Zulieferer-Branche:Ein Umbruch, wie ihn die Autoindustrie noch nicht erlebt hat

Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen

Ein Arbeiter baut in einem Werk der ZF Friedrichshafen AG ein Getriebe für einen Omnibus zusammen.

(Foto: Felix Kästle/dpa)

Von Bosch über Continental bis ZF: In der Zulieferer-Branche steht ein massiver Jobabbau an, Fabriken droht die Schließung. Gegen die Krise werden klassische Rezepte nichts helfen.

Kommentar von Thomas Fromm

Von außen gesehen wirkt es fast so, als hätten sich alle beim täglichen Überbringen der schlechten Nachrichten verabredet. Continental, Bosch, ZF, Mahle, Brose - überall droht massiver Jobabbau, Fabriken sind von Schließungen bedroht. Dazu kommen, fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Insolvenzen der kleinen, oft unbekannten Zulieferfirmen. So anonym, wie sie oft aus der dritten oder vierten Reihe den nächstgrößeren Zulieferern zugearbeitet haben, so anonym verschwinden sie nun auch. Gerade die ganz Kleinen am Ende der Kette erwischt es am härtesten, denn anders als Conti oder Bosch fehlt es ihnen an Geld und Größe, um die Kurve zu kriegen. An Zeit sowieso.

Bei der vergangenen großen Krise vor mehr als zehn Jahren gab es Rezepte, die das Schlimmste verhinderten. Kurzarbeit, Arbeitszeitkonten leerräumen, mal für ein paar Tage die Halle zusperren. Es sind Rezepte für die ganz normale Krise. Was in diesen Monaten in der Autobranche passiert, ist aber keine dieser normalen Krisen, zu denen man in den Lehrbüchern der Betriebswirtschaftslehre nach Antworten suchen kann. Diesmal geht es um einen Umbruch, wie ihn die Autoindustrie noch nicht erlebt hat, weil vieles von dem, was produziert wird, künftig nicht mehr gebraucht wird. Dieseleinspritzsysteme, Kolben, Auspuffrohre, Abgasreinigung - all das wird man in ein paar Jahren so dringend benötigen wie Pferdekutschen für den öffentlichen Nahverkehr. Deutschland, das Land, das mit Geschäften rund um den Verbrennungsmotor jahrzehntelang gut Geld verdient und viele Jobs geschaffen hat, steht vor einer gewaltigen Zäsur.

Einige Hunderttausend der geschätzt 800 000 bis 900 000 Arbeitsplätze in der Branche stehen auf dem Spiel, wenn sich alternative Antriebe wie Elektromotoren durchsetzen. Dass zu diesem Strukturwandel nun auch noch eine aufsteigende Rezession, der Handelskrieg zwischen USA und China und die unendliche Brexit-Geschichte kommen, ist das eigentlich Tragische. Ausgerechnet jetzt bräuchte die Industrie den Rückenwind der Konjunktur, um investieren zu können. Und selbst wenn der Markt irgendwann wieder anzieht: Das Autogeschäft mit seinen heutigen, komplizierten Zulieferketten wird dann ein anderes sein. Elektroautos sind einfacher zu bauen, und man braucht weniger Menschen dafür.

Es ist nicht so, dass sich das erst in den vergangenen Wochen herumgesprochen hätte. In der Branche wissen die Planer seit Langem, wo die Reise hingeht. Aber solange sich Benziner und Diesel gut verkauften (und sie werden sich auch noch einige Jahre verkaufen), gab man sich der Illusion hin, dass es immer so weitergehen würde. Warum umsteuern? Läuft doch.

Mit dem Dieselbetrug kamen die Dinge in Bewegung

Schuld an der Misere der Zulieferer sind nicht zuletzt auch die Autohersteller selbst. Ihre Zulieferer tun nur das, was die Auftraggeber von ihnen verlangen. Und die setzten viel zu lange auf große Autos mit viel Hubraum, weil die sich gut mit viel Marge verkaufen lassen. Ach, und wer weiß schon, wann und ob überhaupt sich das Neue durchsetzt?

Elektromobilität sei kein 100-Meter-Sprint, sondern eher ein Marathon, war einer dieser typischen Sätze des früheren Audi-Chefs Rupert Stadler. Die Botschaft aus den mächtigen Vorstandsetagen sollte Normalität vortäuschen: Alles mit der Ruhe, wir haben Zeit. Und ihr habt sie natürlich auch.

Dann kam der September 2015, und damit die große Zäsur: der Dieselbetrug bei Volkswagen. Plötzlich kamen die Dinge in Bewegung, und heute setzt VW-Chef Herbert Diess auf eine große Offensive mit erschwinglichen Elektroautos in den kommenden fünf Jahren. Es sind strategische Ankündigungen wie diese, die den Zulieferern klar machen, was die Stunde geschlagen hat: Ihnen bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit, ihre Unternehmen umzubauen und anzupassen. Die Zeit läuft gegen sie. Deshalb wird es fürs Erste wohl bei den schlechten Nachrichten bleiben.

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