Sie sind im Dauerstress. Sie bewegen per Mausklick Milliardensummen um den Erdball und gehören zu den Hochverdienern. Doch auch in der Welt der Banker scheint nichts mehr so zu sein wie es mal war. Spätestens seit der Finanzkrise zählen die Geldmanager zu den meistgehassten Berufsgruppen. Sie haben mit ihrer Gier und Spekulationslust die Welt an den Abgrund getrieben. So sehen es zumindest viele Steuerzahler, die mit ihrem Geld die Kreditinstitute retten mussten.
Nun zeigt sich an Europas größtem Finanzplatz eine weitere, dunkle Seite des Geldgeschäfts: der steigende Alkohol- und Drogenkonsum. Einer der es wissen muss, Drogenberater Richard Kingdon, spricht von einer alarmierenden Entwicklung. "Ich beobachte eine steigende Zahl von Leuten, die verschiedene Drogen nehmen, um mit den Folgen des Stresses in ihrem Berufsleben fertig zu werden", sagt der 42-Jährige. Er allein habe in den vergangenen zwei Jahren fast 100 Klienten betreut - von Alkoholabhängigen bis hin zu Ecstasy- und Kokain-Konsumenten.
Kingdon ist der Gründer des privaten Rehabilitationszentrums "City Beacon" (City Leuchtfeuer), das sich speziell um die Probleme von Beschäftigten in der Londoner City kümmert. Nach seinen Erfahrungen wird schon längst nicht mehr nach so genannten weichen Drogen wie beispielsweise Cannabis gegriffen. Kokain ist stattdessen das Rauschmittel der Wahl.
Das weiße Pulver ist in den vielen Bars und Pubs in der Londoner City erhältlich. Vertrieben wird es von professionellen Drogenhändlern, die die Bedürfnisse ihrer wohlhabenden Klientel kennen. Diskretion ist oberstes Gebot. Schließlich soll nicht gerade der Chef mitbekommen, wie sein untergebener Mitarbeiter mal schnell eine Linie zieht. Bezahlt wird in bar. Es soll sogar eine Art Partyservice geben, wo der Drogendealer am Wochenende ins Privathaus seiner illustren Kunden kommt.
Als Ursache des steigenden Drogenkonsums sieht Kingdon Stress und Arbeitsdruck unter den Bankbeschäftigten, der seit Finanzkrise deutlich gestiegen sei. Hinzu kommen Versagensängste und Befürchtungen um den Verlust des Arbeitsplatzes. Vor allem die Großbanken wie Royal Bank of Scotland, Lloyds Banking Group und Barclays, HSBC haben in den vergangenen Monaten Tausende von Jobs abgebaut.
Weinmarke als Code-Wort
Damit unterscheidet sich die Finanzindustrie zwar kaum von anderen Branchen. Doch viele Banker und ihre Familien sind es gewohnt, auf "großem Fuß" zu leben. Dazu gehören prestigeträchtige Autos, teure Immobilien, aber beispielsweise auch enorm hohe Gebühren für Privatschulen für die Kinder in London. Steht ein solcher Luxus-Lifestyle wegen drohender Arbeitslosigkeit zur Disposition, kommt es nach Erkenntnissen von Psychologen bei den Betroffenen nicht selten zu Krisen und Zusammenbrüchen. Der Griff nach Alkohol und anderen Drogen erscheint als vermeintlicher Ausweg.
"Daniel" (Name geändert) heißt einer von Kingdons Klienten. Er ist ein durchaus erfolgreicher Banker, Mitte 40. Bereits im Alter von 25 Jahren hat er begonnen, regelmäßig Alkohol zu trinken. Irgendwann kam Kokain dazu. Um in seiner "Haus-Bar" nach Feierabend den Stoff zu "bestellen", verwendet Daniel ein Code-Wort - es ist eine Weinmarke, die es gar nicht gibt. Dann geht er schnell auf die Toilette, um sich den Koks in die Nase zu ziehen. Daniel räumt ein, dass er nach durchzechten Nächten zuweilen noch im Rausch am nächsten Morgen ins Büro kommt.
Das ist offenbar kein Einzelfall: Im vergangenen Jahr verhängte die britische Finanzaufsicht eine Geldstrafe von 72.000 Pfund (83.000 Euro) und ein einjähriges Berufsverbot gegen den Öl-Händler Steve Perkins. Er hatte zuvor im betrunkenen Zustand für seinen Arbeitgeber, PVM Oil Futures, Öl-Terminkontrakte in einem Volumen von sieben Millionen Barrel (ein Barrel sind 159 Liter) und im Wert von mehr als 500 Millionen Dollar gekauft. Perkins verursachte durch seinen Kaufrausch einen Verlust von fast acht Millionen Dollar für seinen Arbeitgeber. Er habe einen "Alkohol-Blackout" gehabt, räumte Perkins später ein.
Auch nach Angaben der Londoner Polizei nehmen die Drogenprobleme in der City zu. Das gilt allerdings auch für die gesamte Stadt. Untersuchungen zufolge wird in London so viel Kokain konsumiert, dass Spuren des Rauschgifts sogar das Wasser der Themse verunreinigen. Nach Klärung des Abwassers gelangen täglich noch etwa zwei Kilogramm Kokain - das entspricht 80.000 Linien der Droge - in den Fluss.