Chefwechsel:Poker um Deutschlands größte Behörde

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Andrea Nahles ist das Thema Arbeit nicht fremd. Sie war auch mal Arbeitsministerin. (Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles könnte an die Spitze der Bundesagentur für Arbeit rücken. Doch aus der Wirtschaft bahnt sich Widerstand an.

Von Alexander Hagelüken und Roland Preuß, Berlin, München/Berlin

Es war im Juli. Die Menschen genossen einen kurzen Sommer mit weniger Sorgen um Corona. Die deutschen Arbeitgeber bastelten an einer Personalie: dem Chefposten der Bundesagentur für Arbeit (BA). Den wollten sie noch vor der Bundestagswahl im September besetzen. Sonst, so fürchteten die Arbeitgeber, komme an die Spitze von Deutschlands größter Behörde womöglich ein Versorgungsfall: Ein Politiker, der durch die Wahl sein Amt verlor - und vielleicht weder etwas vom Thema versteht noch den Job kann.

Der Plan zerschlug sich. Die Bundesagentur, die für das Leben vieler Millionen Bürger wichtig ist, braucht weiter einen neuen Chef. Amtsinhaber Detlef Scheele hört nächstes Jahr altersbedingt auf. Und jetzt, nach der Bundestagswahl, ist für den Posten tatsächlich eine Politikerin im Gespräch: die frühere SPD-Chefin Andrea Nahles. Allerdings ist sie weit davon entfernt, ein Versorgungsfall zu sein. Nahles leitet seit 2020 die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation. Sie verliert weder durch die Wahl ihren Job noch kann man behaupten, die langjährige Arbeitsministerin verstehe nichts vom Thema.

Die Gewerkschaften machen sich für sie stark

Wie zu hören ist, hat Nahles einflussreiche Fürsprecher. Dazu zähle Olaf Scholz, was in diesen Tagen Gewicht hat. Die beiden verbindet eine politische Freundschaft und Jahre enger Zusammenarbeit. Unter der damals designierten neuen SPD-Chefin Nahles wurde Scholz im Frühjahr 2018 Vizekanzler und Finanzminister, er fungierte als kommissarischer Parteichef, ehe Nahles offiziell gewählt war. In diesem Sommer sagte Scholz in einem SZ-Interview, es würden sich viele freuen, wenn Nahles sich irgendwann dafür entscheiden würde, wieder in die Politik zurückzugehen. "Dazu gehöre auch ich." Chefin der BA wäre nun zwar kein politisches Amt wie die Führung eines Ministeriums, aber doch eines mit vielen politischen Facetten.

In der Pandemie haben viele Unternehmen Kurzarbeit beantragt. Auch das gehört zu den Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Auch die Gewerkschaften machen sich für die 51-Jährige stark. Das hat einiges zu bedeuten. Denn neben politischen Vertretern sind die Gewerkschaften die zweite Gruppe im Verwaltungsrat der BA. Dieser schlägt jemanden für den Chefposten vor, die Bundesregierung muss diesem Vorschlag dann zustimmen. Doch noch vor dem Vorschlag könnte es Ärger geben. Denn aus der dritten Gruppe, den Unternehmen, kommt Kritik an Nahles. Der Poker um die größte deutsche Behörde mit rund 100 000 Mitarbeitern wird intensiver.

Kurzarbeit ist für die Behörde teuer und personalintensiv

Dabei geht es nicht um irgendeinen Posten, sondern um ein zentrales Amt der Republik. Der/die neue Chef/-in muss sich mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie herumschlagen. Mit massiven Zuschüssen zur Kurzarbeit verhinderten Regierung und BA bisher Massenarbeitslosigkeit. Doch nun, in der vierten Corona-Welle, beantragen wieder mehr Unternehmen Kurzarbeit. Für die Behörde ist das ebenso teuer wie personalintensiv.

Dazu kommt die größte ökonomische Transformation seit Langem, die viele Arbeitsplätze bedroht: Weg vom Verbrenner, hin zu E-Autos. Weg von Geschäften, hin zum Onlinekauf. Weg von klassischen Geschäftsmodellen, hin zu digitalen. Was wird aus all den Autowerkern, Verkäuferinnen und Sachbearbeitern in den bisherigen Jobs? Sie müssen weiterqualifiziert oder für neue Berufe ausgebildet werden. Die Bundesagentur soll dabei eine wichtige Rolle spielen. Ebenso wie beim Kampf gegen den zunehmenden Fachkräftemangel.

Die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Eine große und wichtige Behörde mit mehr als 100 000 Mitarbeitern. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Wer wäre geeignet, dieses Amt in diesen Zeiten zu übernehmen? "Für Andrea Nahles spricht viel", sagt ein Insider aus der Bundesagentur. "Sie kennt sich als frühere Arbeitsministerin mit dem Thema aus. Sie stand einem großen Apparat mit vielen Mitarbeitern vor. Und sie ist eine Frau."

Letzteres hat eine Vorgeschichte. Schon seit Jahren wird kritisiert, dass bei der Bundesagentur so gut wie keine Frauen an die Spitze kommen. Als erste Frau überhaupt zog 2017 Valerie Holsboer zumindest in den dreiköpfigen Vorstand ein. Sie musste zwei Jahre später nach einem Machtkampf mit den Arbeitgebern im Verwaltungsrat gehen - ausgerechnet. Denn die Arbeitgeber hatten sie einst für den Posten vorgeschlagen. Holsboers Nachfolgerin Christiane Schönefeld amtierte nur kurz, sie geht bald in den Ruhestand. Und eine Vorstandschefin? Gab es noch nie.

Mehr Diversität im Vorstand ist auch ein Kriterium

Kein Wunder also, dass mögliche Nachfolger Scheeles an der Spitze neben der fachlichen Eignung auch nach diesem Kriterium bedacht werden: dass mehr Diversität dem Riesenladen guttun könnte. Dies spricht etwa gegen das inhaltlich durchaus versierte Vorstandsmitglied Daniel Terzenbach als Chef. Der fürs operative Geschäft in den Regionen Zuständige ist außerdem erst 41, sein Aufstieg hat Zeit.

In der Gerüchteküche tauchten in den vergangenen Monaten verschiedene Namen auf, wobei offenbleibt, mit wem wirklich geredet wurde. Ins Profil passt etwa Vanessa Ahuja aus dem Bundesarbeitsministerium. Mancher in der Bundesagentur kann sich auch die einstige Siemens-Personalchefin Janina Kugel vorstellen. Und nun gibt es also den Namen Andrea Nahles.

Wer ihn öffentlich ins Spiel gebracht hat, ist unklar. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) unterstellt aber, dass es die Politik war - und protestiert: "Es irritiert sehr, wenn seitens der Politik nun versucht wird, über die Medien Vorfestlegungen und Fakten zu schaffen." Das Vorschlagsrecht für Vorstandsposten der BA liege beim Verwaltungsrat.

Traditionell kommen die Vorschläge dort von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Mancher Bürger mag sich wundern, warum die Sozialpartner dort so viel Einfluss haben. Sie sitzen als Vertreter jener im Verwaltungsrat, die die Beiträge in die Arbeitslosenversicherung zahlen: Beschäftigte und Firmen.

Den Arbeitgebern passt diese Personalie nicht

Zur Personalie Nahles äußert sich der Spitzenverband der Arbeitgeber öffentlich nicht. Manch anderer aus der Wirtschaft ist da weniger zurückhaltend. Die einstige Juso-Vorsitzende Nahles sei politisch zu links, wettert ein Funktionär. Außerdem polarisiere sie zu sehr, um zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaftern und politischen Vertretern für Ausgleich zu sorgen. Und sie kenne die Bundesagentur und ihre komplizierten Aufgaben zu wenig.

Nun stellt sich die Frage, ob es zu wirklich zu offenem Widerstand der Wirtschaft gegen Nahles kommt. Denn mancher Arbeitgeber schätzt die SPD-Politikerin durchaus. Sie habe als Arbeitsministerin überhaupt nicht ideologisch agiert, sondern sachorientiert. Möglich ist auch ein Deal: Dann dürften die Arbeitgeber den zweiten bald vakanten Posten besetzen, die Nachfolge von Christiane Schönefeld.

Für Nahles jedenfalls spricht, dass sie gerade für eine Aufgabe das passende Profil mitbringt: das von der Ampel geplante Bürgergeld umzusetzen. In ihrer Zeit als Parteichefin hatte die SPD 2019 ihr Konzept für das Bürgergeld beschlossen. Einiges davon findet sich nun im Koalitionsvertrag wieder.

Und das Argument, Nahles kenne die Bundesagentur zu wenig? Von 2004 bis 2017 führte Frank-Jürgen Weise die BA. Er gilt als großer Erneuerer. Weise führte vorher eine Logistikfirma. Kenntnis der Bundesagentur, bevor er dort anfing: null.

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