindergrundsicherung oder die Abschaffung von Hartz IV. Als hätte sich die Welt nicht verändert, herrscht in der Bundesregierung arbeitsmarktpolitische Realitätsverweigerung. Im Koalitionsvertrag stehen bestenfalls Leerformeln wie "Wir wollen die Arbeitsmarktinstrumente stärker auf die digitale Weiterbildung ausrichten und wollen finanzielle Anreize für die Weiterbildung schaffen".

Von den Grünen, die sich sogar anschicken, bald ins Kanzleramt einzuziehen, ist bisher nicht zu erfahren, welche Strategie für den Arbeitsmarkt sie für die richtige halten. In den Skizzen zum neuen Parteiprogramm, das erst im nächsten Jahr fertig sein soll, ist dazu nicht viel zu finden. Verräterisch sind rückwärts gewandte Sätze wie sie der Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, von sich gibt: "Wir wollen so viele Arbeitsplätze wie möglich in der Autoindustrie retten."

Hohe und strukturelle Arbeitslosigkeit droht

Diese Passivität ist gefährlich. Wo neue digitale Arbeitsplätze entstehen, aber zugleich die traditionell ausgebildeten Menschen in Dauerarbeitslosigkeit rutschen, droht die Spaltung in eine Zweiklassengesellschaft von Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen mit allen politischen Folgen. Deutschland steuert auf eine erneut hohe und zähe strukturelle Arbeitslosigkeit zu, wie dieses Land sie jahrzehntelang bis noch vor 15 Jahren kannte.

Die deutsche Politik ist von Furcht getrieben. Die Panik vor einer großen Arbeitslosigkeit scheint der Grund zu sein, warum Politiker und Parteien lieber nichts tun, als die Sache anzupacken. Die Parteien haben offenbar schon Angst, die Dinge nur anzusprechen und ihre Wähler mit unangenehmen Wahrheiten zu verschrecken. Lieber versprechen sie die Förderung von Technologien wie dem batteriebetriebenen Elektroauto mit vielen Milliarden, obwohl die Industrie diese Entwicklung längst selbst stemmen könnte, es aber vorzieht, sich vom Staat bezuschussen zu lassen. Dieses Geld wäre in Kapazitäten für Weiterbildung besser angelegt. Wo Angst die politische Diskussion bestimmt, hängt die Politik in dem alten Paradoxon fest, nichts zu tun. Doch durch Nichtstun wird das Problem größer, nicht kleiner.

Was in diesen Zeiten gebraucht wird, sind Impulse und Geld für die Weiterbildung der Menschen, deren Arbeitsplätze durch die absehbaren Umbrüche bedroht sind. Sie brauchen Weiterbildung oder Umqualifizierung, die über das bisherige Maß an Weiterbildung hinausgeht. Gleichzeitig muss Weiterbildung ein ständiger Begleiter des Berufslebens werden, um die Arbeitnehmer wettbewerbsfähig zu halten, solange sie noch eine Beschäftigung haben. Der Nürnberger Arbeitsmarktforscher Weber regt folgerichtig ein System der Weiterbildung an, "das denselben Stellenwert hat wie die Erstausbildung". Davon ist Deutschland weit entfernt.

Nötig ist eine Mentalität, die Zukunftstechnologien höher schätzt als Buchhalterkalkül

Und es geht darum, einen Humus zu schaffen, auf dem neue Arbeitsplätze entstehen können. Der Staat, aber auch Gewerkschaften und Unternehmen sollten sich eine neue konzertierte Aktion zur Aufgabe machen. Was der legendäre Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) in den Sechzigerjahren als ein großes Miteinander der Interessengruppen für die Steuerung der Wirtschaft erdachte, hatte der spätere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor einigen Jahren als Konzept für die Modernisierung der Wirtschaft wieder aufgegriffen. Nur wenn Staat, Gewerkschaften, Unternehmen oder Verbände gemeinsam Dinge vorantreiben, die am Markt nicht von allein geschehen, hat die Republik eine Chance, Zukunftsindustrien eine Heimat zu geben. Warum gibt es nach mehr als zehn Jahren des Gezänks noch immer kein gemeinsames E-Auto-Ladenetz aller Autohersteller? In dieser Frage haben Staat und Wirtschaft gemeinsam beklagenswert versagt.

Der Staat muss steuerliche Anreize schaffen für Forschung und Entwicklung auch in Gebieten, die noch nicht aussichtsreich sind. Eine Wirtschaftsnation braucht eine Förderpolitik, die Investoren die Möglichkeit gibt, unbekanntes und riskantes Terrain zu betreten, und es bedarf einer Mentalität, die Zukunftstechnologien höher schätzt als finanzpolitisches Buchhalterkalkül. Wo eine schwarze Null im Staatshaushalt wichtiger ist als die Förderung von Technologie, ist die Zukunft nicht zu Hause.

Nötig ist der Abschied vom Bedenkenträger-Staat, der sich nicht traut, Steuergelder für Projekte einzusetzen, deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist. Das ist gerade der Sinn von Forschung und Entwicklung, auch wenn Politiker Unternehmen grundsätzlich nicht gern Steuergeschenke machen. Aber wer, wenn nicht die Unternehmen, soll die Jobs von morgen denn schaffen?

Der deutsche Staat, der immer noch lieber Kontrolleur ist als Förderer, hat das bisher nicht verstanden. Dabei ist Geld, das für neue Technologien eingesetzt wird, durch die Jobs entstehen, eine bessere Sozialpolitik, als die Abschaffung von Hartz IV oder diverse Spielarten von Grundrenten. Es ist vor allem jetzt gut eingesetztes Steuergeld, weil sich abzeichnet, dass der kommende Abschwung mehr sein wird als ein konjunkturelles Kurztief.

© SZ vom 10.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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