Ausstellung in Berlin:Unser aller Plattenbau

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Mit dem Geschimpfe über die Nachkriegsarchitektur muss langsam Schluss sein. Sie ist ein Teil unserer Geschichte - und Identität.

Gerhard Matzig

Der Scharoun-Saal im DAZ, dem Deutschen Architektur Zentrum in Berlin, lässt in diesen Wochen ein bisschen an das Dorf von Asterix denken. Inmitten der Ausstellung "In der Zukunft leben" fühlt man sich vor allem an den - als Quelle der Architekturkritik nicht zu unterschätzenden - Asterix-Band über die Trabantenstadt erinnert. Darin ist das heimelige Dorf der Gallier inklusive gurgelndem Bächlein, Bardenwegsperr-Baum und strohgedeckten Lehmhütten umstellt von der Brachialität des modernen Städtebaus als Antik-Variante: von megalomanen Wohnsilos und menschenverachtenden Ausfallstraßen. Die urbanistischen Zumutungen des 20. Jahrhunderts sind angesichts einer malerisch-intakten Dorfstruktur fast wie mit Händen zu greifen.

Einst standen sie für Wohngerechtigkeit, heute sind sie oft geschmäht: Plattenbauten, wie hier bei Magdeburg (Foto: Foto: AP)

Nur dass in Berlin die kleine, einen einzigen Raum mit ein paar Stellwänden, Plakaten, Plänen und Filmausschnitten bespielende Ausstellung für den Größenwahn der Moderne steht - während die Stadt Berlin mit ihrer überschießenden Stadtschloss-Sehnsucht und historisierenden Traufkanten-Romantik den Dorfgeist zitiert. Der drückt sich auch darin aus, dass diese im Grunde zurückhaltend, ja bescheiden bestückte Schau, die dankenswerterweise vom BDA (Bund Deutscher Architekten) in aller Stille zusammengetragen wurde, zum lautstark umstrittenen Politikum werden konnte.

Es mag derzeit gewichtigere Ausstellungen zu Architektur und Städtebau im deutschsprachigen Raum geben - aber über keine andere wird leidenschaftlicher gestritten. Schon wird dem BDA unterstellt, er wolle die Untaten der Nachkriegsmoderne zurückhaben, die Wohnregale von Neuperlach oder die Quadratmeterkaskaden von Marzahn, dazu die gruftartigen Fußgängerunterführungen und die Schneisen der Autobahnen und der Verwüstung, die unter dem Label "Verkehrsgerechtigkeit" durch die Städte gefräst wurden.

Wissen die Architekten, die im BDA organisiert sind, denn nicht, dass man sich allerorten rekonstruierte Schlösser, Kirchen, Museen und toskanische Stadtplätze wünscht? Hat der BDA nicht mitbekommen, dass die Moderne "tot ist", wie das schon die Vertreter der Postmoderne seit den späten siebziger Jahren formuliert haben? Armer BDA. So was von gestern.

Man sollte aber dieser von Kai Vöckler kuratierten Ausstellung, die noch bis zum 15. November zu sehen ist, nicht kondolieren, sondern gratulieren: Sie thematisiert anhand von sechs charakteristischen Stadtsituationen (von Halle-Neustadt bis Bremen Neue Vahr) nicht die Vergangenheit einer Utopie, sondern fragt nach den Zukunftschancen einer womöglich zu Unrecht in Misskredit geratenen Zeit, die in Deutschland viel zu präsent ist, als dass man sie über all den Schloss-Debatten vergessen dürfte.

Dabei geht es jedoch nicht um die Verherrlichung von Flachdächern und um die Verteufelung der wieder modisch gewordenen Blockrandbebauung - oder gar der wünschenswerten, aber aus ökonomischen Gründen leider selten anzutreffenden Parzelle. Es geht um die notwendige Differenzierung, die einer Debatte abhandengekommen ist, die törichterweise außer den Zuschreibungen "Tradition" versus "Moderne" kaum Befindlichkeiten kennt.

Wahr ist, dass die Nachkriegsmoderne im Städtebau nach 1945 in einem zerbombten Deutschland zuschlagen konnte wie nirgendwo sonst - in Ost wie West bald gleichermaßen. Das hat zu den bekannten "unwirtlichen" Verhältnissen geführt (Mitscherlich). Aber nicht nur. Und wenn heute die allgegenwärtigen Ressentiments gegen die moderne Stadt nicht mehr zwischen neuem Bürgertum und altem Stammtisch unterscheiden lassen, so wird doch hier wie dort vergessen, was diese Moderne geleistet hat. Nach dem Krieg wurde mit ihren Mitteln nicht nur die Wohnungsnot bekämpft, sondern auch eine Art Wohngerechtigkeit herbeigeführt, die den jetzt so oberflächlich wieder ersehnten Gründerzeit-Vierteln völlig fremd war: Licht, Luft und Raum für alle.

Nachskriegsbauten allenthalben

Zudem war es die Moderne, die die Farbe der Gegenwart in die steingrauen Städte getragen hat: Grün. Nicht abgeschlossene Parks und Promenaden sind ihr zu verdanken, sondern offene Wiesen und ausgedehnte Rasenflächen für jedermann. Zuletzt: Die Hälfte unseres gesamten Baubestands stammt aus der Zeit nach dem Krieg. Ob man die Hinterlassenschaften dieser Ära nun mag oder nicht: Sie sind raumbildend, identifikatorisch wirksam und fest verankert im kollektiven Gedächtnis der Städte.

Dies zu ignorieren wäre, zu schweigen von Fragen der Nachhaltigkeit, eben das, was man den Bauten und Stadträumen der Moderne vorwirft: Geschichtsvergessenheit. Die Zukunft der Städte wird ohne die Vergangenheit nicht zu haben sein. Aber auch nicht ohne die Vergangenheit der Zukunft. Es wird Zeit, darüber zu sprechen, ohne in Kriegshandlungen einzutreten.

© SZ vom 24. 10. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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