Generationenkapital:Sie soll die deutschen Renten aufbessern

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Seit 2017 ist Anja Mikus Chefin des Kenfo. (Foto: Felix Zahn/Imago/photothek)

Anja Mikus soll bald mehrere Milliarden Euro anlegen, um die Renten der Zukunft zu finanzieren. Für den heiklen Job bringt sie reichlich Erfahrung mit - und die Hoffnung, dass sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert.

Von Roland Preuß, Berlin

Auf Anja Mikus wird es ankommen. Wenn alles so läuft wie geplant, dann wird sie bald entscheidend darüber mitbestimmen, wie sicher die Renten in Zukunft noch sind. Und wie groß die Lasten für die Beschäftigten, welche die Renten mit ihren Sozialbeiträgen finanzieren müssen. Zig Milliarden Euro soll Mikus am Kapitalmarkt anlegen. Hat sie dabei ein gutes Händchen, können einige Milliarden zusätzlich abfallen für Deutschlands Rentnerinnen und Rentner. Trifft sie die falschen Entscheidungen, dürften die Erwartungen in die Aktienrente oder das "Generationenkapital", wie das Modell der Koalition heißt, enttäuscht werden.

Das Projekt ist umstritten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) verteidigt es als ein Vorhaben der Generationengerechtigkeit, das man schon viel früher hätte beginnen müssen. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht dagegen attackiert das Generationenkapital als "Casino-Rente", die Koalition "zocke" mit der Alterssicherung der Bürger. Anja Mikus sagt: "Es ist unglaublich, wie viele Jahre wir auf das Zusatzeinkommen der Kapitalmärkte verzichtet haben, auch viele Privatleute."

Die Kurfürstenstraße, mitten im Berliner Westen. In einem betongrauen Kasten mit messingfarbener Flügeltür sitzen im ersten Stock rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des "Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung", kurz Kenfo. Hier werden 24 Milliarden Euro verwaltet, Geld, das die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke 2017 an die Stiftung hinter dem Fonds überwiesen hatten und das für die Lagerung und Entsorgung des Atommülls aufkommt. Dafür zahlt der Kenfo jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag aus - und versucht, das Kapital durch geschickte Anlage dennoch zu erhalten. Die Chefin ist Anja Mikus.

Ein ähnliches Modell soll künftig auch die Rentenkassen füllen. Der Bund leiht sich viele Milliarden zu günstigen Zinsen, eine Stiftung soll das Geld an den Kapitalmärkten anlegen. Von 2036 soll an soll sie jährlich etwa zehn Milliarden an die Rentenkassen überweisen, um den Anstieg der Rentenbeiträge im alternden Deutschland wenigstens etwas zu dämpfen. Losgehen soll es dieses Jahr mit zwölf Milliarden Euro, jedes Jahr soll ein zweistelliger Milliardenbetrag hinzukommen. Noch hängt dieses Generationenkapital fest im Koalitionsstreit um das Rentenpaket, doch das Kabinett soll das entsprechende Gesetz noch im Mai verabschieden, so haben es Lindner, Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Woche vereinbart. Auch diese Milliarden sollen Mikus und ihre Leute verwalten und vermehren.

Dafür, dass man hier mit 24 Milliarden Euro hantiert, wirkt das Büro eher bescheiden. Mikus empfängt auf hellgrauem Teppich zwischen grau-braunen Möbeln, ein Stahlträger verleiht dem Raum einen Hauch von Start-up-Loft. Alles Qualitätsware hier, aber schlicht. Die Räume könnten auch die Vertretung eines Versicherungskonzerns sein. Nicht so glanzvoll wie die Welt, aus der Anja Mikus kam, als sie 2017 den Chefposten beim Kenfo übernahm.

Für den neuen Job hat sie auf Geld verzichtet

Die studierte Diplom-Kauffrau arbeitet seit 35 Jahren in der Investmentbranche. Sie stieg bei der Vermögensveraltung der Allianz-Gruppe von der Wertpapieranalystin zur Geschäftsführerin der Allianz-Kapitalanlagegesellschaft auf, dann folgten Spitzenposten bei weiteren großen Namen: Allianz Pimco Asset Management, Union-Investment-Privatfonds, sie leitete das Portfoliomanagement und die Anlagestrategie der Union-Gruppe, ehe sie zu Arabesque Asset Management ging. Ein Wechsel zwischen den Chefetagen in schicken Bürotürmen.

Nun also die Kurfürstenstraße, erster Stock. Warum macht sie das? "Ohne die gesellschaftliche Bedeutung der Aufgabe hätte ich die Leitung des Kenfo nicht übernommen", sagt Mikus. "Ich habe dafür auch auf Gehalt verzichtet." Man könnte sagen: Sie wollte auf der letzten Etappe ihrer Karriere noch etwas Sinnvolles tun. Sich um die Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben kümmern, der Atommüllentsorgung und bald auch der Rente. "Es ist wichtig, dass jemand diese Aufgabe verlässlich erledigt", sagt Mikus.

Beim Kenfo kam Mikus nicht in eine bestehende Truppe, mit der sie umgehen muss, mit eingeschliffenen Abläufen und alten Machtkämpfen. Sie konnte das Team komplett neu aufbauen. Draufgänger etwa, die mit riskanten Manövern hohe Gewinne erzielen wollen und dabei immer wieder hohe Verluste hinterlassen, brauchen sie für diese Aufgabe nicht. "Testosterongetriebene Leute wollen wir nicht haben", sagt Mikus - "wir könnten sie aber auch nicht bezahlen." Dazu passt das Belohnungssystem beim Kenfo. Ja, man zahle Boni, wenn man die Benchmark schlage, also mehr Gewinn erziele als vergleichbare Indizes wie der weltweite Aktienindex MSCI World, sagt Mikus. "Aber nicht an Einzelpersonen. Die müssen im Team verdient werden und nicht von Einzelkämpfern."

Mikus hat ihre Schlüsse gezogen aus den Erlebnissen in der traditionell maskulinen Investmentbranche, wo nicht nur dem Klischee nach harte Männer in scharfer Konkurrenz mit hohem Einsatz ihre Vorgaben erfüllen wollen. "Die Finanzbranche war und ist eine Männerwelt. Das ist sehr, sehr schade", sagt Mikus. Sie hat schon vor Jahren versucht, daran etwas zu ändern, hat bei den "Fondsfrauen" mitgemacht, einem internationalen Netzwerk zur Förderung von Frauen in der Finanzbranche. Das läuft seit fast zehn Jahren. "Bei der ersten Veranstaltung der Fondsfrauen in Frankfurt kamen 200 Frauen, im Laufe der Zeit ist das Netzwerk auf 4000 Frauen angewachsen." Beim Kenfo konnte Mikus ihre Vorstellungen umsetzen. 40 Prozent der Führungspositionen seien mit Frauen besetzt, sagt sie. "Aber es gibt nur wenige, die sich bewerben."

Der wahrscheinlich stärkste Kontrast zu ihren früheren Posten ist das Arbeiten im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Stiftung, in der die Logiken der Geldanlage und der Politik aufeinanderprallen. Der Kenfo hat keinen Aufsichtsrat wie ein Konzern, stattdessen gibt es ein Kuratorium, in dem Vertreter des Wirtschafts-, des Finanz- und des Umweltministeriums sowie Abgeordnete aus allen Fraktionen des Bundestags sitzen. Sie bestellen den Vorstand mit Mikus an der Spitze, ihnen muss Mikus regelmäßig Rechenschaft ablegen. Und darüber diskutieren, wie die Milliarden angelegt werden.

Welche Anlagen sind tabu?

Und da gibt es durchaus Wünsche. Es gibt Abgeordnete, die Firmen besucht haben, die sie dem Kenfo dann zur Geldanlage empfehlen. Alles gut gemeint, sagt Mikus, ihre Leute prüfen das dann. Aber es müsste schon in die Anlagestrategie passen. Über die diskutiert die Runde immer wieder. Zentrale Streitfrage: Wo soll Mikus die Milliarden anlegen? Wie nachhaltig, wie sozial? Der Kenfo soll ja eine ordentliche Rendite erzielen, im Krisenjahr war der Fonds 12,2 Prozent im Minus, vergangenes Jahr gewann er 11,1 Prozent hinzu, in diesem Jahr allein bis Ende März 3,7 Prozent. Wie streng aber sollen die Vorgaben der Politik sein? Soll man Investitionen verbieten in Waffen, Tabak oder Kohlekraftwerke?

"Die Nachhaltigkeit der Anlagen hätten wir gerne pointierter vertreten", sagt Sebastian Schäfer mit Blick auf Mikus, der Finanzexperte sitzt für die Grünen-Fraktion im Kenfo-Kuratorium. Er sagt aber auch: "Die Anlagekriterien müsste allerdings die Politik vorgeben." Im Übrigen erlebe er Frau Mikus als professionell, sie mache sehr transparent, wo das Geld angelegt werde. "Das sind unendliche Tabellen." Mikus sagt, man berücksichtige solche Kriterien und investiere beispielsweise nicht in Waffenunternehmen oder Atomkonzerne. "Ich befürchte, dass einige zu hohe Erwartungen haben, was man mit Ausschlüssen erreichen kann. Das ist zum Teil auch Kosmetik und hat null Wirkung."

Was man unter nachhaltig verstehe, das unterliege einer gesellschaftlichen Bewertung, und die könne sich ändern. Sie möchte weitgehend freie Hand bei der Geldanlage. So müsste das auch bei einem Fonds für die Rente sein. Aber das sei kein Widerspruch, sagt Mikus. "Man sieht schon, wer mit seinen Mitarbeitern nicht gut umgeht, wer die Umwelt verschmutzt, wer Funktionen nicht ausreichend trennt, der performt auf die Dauer auch schlechter."

Die Sprüche von der angeblichen Zockerei kann sie nicht mehr hören. "Zocken hat absolut nichts mit dem zu tun, was wir machen." Man lege das Geld langfristig an, strategisch, kontrolliert und mit ruhiger Hand. Soll heißen: ohne in Krisen nervös zu werden. So wie es Verbraucherschützer auch Privatanlegern empfehlen. Die Mär, dass an der Börse nur gezockt werde, hält Mikus für den Ausdruck einer tief verwurzelten Skepsis vieler Deutscher gegenüber den Kapitalmärkten. Damit ließen sie sich viele Gewinne entgehen. Für sich persönlich, für ihre Altersvorsorge, für die Rentenkasse. "Wir brauchen einen Mentalitätswandel in Deutschland. Das Generationenkapital kann ein wichtiger Schritt dahin sein."

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